Das denken Jungmediziner über den Ärztemangel

Richard Brodnig(c) JAMÖ

Der Obmann der Jungen Allgemeinmedizin Österreich (JAMÖ), Richard Brodnig, fordert im RELATUS-Sommergespräch Änderungen in der Ausbildung.

Rund ein Drittel der Absolvent:innen der heimischen MedUnis gehen ins Ausland. Ist das für Sie nachvollziehbar? Ein Teil der Studierenden ist nicht aus Österreich, da ist klar, dass die nicht hierbleiben und zurück nachhause wollen. Viele Kolleg:innen wollen außerdem Erfahrungen im Ausland machen. Laut Ärztekammer halten sich aber Ab- und Zuzug die Waage. Was die Work-Life-Balance angeht ist die Situation in Österreich eigentlich gut, die besten Ausbildungsbedingungen gibt es aber in der Schweiz. Dort haben sie eine klare Struktur, die gut funktioniert. In einem Ambulanz-Setting gibt es dort einen Oberarzt oder eine Oberärztin, die die Ambulanz supervidieren, während die Ärzt:innen in Ausbildung arbeiten. Bei uns wird einfach simultan gearbeitet, das ist für die Ausbildung nicht ideal und für den Arbeitsfluss ineffektiv. Auch dass man als Allgemeinmediziner:in nicht von Allgmeinmediziner:innen ausgebildet wird ist paradox. Da werden im Krankenhaus jene Auszubildenden im eigenen Fach bevorzugt, was ja auch Sinn macht, die Abteilung muss laufen.

Die Ärztekammer NÖ hat ein duales Ausbildungssystem vorgeschlagen. Jungmediziner:innen sollen dabei während der Ausbildung sowohl im Krankenhaus als auch im niedergelassenen Bereich arbeiten. Wäre das eine Lösung? Die simpelste Lösung wäre wohl, den Facharzt für Allgemeinmedizin einzuführen. Aber auch das duale System wäre wünschenswert. Die Lehrpraxis ist derzeit am Ende der Ausbildung, da verlieren wir viele Leute, weil sie die allgemeinmedizinische Kassenversorgung nicht kennenlernen. Sie sind davor zweieinhalb Jahre im Krankenhaus, kriegen dort Einblicke, finden sich in Teams ein und werden abgeworben. Die sollten schon am Anfang eine Ordination kennenlernen. Ich wäre für eine 5-Tage-Woche, wo man vier Tage im Krankenhaus ist und einen Tag im niedergelassenen Bereich.

Warum haben Sie sich nach Ihrer Ausbildung dennoch für die Allgemeinmedizin entschieden? Ich habe das als Kind bei meinem Vater miterlebt. Bei den Patient:innen daheim zu sein, die ganze Familie kennenzulernen, den Menschen zu helfen und sie im Leben zu begleiten – das finde ich erstrebenswert. Zwischendurch war ich auf Abwegen und habe BWL studiert, aber da habe ich gemerkt, dass mir eben genau diese zwischenmenschliche Ebene fehlt. Deshalb bin ich überzeugt davon, dass es wichtig ist, den Studierenden und den Ärzt:innen in Ausbildung früher in der Ausbildung zu zeigen, wie schön die Arbeit ist. Nur so kann die Leidenschaft geweckt werden.

Viele Jungmediziner:innen wollen lieber angestellt als selbstständig sein. Hat Ihnen Ihr BWL-Studium die Scheu genommen? Da habe ich klar einen Vorteil. Ich weiß, was eine GmbH ist, kenne die Grundzüge der Buchhaltung – das nimmt die Angst vor solchen Themen. Ich versuche den Kolleg:innen immer Mut zu machen und einerseits zu sagen, die Generationen vor euch haben das auch geschafft. Andererseits wäre es gut, wenn es im Studium angeschnitten wird: Abendveranstaltungen, ein paar Vorträge zu wirtschaftlichen Themen etc. Nicht zu viel, denn das Studium ist schon umfangreich genug, aber so, dass man Einblicke bekommt. Zum Glück gibt es mittlerweile Initiativen. Die ÖGK Oberösterreich hat ein Pilotprojekt ins Leben gerufen und auch die Ärztekammern der Länder machen in dem Bereich immer wieder etwas.

Was muss passieren, damit mehr Jungmediziner:innen einen Kassenvertrag wählen? Das eine ist, dass der Vertrag auf Quantität statt auf Qualität schaut, weil man nur ein paar Minuten pro Patient:in hat, um den Stundensatz zu erreichen. Deswegen fehlt es an Ärzt:innen in versorgungsrelevanten Stellen. Auch die Belastung durch administrative Tätigkeiten schreckt ab. Gerade bei jungen Kolleginnen sind Formen der Selbstständigkeit eher negativ behaftet, vor allem für jene, die Kinder wollen. Die Diskussion ist an sich nicht nur für Frauen relevant, aber das ist in Österreich noch nicht angekommen, obwohl immer mehr Kollegen auch in Karenz gehen möchten.

Wie sieht es fächerübergreifend aus: Funktioniert die Zusammenarbeit mit den Apotheken? Auf lokaler Ebene in der Regel gut. Es wird regelmäßig kommuniziert und das gemeinsame Ziel bleibt das Wohlergehen der Patient:innen. Am Land bringen Hausapotheken aber Vorteile. Sie sind für die Patient:innen praktisch, weil der Hausarzt oder die Hausärztin erklären und gleich mitgeben kann. Damit könnte das Problem gelöst werden, dass Apotheken teilweise Dinge verkaufen, die medizinisch nicht notwendig sind. Manche Vitamine, die nachgewiesen keinen Effekt haben, werden mitverkauft. Eine Hausapotheke könnte das verhindern. Was ich grundsätzlich schade finde ist, dass wir in Österreich keine klinischen Pharmazeut:innen haben, die zum Beispiel in Primärversorgungseinheiten beraten und die Medikation auswählen. Das geht in einer Einzelordination nicht, aber es wäre schon sinnvoll.

Mittlerweile gibt es Fahrradlieferdienste für Apotheken – Startups haben die Medizin für sich entdeckt und entwickeln neue Prozesse und Applikationen. Können hausapothekenführende Ärzt:innen und Apotheken da mithalten? Solche Dinge werden immer mehr werden, weil die Leute das wollen. Wenn der Bedarf da ist, wird er erfüllt werden. Das wird sich auch bei Telekonsultationen zeigen, was allerdings die Zwei-Klassen-Medizin verschärfen wird. Die wird dann eher privat angeboten werden, das können sich viele nicht leisten. Aber sollte es da nicht bald eine offizielle Lösung oder Regelungen dazu geben, wird auch das aus dem Privatsektor kommen. (Das Interview führte Katrin Grabner)