Erstattung in Österreich beschleunigen

Die Philosophie des in den Bereichen Healthcare, Life Sciences und Performance Materials tätigen Unternehmens beschreibt Moll wie folgt: „Wir glauben an die positive Kraft der Wissenschaft, und das seit über 350 Jahren, seit der Gründung von Merck 1668. Durch Wissenschaft und Forschung ermöglichen wir technologischen Fortschritt, der uns allen zugutekommt.“

Patientennutzen im Fokus

Rückblickend auf die letzten Jahre ist Moll stolz darauf, was Merck bereits für Patienten erreichen konnte. Als Beispiele nennt er zwei zentrale Innovationen, darunter den Wirkstoff Cladribin, die erste in Europa ­zugelassene Kurzzeitbehandlung in Tablettenform für Patienten mit schubförmiger Multipler Sklerose (MS) mit hoher Krankheitsaktivität. „Durch das spezielle Therapieschema (Anm.: Das Medikament wird in den ersten zwei Jahren in vier Zyklen zu jeweils fünf Tagen eingenommen, in den Jahren 3 und 4 ist keine Einnahme vorgesehen.) können die Betroffenen weitgehend ein normales Leben führen, ohne ­beispielsweise durch häufige Medikamentengabe eingeschränkt zu sein“, unterstreicht Moll die Vorteile des Wirkstoffs.
Sein zweites Erfolgsbeispiel ist Avelumab, ein monoklonaler Antikörper, den Merck gemeinsam mit Pfizer erforscht und vermarktet. „Dieser Antikörper ist seit 2017 für die Behandlung des Merkelzellkarzinoms in Österreich verfügbar und damit die erste medikamentöse Behandlung von Erwachsenen mit metastasiertem Merkelzellkarzinom. Seit Oktober 2019 ist diese Substanz in der EU in Kombination mit dem Präparat Axitinib (von Pfizer) für die Behandlung von Patienten mit fortgeschrittenem Nierenzellkarzinom – in Österreich die neunthäufigste Krebsform – zugelassen. Im Juni 2020 hat die amerikanische FDA diese Therapie auch als Erhaltungstherapie bei lokal fort­geschrittenem oder metastasiertem Urothelkarzinom (Blasenkarzinom) zugelassen. Wir hoffen, diese Indikationserweiterung auch bald in der EU zu erhalten“, so Moll.

Blick auf Mercks aktuelle Forschung

Was die Zukunft angeht, fokussiert sich Merck auf Bereiche mit hohem medizinischem Bedarf, vor allem in der Onkologie und der Neurologie. In der späten Phase der klinischen Entwicklung sind es vor allem drei Projekte, in die das Unternehmen große Hoffnungen setzt. Dies sind: „Ein BTK-Inhibitor, den wir bei schubförmiger MS erproben; ein MET-Kinase-Inhibitor, der bereits in Japan zur Therapie des fortgeschrittenen nicht-kleinzelligen Lungenkarzinoms (mit METex14-Skipping-Veränderungen) zugelassen ist, sowie ein Wirkstoff in der klinischen Prüfung, der das Potenzial hat, ein Meilenstein in der Immunonkologie zu werden. Bei Letzterem handelt es sich um ein Fusionsprotein, das gleichzeitig auf zwei wichtige Signalwege abzielt, die Krebszellen nutzen, um das Immunsystem zu umgehen“, berichtet Moll.

Erstattung dauert in Österreich zu lange

Gefragt nach den Stärken und Schwächen des österreichischen Gesundheitssystems, betont Moll, der früher u.a. auch in China und Lateinamerika tätig war, die erstklassige Patientenversorgung hierzulande: „Sowohl im extra- als auch im intramuralen Bereich herrscht ein hohes Niveau, auch bezüglich des raschen Zugangs zu medizinischer Versorgung für Patienten. Bemerkenswert finde ich in diesem Zusammenhang, dass sich das österreichische Gesundheitssystem bezüglich der Kosten ja keineswegs im Spitzenfeld der Industrienationen bewegt. Das heißt, das System scheint auch vergleichsweise effizient zu arbeiten.“
Verbesserungspotenziale sieht der Merck-Geschäftsführer beispielsweise in Bezug auf die hier herrschende Spitalslastigkeit. Eine wichtige Frage in diesem Zusammenhang ist in seinen Augen, wie eine medizinisch hochwertige und gleichzeitig effiziente Primärversorgung gerade auch in ländlichen Gegenden sichergestellt werden kann. Dies werde die entsprechenden Stellen noch beschäftigen, ist Moll überzeugt.
Im Hinblick auf den Marktzugang dauert es laut Moll in Österreich zu lange, bis ein innovatives Medikament nach erfolgter Zulassung in den Erstattungskodex aufgenommen wird. „Durchschnittlich sind dies 280 Tage, obwohl das Gesetz eigentlich sechs Monate vorsieht“, erklärt er. Er könne sich ein System vorstellen, durch das ein Medikament zeitig nach der Zulassung verfügbar und erstattbar wird, während eine mögliche Nutzenanalyse auch parallel durchgeführt werden kann. Und er ergänzt: „Dies würde helfen, Medikamentenkosten weiterhin unter Kontrolle zu halten, und gleichzeitig Ärzten die Möglichkeit geben, ihre Patienten frühzeitig mit innovativen Therapien zu behandeln. Denn für manche Patienten spielt es eine sehr große Rolle, ob sie ein Medikament ein halbes Jahr früher oder später bekommen.“

