10 Jahre: Andrologie

Erektile Dysfunktion

Der letzte Meilenstein in der Behandlung der erektilen Dysfunktion (ED) fand bereits vor mehr als 20 Jahren mit Einführung der oralen Therapie mit PDE-5-Hemmern statt. Forschung und Studien zu Pathogenese, Epidemiologie, Diagnostik, Prävention und Therapie stehen jedoch keinesfalls still und so brachten auch die letzten 10 Jahre durchaus interessante Erkenntnisse.

ED-Diagnostik: Invasive Untersuchungsmethoden haben spätestens seit Einführung der PDE-5-Hemmer an Bedeutung verloren. Aufgrund der Tatsache, dass die organische ED heute als Symptom einer Vielzahl systemischer Faktoren gilt, orientieren sich Anamnese, Diagnostik und Therapie heute vermehrt auch an den Ursachen dieses Symptoms. Im Vordergrund stehen die interdisziplinäre Abklärung von möglichen Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Diabetes mellitus, Hormonstatus sowie psychischen und neurologischen Erkrankungen. In diesem Zusammenhang wurde in den letzten 10 Jahren eine ausführliche Medikamentenanamnese ein essenzieller Teil der Ursachenforschung. Die Medikamentenlisten unserer Patienten werden immer länger. Eine gezielte Anamnese gibt hier einen ersten Aufschluss über relevante Komorbiditäten, die der Patient selbst vielleicht nicht genannt hätte. Therapierelevant gilt es dann, Pharmaka herauszufiltern, welche die Physiologie der Erektion negativ beeinflussen.
Gerade bei jüngeren Patienten mit ED erlangt die psychosoziale Anamnese wieder den Stellenwert, den sie hatte, bevor mit Schwellkörperinjektionen und später PDE-5-Hemmern tendenziell die sofortige Therapie in den Vordergrund gerückt war. Belastungen durch Arbeitsalltag und Familie nehmen zu, und viele Männer, bei welchen meist kein Hinweis auf eine organische Ursache besteht, stehen unter einem „Leistungsdruck im Bett“. Diese Faktoren summieren sich nicht selten zum primären Symptom ED bei überwiegend psychosozialer Ursache, wobei auch die Partnerschaft in die Anamnese miteinbezogen werden muss. Meist empfiehlt sich dem Facharzt für Urologie die Zuweisung an speziell ausgebildete Psychologen.

ED-Therapie: Die primäre orale PDE-5-Hemmer-Therapie ist auch 2020 Standard. Die oben beschriebenen Aspekte Komorbidität, Einfluss von Medikamenten und psychosoziale Faktoren verdeutlichen jedoch, dass sich die Behandlung nicht auf die Ausstellung eines Medikamentenrezeptes beschränken darf. Mit Stand 2020 bis zu 7 PDE-5-Hemmern (abhängig von landesspezifischer Verfügbarkeit) kann der Urologe heute gemeinsam mit dem Patienten die beste Substanz hinsichtlich Wirkdauer, Einsetzen der Wirkung und Nebenwirkungsprofil auswählen.
Wird im Rahmen der Abklärung ein Testosterondefizit diagnostiziert, führt eine Testosteronersatztherapie auch im Langzeitsetting über mehr als 10 Jahre in Kombination mit PDE-5-Hemmern zu einer signifikanten Steigerung des Therapieerfolges bei gleichzeitiger Optimierung des kardiovaskulären Status und ohne Einfluss auf die Entwicklung eines Prostatakarzinoms.1
Als neue Therapieoption hat sich in den letzten 10 Jahren die „low-intensity“ extrakorporale Stoßwellentherapie (Li-ESWT) etabliert. Erste Metaanalysen zeigen einen positiven Effekt in der Therapie der ED, weitere randomisierte kontrollierte Studien und Langzeitdaten sollten noch abgewartet werden, bevor man in ein Gerät investiert.2
Weiter aktuell bleibt die internationale Empfehlung, alle Therapieoptionen der ED mit dem Patienten zu besprechen, um das beste Ergebnis zu erzielen: Schwellkörperinjektion, intraurethrale Therapie, Vakuumpumpe, Penisimplantat.

ED nach nerverhaltender radikaler Prostatektomie: Seit ersten Untersuchungen zur Optimierung der Regeneration der Erektionsfunktion nach nerverhaltender radikaler Prostatektomie im Jahr 1997 mittels postoperativer Schwellkörpertherapie und später PDE-5-Hemmer sind wir auf diesem Gebiet aktiv. Zuletzt lieferten Studien zur Injektion von Stammzellen in den Schwellkörper verhalten gute Ergebnisse, bis dato wurden jedoch keine 100 Patienten behandelt.3 Bisherige Ansätze zielen jedoch nur auf das Aufrechterhalten der erektionsrelevanten Schwellkörperfunktion ab. Zur besseren Regeneration der Nervenfunktion laufen Studien, klinisch steht uns derzeit keine Intervention zur Verfügung.

