Chirurgische Therapie von Nierenzellkarzinom-Metastasen

Die der Metastasenchirurgie mit kurativer Intention zugrunde liegende Überlegung wurde anhand von Autopsiestudien zu Beginn der 1970er Jahre entwickelt. Initial manifestiert sich die Metastasierung eines Tumors meist isoliert in einem Organ2. Erst danach kommt es zur generalisierten systemischen Streuung. Basierend auf dieser so genannten „Cascade spread“-Hypothese mutmaßte man, dass durch die chirurgische Unterbrechung des Prozesses ein Beitrag zur Therapie geleistet werden könnte. Dieses Konzept wurde bald danach systematisch wissenschaftlich aufgearbeitet und auf seine Wirksamkeit überprüft. Obwohl es bis heute keine randomisiert kontrollierten Studien zu diesem Thema gibt, konnte in mehreren Kohortenstudien der positive Einfluss der Metastasektomie auf das Gesamtüberleben gezeigt werden3–-5.

Prognostische Faktoren

Zeitpunkt des Auftretens

Metastasen können bereits zum Zeitpunkt der Diagnose des Primums bestehen (synchron) beziehungsweise erst nach dessen Entfernung (metachron) auftreten. Analysiert man die Daten, so ist eine synchrone Metastasierung ein negativer prognostischer Faktor (mittleres Überleben 13 vs. 21 Monate bei metachroner Streuung). Der Zeitraum, den ein Tumor braucht, um systemisch zu streuen, reflektiert direkt seinen Aggressivitätsgrad. Eine Streuung innerhalb der ersten zwei Jahre ist mit einer schlechteren Prognose assoziiert6.

Lokalisation der Metastasen

Die unterschiedlichen Lokalisationen von Nierenzellkarzinom-Metastasen haben direkten Einfluss auf das Überleben. Lungenmetastasen haben hier die beste Prognose, Streuung in die Leber, Knochen oder Lymphknotenmetastasen sind hingegen mit einem schlechteren Outcome assoziiert.

Completeness of Resection

Das Erreichen einer R0-Resektion ist ein wichtiger prognostischer Faktor. Obwohl es Hinweise gibt, dass auch eine nichtradikale Metastasektomie im Sinne einer Tumormassenreduktion das Überleben verbessern kann, sollte immer eine komplette Entfernung aller auffindbarer Absiedlungen erfolgen. Durch das komplette Entfernen aller Metastasen verdoppelt sich das Gesamtüberleben.

Lunge

Bei 50–75% aller Patienten mit metastasierten NZK treten Lungenmetastasen auf. Somit ist die Lunge das Organ mit der häufigsten Manifestation einer Metastasierung. Dafür gibt es grundsätzlich zwei Erklärungsmodelle. Die „Seed & Soil“-Theorie besagt, dass für das Streuen eines Tumors nicht nur die Biologie des Tumorgewebes allein verantwortlich ist, sondern dass auch eine Interaktion mit dem Zielgewebe stattfindet. Bestimmte Faktoren im Lungengewebe könnten das Einnisten von eingeschwemmten Tumorzellen begünstigen. Das zweite Erklärungsmodell basiert auf der anatomischen Tatsache, dass die Lunge verglichen mit anderen Organen ein riesiges Kapillarnetz aufweist. Somit ist rein statistisch gesehen die Wahrscheinlichkeit sehr groß, dass in den Blutkreislauf geschwemmte Tumorzellen in der Lunge „hängen“ bleiben.
Interessanterweise ist das prognostische Outcome von pulmonalen Metastasen gegenüber einer Streuung in andere Organe besser. Nach Metastasektomie an der Lunge mit kurativer Intention liegt das durchschnittliche 5-Jahres-Überleben bei ca. 40%8. Der wichtigste prognostische Faktor ist eine R0-Resektion und Entfernung aller Metastasen.
Bei der Wahl des Zugangs wird heute in fast allen Zentren eine muskelschonende anteriore oder posteriore Thorakotomie bevorzugt. Sie ermöglicht bei geringem chirurgischem Trauma ausreichende Sicht und Kontrolle über die gesamte Lunge. Trotz stark verbesserter bildgebender Verfahren findet man in bis zu einem Viertel der Patienten intraoperativ mehr Metastasen als im präoperativen CT identifiziert wurden. Der Goldstandard ist daher nach wie vor die offene bimanuelle Palpation der Lunge. So sind auch minimalinvasive Methoden, wie zum Beispiel die videoassistierte Thorakoskopie, Einzelfällen vorbehalten, da bei diesen Eingriffen keine Palpation des Lungengewebes möglich ist. Metastasen sollten lokal mit sicheren Resektionsrändern und zur Erhaltung der Lungenfunktion parenchymsparend reseziert werden. Größere Resektionen wie zum Beispiel eine Lobektomie oder Pneumonektomie sollten vermieden werden.

Knochen

Tochtergeschwülste im Knochen finden sich relativ häufig im Krankheitsverlauf des metastasierten Nierenzellkarzinoms. Die Prognose ist verglichen mit der Streuung in die Lunge wesentlich schlechter mit einem 5-Jahres-Überleben von nur 15%. Allerdings gibt es im Gegensatz zu Lungenmetastasen nur selten eine auf das Skelett beschränkte Streuung. Somit könnte die schlechte Prognose Ausdruck des fortgeschrittenen Krankheitsstadiums sein. Die Entfernung von Knochenmetastasen ist eher im palliativen Kontext zu sehen. Eine Resektion macht nur bei symptomatischen Läsionen Sinn. Trotzdem wurden im Sinne einer kurativen Metastasektomie in Einzelfällen auch Langzeiterfolge erzielt.