 

 

Die digitale Revolution der Medizin

„Digitale Technologien werden die medizinische Forschung und Praxis revolutionieren – und diese Revolution ist eigentlich schon in vollem Gange. Diese neuen Technologien ermöglichen es bereits – und das wird in Zukunft noch weiter zunehmen –, medizinische Herausforderungen intelligenter, schneller, effizienter und risikoärmer zu bewältigen“, erläutert Moll. Als Beispiel nennt er den Einsatz von künstlicher Intelligenz im Bereich Onkologie im Sinne von „digitaler Pathologie“: „Das Ziel dabei ist, dass Computer schnell und exakt erkennen, welche Therapie bei welchen Patienten unter welchen Bedingungen anschlägt.
“Ein weiteres wichtiges Thema sind für ihn „Real World Data“. Moll dazu: „Wenn die umfangreichen, aber derzeit meist verteilten Daten von Patienten, Ärzten, Versicherungsträgern etc. gepoolt würden, könnten hieraus verstärkt Erkenntnisse abgeleitet werden, die klinische Studien, die ja per definitionem in einem begrenzten Setting stattfinden, komplementieren. Hier wären hinsichtlich Effektivität und Arzneimittelsicherheit Quantensprünge möglich – selbstverständlich unter Beachtung aller Datenschutzbestimmungen.
“Auch im Bereich der Patientenversorgung sieht Moll durch digitale Möglichkeiten weiteres Verbesserungspotenzial. Hier nennt er asiatische Länder als Beispiel, in denen alle digitalisierbaren medizinischen Prozesse – Versicherungen, Telemedizin, Diagnostik, Verschreibungen, Zahlungsvorgänge, Ärzteweiterbildungen etc. – in umfassende Ecosysteme integriert wurden, was seiner Ansicht nach zu einer erhöhten Effizienz und einer radikalen Verbesserung der Patientenversorgung geführt hat. „Ich sage nicht, dass man dieses System 1:1 auf Europa übertragen kann – und ich glaube auch nicht, dass das unbedingt wünschenswert wäre. Aber die COVID-19-Pandemie hat uns doch gezeigt, dass digitale Technologien im Gesundheitswesen, wie z.B. Telemedizin, unverzichtbar sind. Diesen Weg müssen wir weitergehen – nicht nur vor dem Hintergrund der Pandemiebekämpfung, sondern auch im Interesse eines langfristig leistungsfähigen und bezahlbaren Gesundheitssystems“, betont Moll.

Mehr Reputation erkämpfen

Es gebe wohl keinen Wirtschaftszweig, so Moll, bei dem Nutzen für die Allgemeinheit und Reputation so stark auseinanderklaffen würden wie bei der Pharmaindus­trie. Doch durch die Corona-Krise werde einer breiten Öffentlichkeit nun bewusst, was die Pharmaindustrie für die Gesellschaft, für alle Menschen leistet. Daher sei es gerade jetzt an der Zeit, sich die Reputation zu erkämpfen, die die Pharmabranche verdient. „Dies gelingt uns durch weiterhin gute Arbeit und transparente Kommunikation – Letzteres haben wir in der Vergangenheit vielleicht nicht genügend gemacht. Hierbei könnte u.a. die verstärkte Nutzung neuer Kanäle wie Social Media, aber auch die Zusammenarbeit mit Patientenselbsthilfegruppen helfen“, meint Moll. Außerdem arbeitet Merck in diesem Zusammenhang intensiv mit Pharmig und FOPI zusammen, um den Mehrwert, den die Pharmaindustrie für Patienten und die gesamte Gesellschaft erbringt, klar darzustellen und zu vermitteln – dies gelinge zunehmend besser, so der Merck-Geschäftsführer abschließend.