[ÖGPP 2011] Umgang mit Traumatisierungen im CL-Dienst

Das griechische Wort „Tράυμα“ verweist auf „Wunde“. In der Psychologie wird unter „Trauma“ eine von außen einwirkende Verletzung der seelisch- psychischen Integrität verstanden. Entsprechend bezeichnen Fischer & Riedesser als Psychotrauma „… ein vitales Diskrepanzerleben zwischen bedrohlichen Situationsfaktoren und den individuellen Bewältigungsmöglichkeiten, das mit dem Gefühl von Hilflosigkeit und schutzloser Preisgabe einhergeht und so eine dauerhafte Erschütterung von Selbst- und Weltverständnis bewirkt“1.

Ausgangslage

Traumatisierungen ereignen sich in sehr heterogenen Kontexten. Dazu zählen beispielsweise Verluste geliebter Menschen, Unfälle, Erfahrungen von körperlicher und/oder sexueller Gewalt, Kriegs – traumata und Folter. Auch im Rahmen intensivmedizinischer Behandlungssituationen, etwa bei akuter Atemnot oder bei erfolgreicher Wiederbelebung nach Herzstillstand, sind traumatisierende Erfahrungen durchaus häufig2.

Zeitpunkt der Traumatisierung: Neben der Art der Traumatisierung ist für die Verarbeitungsmöglichkeiten das Lebensalter der betroffenen Person von grundlegender Bedeutung. Für den Konsiliar-Liaisondienst (CL-Dienst) ist zusätzlich der Zeitpunkt der Traumatisierung handlungsleitend. Ein traumatisierendes Geschehen kann wie etwa nach einem Verkehrsunfall der aktuelle Grund der stationären Aufnahme sein, das Trauma und damit die Traumatisierung kann andererseits bereits Jahre zurückliegen. Es kann sich hierbei um ein einmaliges Ereignis oder um eine sich über lange Zeit erstreckende kumulative traumatisierende Erfahrung handeln. Neben den zeitlich zurückliegenden Traumata sind für Mitarbeiter eines Konsiliar-Liaisondienstes, speziell in tertiären Versorgungseinrichtungen, auch jene klinischen Situationen nicht selten, bei denen ein Patient sich mit einer bevorstehenden Traumatisierung auseinandersetzen muss. Dies kann beispielsweise bei einer erforderlichen Amputation eines Teiles einer Extremität aufgrund eines ansonsten inkurablen Malignoms zutreffen.

Bekanntlich kann auch die Beobachtung eines traumatischen Ereignisses, potentiell sogar die psychotherapeutische Rolle in der professionellen Begleitung einer traumatisierten Person, traumatisierende Effekte nach sich ziehen. Auch in diesem Sinn ließe sich das Thema des „Umgangs mit Traumatisierung im CL-Dienst“ also verstehen. Der professionelle Umgang erfordert jedenfalls auf Seite des CL-Mitarbeiters neben einem soliden beruflichen Kompetenzhintergrund ein hohes Maß an Reflexionsfähigkeit, -bereitschaft und Selbstfürsorge.

PTSD-Risiko: Insgesamt ist zirka ein Drittel der Bevölkerung im Verlauf des Lebens einem traumatischen Erlebnis ausgesetzt, das ungewollte belastende Erinnerungen und die Vermeidung traumarelevanter Stimuli oder Schreckhaftigkeit zur Folge hat. Ob es zur Entwicklung einer posttraumatischen Belastungsstörung (PTSD) kommt, ist neben der Schwere und der Art des Traumas von einer Reihe zusätzlicher Faktoren abhängig. So erhöhen frühere Traumatisierungen, andere psychische Störungen wie affektive Störungen oder Angsterkrankungen, peritraumatische Dissoziationen, negative idiosynkratische Bewertungen des Traumas und ungünstige Bewältigungsstrategien die Wahrscheinlichkeit der Entwicklung einer PTSD.

Die grundlegende protektive Relevanz von CL-Interventionen im Kontext von Traumatisierung verdeutlicht sich dadurch, dass Traumatisierung neben dem psychischen Leid auch mit körperlichen Krankheiten einhergeht. Unabhängig davon, ob eine PTSD vorliegt oder nicht, leiden Personen mit Traumatisierung im Vergleich zu Personen ohne Traumatisierung häufiger an Angina pectoris, Herzversagen, chronischer Bronchitis und Asthma bronchiale. Einzelne weitere Krankheitsbilder scheinen nur mit Traumatisierung ohne PTSD (etwa Schlaganfall und rheumatoide Arthritis), andere wiederum nur mit PTSD (PAVK) in Verbindung zu stehen3.