Leber

Patienten mit Lebermetastasen eines Nierenzellkarzinoms haben ein schlechtes Outcome. Zudem ist die chirurgische Entfernung von Lebermetastasen mit relativ hoher Morbiditätsraten assoziiert9. Deshalb kommt die Metastasektomie an der Leber nur für ausgewählte Patienten in Frage. Neue minimalinvasive Methoden wie zum Beispiel die Radiofrequenz- Thermoablation oder die laserinduzierte Thermotherapie könnten eine sinnvolle Alternative darstellen.

Hirnmetastasen

Die chirurgische Entfernung von Metastasen im Hirn sollte nur in Ausnahmefällen erfolgen. Das Risiko-Nutzen-Verhältnis rechtfertigt in den seltensten Fällen eine Kraniotomie. Weiters findet man kaum rein auf das zentrale Nervensystem beschränkte Läsionen10.

Pankreas

Entfernung von Pankreasmetastasen ist nach dem heutigen Stand der Wissenschaft zu empfehlen. Einer Analyse von mehr als 100 Patienten mit isolierten Läsionen in der Bauchspeicheldrüse zufolge konnte eine Operation an der Bauchspeicheldrüse trotz der hohen Invasivität verglichen mit der Entfernung von Lungenmetastasen ähnlich exzellente Langzeitergebnisse erzielen11.

Nebenniere

Singuläre Metastasen in der Nebenniere sollten ebenfalls entfernt werden. Hier gibt es eine eindeutige Datenlage zugunsten der Metastasektomie.

Lymphknoten

Grundsätzlich ist die lymphogene Streuung verglichen mit der hämatogenen Streuung ein negativer prognostischer Faktor. Trotzdem kann bei singulärem Lymphknotenbefall eine chirurgische Entfernung sinnvoll sein.

Zusammenfassung

Die Idee, eine systemische Erkrankung durch einen lokalisierten chirurgischen Eingriff zu behandeln, scheint auf den ersten Blick paradox. Trotzdem haben Kohortenstudien beim Nierenzellkarzinom eindeutig einen Benefit der Metastasektomie mit kurativer Intention zeigen können. Nach Entfernung aller sichtbaren Absiedlungen wird für die meisten Patienten allerdings eine systemische pseudoadjuvante Therapie benötigt, um okkulte Mikrometastasen wirkungsvoll zu bekämpfen. Die Entscheidung, inwiefern eine chirurgische Entfernung von Metastasen sinnvoll ist, sollte interdisziplinär getroffen werden, da neben tumorspezifischen Faktoren (DFI, Chemoresistenzen) auch chirurgisch-technische Aspekte eine wichtige Rolle spielen. Die Metastasektomie mit kurativer Intention muss immer Teil eines gesamtonkologischen Konzeptes sein, und die Entscheidung über Nutzen und Risiko einer Resektion ist für jeden Patienten individuell zu treffen.

Fact-Box

30–40% aller Patienten mit Nierenzellkarzinom (NZK) werden im Laufe ihrer Erkrankung metastasieren. Unbehandelt ist die Prognose des metastasierten Nierenzellkarzinoms mit einem mittleren 5-Jahres-Überleben von 0 bis 18% infaust. Die Metastasenchirurgie stellt heute einen wichtigen Eckpfeiler in der Therapie des NZK dar. Eingebettet in ein gesamt – onkologisches Therapiekonzept konnten in den letzten Jahren entscheidende Therapieerfolge erzielt werden.


1 Hoffmann NE et al., Differences in organ system of distant metastasis by renal cell carcinoma subtype. J Urol 2008; 179:474–477
2 In Weiss L, Gilbert HA (eds), „Pulmonary metastasis.“ Boston: G. K. Hall 1978; 336 ff
3 O’Dea M J et al., The treatment of renal cell carcinoma with solitary metastasis. J Urol 1978; 120:540–542
4 Naito S et al., Prognosis of Japanese metastatic renal cell carcinoma patients in the cytokine era: a cooperative group report of 1463 patients. Eur Urol 2010; 57:317–325
5 Vogl UM, Zehetgruber H, Dominkus M, Hejna M, Zielinski CC et al., Prognostic factors in metastatic renal cell carcinoma: metastasectomy as independent prognostic variable. Br J Cancer 2006; 95:691–698
6 Leibovich BC et al., A scoring algorithm to predict survival for patients with metastatic clear cell renal cell carcinoma: a stratification tool for prospective clinical trials. J Urol 2005; 174:1759–1763; discussion 1763
7 Breau RH et al., Surgery for renal cell carcinoma metastases. Curr Opin Urol 2010; 20:375–381
8 Pfannschmidt J et al., Prognostic factors for survival after pulmonary resection of metastatic renal cell carcinoma. Ann Thorac Surg 2002; 74:1653–1657
9 O’Rourke TR et al., Long-term results of liver resection for non-colorectal, non-neuroendocrine metastases. Ann Surg Oncol 2008; 15:207–218
10 Shuch B et al., Brain metastasis from renal cell carcinoma: presentation, recurrence, and survival. Cancer 2008; 113:1641–1648
11 Reddy S et al., The role of surgery in the management of isolated metastases to the pancreas. Lancet Oncol 2009; 10:287–293