Zielgruppenspezifisch agieren

“Der Kanal passt dann, wenn er zur Zielgruppe passt“, bringt es Erich Bergmann, Agentur DENKEN HILFT!, auf den Punkt. Es mache keinen Sinn, z.B. überwiegend auf digitale Kommunikationskanäle zu setzen, wenn die angestrebte Zielgruppe dort nicht anzutreffen ist. Zudem muss man da­rauf achten, dass die Kommunikationsform dem Cha­rakter des Kanals entspricht. Eine entscheidende Frage ist: Welcher Kanal eignet sich für reine Information am besten, welcher für Emotion? Wie muss ich z.B. im digitalen Bereich Emotionen verpacken, damit sie auch entsprechend rüberkom­men? Man kann ein Thema beispielsweise auf sozialen Kanälen nicht auf dieselbe Weise kommunizieren wie in einem analogen Printsujet. Da ist heutzutage Spezialistentum gefragt, das die Zielgruppe auf ihrer Journey kanalübergreifend zu begleiten versteht.“

Auch Paul Benedek, swot Werbeagentur, ist davon überzeugt, dass es im Pharmamarketing um maßgeschneiderte Botschaften für die jeweiligen Zielgruppen geht und Zielgruppen und ihre Bedürfnisse daher so präzise wie möglich definiert werden müssen.

Mikrosegmentierung der Zielgruppen

DI Martin Verdino, Kreativ- und Kommunikationsagen­tur ­VERDINO, sieht dies genauso: „Zielgruppen erwarten Personalisierung! Das bedeutet, man muss die Bedürfnisse der Zielgruppe kennen, verstehen und berücksichtigen – sonst erzielt man keine Akzeptanz.“ Dies erfordert in seinen Augen eine radikale Mikrosegmentierung, bei der man die Zielgruppen so kleinteilig wie möglich analysiert. „Es wäre ressourcenmäßig oft auch gar nicht möglich, jedes Segment zu bedienen, daher muss ich Prioritäten setzen. Durch Tracking kann ich meine Maßnahmen dann überprüfen und gegebenenfalls nachschärfen“, empfiehlt Verdino. Dr. Fritz Höllerer, Agentur hello mint GmbH, warnt jedoch davor, zu kleine Zielgruppen zu bespielen, „denn das Potenzial des digitalen Marketings zeigt sich vor allem bei großen Zielgruppen“. In der Praxis sieht er, dass bei kleinen Zielgruppen der Außendienst sehr effektiv eingesetzt werden kann und sollte.

Bergmann unterstreicht die Bedeutung einer validen Marktforschung, die eine Clusterbildung hinsichtlich unterschiedlicher individueller Meinungen/Einstellungen/Innovationsbereitschaft ermöglicht: „Daraus kann man beispielsweise drei relevante Gruppen bilden, die die Ärzt:innen argumentativ entsprechend ihrem persönlichen Profil abholen. Das kann dann dazu führen, dass es nicht nur einen e-Detailer für den Außendienst gibt, sondern drei verschiedene. Bei allen drei ist die Key Message zwar die gleiche, aber der Weg dorthin ist ein anderer.“

Genauer auf Zielgruppen­bedürfnisse eingehen

Verdino hat die Erfahrung gemacht, dass die vielen verschiedenen Kanäle, die heute zur Verfügung stehen – und sich sehr rasch ­verändern –, sowie die personalisierten ­Zielgruppen die Marketingmitarbeiter:innen der Pharmaunternehmen vor Herausforderungen stellen. Bei VERDINO wurde daher eine „Digital Excellence Academy“ ins Leben gerufen, die individuelles Kompetenztraining anbietet, um die Marketeers im Daily Business zu unterstützen.

Bergmann hat ähnliche Erfahrungen gemacht: „Gerade im Gesundheitsmarketing sind oft Mediziner:innen oder naturwissenschaftlich orientierte Menschen beschäftigt, die nicht immer Zeit und Interesse finden, sich im rasant entwickelnden Marketingbereich laufend up to date zu halten. Dies ­erfordert auf Agenturseite viel Beratungsleistung.“

Bergmann ist zudem davon überzeugt, dass die verschiedenen Zielgruppen des Pharmamarketings – HCPs auf der einen, Laien auf der anderen Seite – dazu führen, dass es dort, wo beide Zielgruppen relevant sind, auch Marketingverantwortliche braucht, die sowohl auf der Ebene der Fach- wie auch der Consumer- bzw. Laienkommunikation fit sind. „Sonst wird es immer eine Schieflage der Maßnahmen und Fehler im Marketing-/Channelmix geben – je nachdem, wo die Homebase der Kommunikationstreibenden zu finden ist. Das bedeutet, Multi-Zielgruppe braucht Multi-Channel braucht Multi-Marketing-Know-how“, so Bergmann.