Umgang im CL-Dienst

Im Rahmen eines psychosomatisch-psychotherapeutisch orientierten Konsiliar- Liaisondienstes steht im Umgang mit akut traumatisierten Patienten und somit bei Vorliegen einer akuten Belastungssituation der Beziehungsaufbau im Vordergrund. Ganz pragmatisch erfordert dies im klinischen Alltag, etwa bei einem schwer Traumatisierten nach Verkehrsunfall auf einer unfallchirurgischen Abteilung, eine möglichst ungestörte Gesprächssituation herzustellen. Dies setzt ein entsprechend fundiertes Verständnis auf Seite der jeweiligen Abteilung für die Funktion des CL-Dienstes und räumliche Optionen voraus.

Stabilisierung und Vermittlungsfunktion: Im Unterschied zu den früher eher üblichen offensiveren Vorgangsweisen im Umgang mit traumatisierten Menschen wird heute als erste und wichtigste Zielsetzung in der CL-Intervention eine Stabilisierung der psychischen Situation angepeilt. Dies entspricht durchaus einer ersten allgemeinen Phase von Traumabehandlung.

Die psychotherapeutische Interaktion wird demnach so gestaltet, dass der Rückgewinn von Kontrolle erleichtert wird. Das Krankenhaus soll als grundsätzlich sicherer Ort erlebt werden können, der Hilfe und Schutz bietet. Das professionelle Unterstützungs- und Beziehungsangebot durch die im CL-Dienst tätige Person vermittelt Sicherheit und Verlässlichkeit. Der Patient gestaltet und reguliert das aktuelle Interaktionsgeschehen im Rahmen dieser professionellen Beziehung.

Ein Containment dieses Geschehens wird von Seite des CL-Mitarbeiters ermöglicht. Damit wird das Erleben individueller Bewältigungsmöglichkeiten der aktuellen Situation gefördert und selbstregulative Bemühungen werden gestärkt. Es wird sozusagen „ein neues Sicherheitsnetz geknüpft“, das indirekt auch eine Kontextualisierung und damit Eingrenzung der traumatisierenden Erfahrung begünstigt.

Meist kommt das traumatisierende Geschehen zwar früher oder später zur Sprache, dies wird jedoch weder forciert noch unterbunden. Psychoedukative Elemente das Trauma und die Traumafolgen betreffend, etwa hinsichtlich des Auftretens von Intrusionen oder hinsichtlich weiterführender Behandlungsmöglichkeiten, werden in das Gespräch bei Gelegenheit eingebracht und besprochen4.

Bei akuter Traumatisierung kann eine zweite wichtige Funktion des CL-Mitarbeiters bzw. der CL-Mitarbeiterin darin bestehen, die Vermittlungsfunktion zwischen der betroffenen Person und dem Team der jeweiligen Abteilung intensiviert wahrzunehmen. Dadurch können potentielle zusätzliche Traumatisierungen, wie sie im Zuge erforderlicher medizinischer Maßnahmen erlebt werden können, gemeinsam verhindert werden.

Zurückliegende Traumata: Deutlich anders als nach akuten Traumata stellt sich für den CL-Dienst die Situation bei bereits lange zurückliegenden Traumatisierungen dar. Diese können sich manchmal im Zuge eines aktuellen Krankheitsgeschehens und der damit einhergehenden Belastungssituation während des Krankenhausaufenthaltes reaktualisieren und in Erscheinung treten. Eine chronische Traumatisierung kann sich dem CL-Mitarbeiter zudem durch bestimmte sekundäre Folgen wie Alkoholabusus, Angststörung, Depression oder ein somatoforme Störung erschließen. Auch bei diesen lange zurückliegenden oder chronischen Traumata wird im Rahmen des stationären Aufenthaltes in einem Akutkrankenhaus keine konfrontierende Therapie erfolgen können. Die Behandlungsmotivation kann von Seite des Konsiliar-Liaisondienstes gefördert und eine entsprechende Behandlung in die Wege geleitet werden.

resümeeDie Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im CL-Dienst sind häufig mit Menschen mit Traumatisierungen konfrontiert. Im Umgang mit akuter Traumatisierung ist der Aufbau einer tragfähigen therapeutischen Beziehung vorrangig. Diese orientiert sich an den aktuellen Bedürfnissen der betroffenen Person. Das Beziehungsangebot zielt darauf ab, zusätzliche Belastungen zu minimieren, eine gewisse psychische Stabilisierung während des stationären Aufenthaltes zu erreichen und weiterführende Behandlungsoptionen aufzuzeigen bzw. in die Wege zu leiten.

1 Fischer G, Riedesser P, Lehrbuch der Psychotraumatologie. Ernst-Reinhard (UTB), München 1998

2 Krauseneck T, Rothenhäusler HB, Schelling G, Kapfhammer HP. PTSD in somatic disease. Fortschr Neurol Psychiatr 2005; 73(4):206-17

3 Spitzer C, Barnow S, Völzke H et al., Trauma, posttraumatic stress disorder, and physical illness: findings from the general population. Psychosom Med 2009; 71:1012-17

4 Maercker A, Therapie der posttraumatischen Belastungsstörungen. Springer, Berlin 2003