Vorwort 5/12

Sehr geehrte Kolleginnen, sehr geehrte Kollegen!

Während die Lebenserwartung onkologischer Patienten stetig steigt, dürfte Prognosen zufolge die Prävalenz maligner Erkrankungen zunehmen1. Die logischen Folgen sind eine wachsende Anzahl kritisch kranker Krebspatienten und ein damit zunehmender Bedarf an intensivmedizinischer Versorgung. Noch vor 10 bis 20 Jahren wurde eine Aufnahme kritisch kranker Krebspatienten auf die Intensivstation mit skeptischer Zurückhaltung betrachtet. Ursächlich dafür war die zum Teil katastrophal hohe Krankenhausmortalität dieser Patienten im Falle eines Ein- oder Mehrorganversagens. In der Zwischenzeit konnte eine erhebliche Verbesserung der Prognose erreicht werden. Bereits vor 10 Jahren hatte jeder 6. postoperative beziehungsweise jeder 8. internistische Patient an einer europäischen Intensivstation eine maligne Grunderkrankung2. Aktuelle Daten fehlen; es ist jedoch von einem weiteren Anstieg der Zahl und somit auch der Bedeutung dieser Patienten auszugehen.
Insbesondere Patienten, die aufgrund internistischer Probleme aufgenommen werden, präsentieren sich oftmals mit krebsspezifischen Krankheitsbildern und therapieassoziierten Komplikationen, die zu akuten Organdysfunktionen führen und spezielle diagnostische und therapeutische Kenntnisse der Behandelnden voraussetzen (Tabelle 1 im Beitrag Prognose und ICU-Aufnahmekriterien kritisch kranker Krebspatienten). So konnte rezent gezeigt werden, dass bei jedem dritten onkologischen Patienten mit neutropenischer Sepsis eine zusätzliche behandlungsbedürftige Komplikation vorliegt, die auf die onkologische Grunderkrankung oder deren Therapie zurückzuführen ist3.
Die intensivmedizinische Versorgung von Krebspatienten erfordert somit ein hohes Maß an gelebter Interdisziplinarität zwischen Intensivmedizinern und Krebsspezialisten. Intensivmediziner sollten ein solides Basiswissen über maligne Erkrankungen und die typischen Komplikationen von Grunderkrankung und Therapie haben. Hämatoonkologen sollten bei Auftreten von Organdysfunktionen möglichst frühzeitig die Notwendigkeit einer ICU-Aufnahme evaluieren. Beide Seiten sollten die kurzfristigen intensivmedizinischen sowie langfristigen onkologischen Optionen und Perspektiven des jeweiligen Patienten realistisch einschätzen können. Eine gute Zusammenarbeit zwischen Intensivmedizinern und Krebsspezialisten ist die Basis für sinnvolle Aufnahmeentscheidungen, individuelle Therapiezielfestlegungen, gelungenes Patientenmanagement und situationsadaptierte Begrenzungen des intensivtherapeutischen Spektrums mit fließenden Übergängen in ein palliativmedizinisches Setting. Die Aufnahme intensivmedizinischer beziehungsweise hämatoonkologischer Inhalte in den Ausbildungskatalog des jeweils anderen Faches wäre eine erfreuliche Entwicklung, von der die Patienten erheblich profitieren könnten4.
Durch die Gründung von Arbeitsgruppen, die sich mit dem Fachbereich der „hämatoonkologischen Intensivmedizin“ beschäftigen, tragen derzeit gleich mehrere Fachgesellschaften dazu bei, dieses wichtige Thema in den Mittelpunkt zu rücken (Österreichische Gesellschaft für Internistische und Allgemeine Intensivmedizin und Notfallmedizin, ÖGIAIN; Deutsche Gesellschaft für Internistische Intensivmedizin und Notfallmedizin, DGIIN; Deutsche Gesellschaft für Hämatologie und Onkologie, DGHO). Die Initiative bemüht sich durch Vorträge auf hämatoonkologischen und intensivmedizinischen Kongressen sowie durch Publikationen im Fortbildungssegment um die Weitergabe der in diesem Zusammenhang stetig wachsenden Evidenz. Sie möchte auf diesem Gebiet Interessierte zusammenbringen, um einen klinischen Erfahrungsaustausch und zukünftige Forschungstätigkeiten zu ermöglichen und zu fördern. Es gibt bereits mehrere konkrete Projektpläne, unter anderem einen für ein prospektives Register kritisch kranker Krebspatienten.
An der hämatoonkologischen Intensivmedizin Interessierte sind ganz herzlich zu unserem nächsten Treffen eingeladen, das am Rande der „Wiener Intensivmedizinischen Tage“ am Freitag, dem 15. 02. 2013 stattfinden wird. Im Sinne der Planbarkeit freuen wir uns über Voranmeldungen. Für Rückfragen und Anregungen zum Thema stehen wir Ihnen jederzeit unter peter.schellongowski(at)meduniwien.ac.at zur Verfügung.
Wir wünschen den Lesern des Schwerpunktthemas dieser Ausgabe von Spectrum Onkologie eine aufschlussreiche und anregende Lektüre und bedanken uns ganz herzlich bei allen Mitautoren für Ihre Hilfe und Expertise!

1 Brenner H et al., J Clin Oncol 2007; 25(22):3274–80
2 Taccone FS et al., Crit Care 2009; 13(1):R15
3 Zuber B et al., Crit Care Med 2012; 40(1):55–62
4 von Bergwelt-Baildon M et al., BMC Cancer 2010; 10:612