Eine Frage des Budgets

Höllerer weist daraufhin, dass beim Verknüpfen der Kanäle auch zu beachten sei, welches Budget man zur Verfügung hat: „In diesem Zusammenhang ist es wichtig, Vergleichbarkeiten zu schaffen: Welcher Kanal hat besser funktioniert und welche Schlüsse kann ich daraus ziehen?“

Für Bergmann ist falsch gedacht, wenn man davon ausgeht, dass digitale Kommunikation „billiger“ sei und deshalb bei kleiner werdenden Budgets mehr Sinn mache: „Digitale Kommunikation, wenn sie ernsthaft und professionell betrieben wird, kostet meist gleich viel wie analoge Kommunikation. Hier liegt auch das Dilemma der Budgets! Diese werden, obwohl im Rahmen von Multichannel-Marketing oder Crossover-Marketing zusätzliche Kanäle bedient werden müssen, leider nicht entsprechend von den Unternehmen aufgestockt, weshalb dann die Ergebnisse oftmals eher ernüchternd ausfallen“, so Bergmann.

Dies sieht auch Höllerer so: „Omnichannel braucht größere Budgets, denn es gilt dabei viele Kanäle über längere Zeit regelmäßig zu bespielen. Und das kostet – sonst funktioniert es nicht.“

Marketing & PR sind gemeinsam stärker!

Die Kommunikation mit den diversen Unternehmenszielgruppen ist keine ­alleinige Marketingaufgabe. PHARMAustria hat bei Mag. Michael Leitner, MAS, Geschäftsführer der Public Health PR GmbH, nachgefragt, wie viel PR im Pharmamarketing stecken muss.

PHARMAustria: Wann macht es Sinn, PR und Marketing zu verknüpfen?

Mag. Michael Leitner, MAS, Public Health PR; © Gregor Schweinester

Mag. Michael Leitner, MAS: „PR-Agenturen können sowohl Marketingabteilungen wie auch Corporate-Communications-Abteilungen unterstützen. Die Spezialdisziplin Produkt-PR in den Pharma-Maßnahmenmix einzubinden, macht fast immer Sinn – und wird meist direkt von Produktverantwortlichen beauftragt. Und zwar immer dann, wenn …

  • es Werbebeschränkungen gibt (z.B. RX-Produkte),
  • es um breite Awareness für eine Indikation geht,
  • ein Produkt besonders erklärungsbedürftig ist und sich nicht mit wenigen kurzen Statements erschließt,
  • KOLs vor den Vorhang, sprich, auf die mediale Bühne, geholt werden sollen,
  • Kooperationen und gemeinsame Initiativen mit Selbsthilfeorganisationen, KOLs oder NGOs im Zentrum der Produktkommunikation stehen,
  • Social-Media-Kommunikation in Richtung Community Building und Storytelling laufen soll,
  • Event-PR gewünscht ist,
  • auch ein Reimbursement-Thema ansteht.

Welche Rolle spielt Corporate Communications für das Marketing?

Leitner: Die Beziehung zwischen Corporate Communications und Produktmarketing eines Unternehmens ist ebenfalls relevant. Denn die Unternehmenskommunikation entwickelt immer wieder gemeinsam mit Agenturen PR-Initiativen, die auch von den Marketingabteilungen für ihre Produktkommunikation genützt werden können. Zudem hat die Unternehmenskommunikation auch im Bereich Social Media ergänzende Kanäle (z.B. LinkedIn, Twitter), die die Produktkommunikation unterstützen können. Corporate Communications, Public Affairs und Patient Advocacy (als Stabsstellen im Unternehmen) und deren PR-Agenturen können viel mehr erreichen, wenn sie eine gute Kooperationsbasis mit dem Marketing haben.

In unserer Arbeit geht es vor allem auch um den gegenseitigen Austausch, so erzielen wir in Matrixorganisationen optimale Kommunikationsergebnisse. Ganz wichtig: In allen Krisenfällen ist Corporate Communications einzuschalten! Durch den Siegeszug von Social-Media-Kanälen ist der „Shitstorm“ zu einem klassischen und häufigen Krisenthema geworden. In Corporate Communications und in den PR-Agenturen sitzen die Expert:innen für Krisen-PR.

Vielen Dank für das Gespräch!