Kinderwunsch

Bei männlicher Sub- und Infertilität hat sich in den konservativen und operativen Therapieoptionen wenig geändert. Die mikroskopische testikuläre Spermienextraktion (mTESE) hat sich zu einem Standardverfahren in der Spermiengewinnung bei Azoospermie entwickelt. Neue Erkenntnisse zu vorbereitender Hormontherapie, Varikozelensanierung vor mTESE und Umgang mit gewonnenem Material kamen in den letzten Jahren dazu.4 Hinsichtlich Zeitpunkt einer Operation und Umgang mit gewonnenen Spermien zeigten sich frische und gefrorene Samenzellen als gleichwertig bezüglich Schwangerschaftsrate bei assistierter Reproduktion.
Ein heißes Thema bleibt weiterhin die Therapie der männlichen Subfertilität mit Nahrungsergänzungsmitteln, Antioxidanzien und Vitaminen. Der Markt dieser Substanzen wächst jährlich; die Studienlage bleibt dagegen unzureichend.5 Grund dafür sind unter anderem mangelndes Interesse der ohnehin gutverdienenden Herstellerfirmen, die für solche Studien notwendigen hohen Fallzahlen, inklusive Placebokontrolle, und der oft mangelnde Fokus auf den einzig sinnvollen Endparameter Geburtenrate.
Neu am Horizont sind – zum Teil smartphonebasierte – Kits zur Beurteilung des Ejakulats. Eine Arbeitsgruppe zeigte zuletzt ein Gerät zur Analyse von Hyaluronsäurebindung, Spermienvitalität und DNA-Fragmentierungsrate – alles mit dem eigenen Smartphone, einem Untersuchungskit und einer App. Es zeichnet sich ab, dass derartige Systeme bald in unsere tägliche Praxis Einzug finden werden.6

Vasektomie

Hinsichtlich sicherer Verhütung ohne hormonelle oder invasive Intervention der weiblichen Partnerin bleibt die Vasektomie auch 2020 Goldstandard. Studien zu alternativen Methoden sind zum Teil vielversprechend, keine davon hat jedoch Einzug in den klinischen Alltag gefunden. Zur hormonellen Kontrazeption des Mannes sind Untersuchungen eines Progestingels kombiniert mit einem Testosterongel (Nestorone® und Testosteron, Nes-T) so weit, dass nun größere Studien mit längerer Beobachtungszeit abzuwarten sind.7 Substanzen, die in den Ductus deferens injiziert werden, um einen Spermientransport ähnlich einer Vasektomie zu verhindern (Vasalgel®), befinden sich noch im Stadium bisher erfolgreicher Tierversuche.8 Diese Methode könnte dann durch Injektion einer anderen Substanz reversibel sein.

Hormonmangel

Die positiven Effekte einer Testosteronersatztherapie auf Sexualfunktion, Körpergewicht, Muskelmasse, Psyche und Stoffwechsel sind schon länger bekannt. Eine Langzeitstudie über mehrere Jahre zeigte zusätzlich zu diesen Effekten auch eine Verbesserung von Miktionsbeschwerden (IPSS) und Restharnvolumina.9 Der Anteil junger Männer mit Übergewicht und sekundärem Hypogonadismus scheint in den letzten Jahren zuzunehmen.10 Die hormonelle Situation ist durch Gewichtsverlust reversibel – am eindrucksvollsten nach bariatrischer Chirurgie.11 Männer in dieser Gruppe haben auch auffällig niedrige FSH-Spiegel und fallen nicht selten durch unerfüllten Kinderwunsch auf. Ein symptomatischer Hypogonadismus nach kurativer Therapie eines Prostatakarzinoms kann heute ohne negativen Einfluss auf Mortalität und Rezidivrate behandelt werden.12 Interessant ist auch die hohe Rate eines Testosteronmangels unter chronisch bzw. kritisch kranken Männern. Nach akuter Erkrankung älterer Männer ist dieser sekundäre Hypogonadismus meist reversibel.13 Inwieweit eine Testosteronsubstitution – zum Beispiel auch nach großen operativen Eingriffen – Vorteile bringt, kann aufgrund fehlender Studien noch nicht beantwortet werden.

1 Saad F et al., Aging Male 2020; 23(1):81–92
2 Lu Z et al, Eur Urol 2017; 71(2):223–233
3 He M, von Schwarz ER, Int J Imp
ot Res. 2020 Apr 29; [Epub ahead of print]
4 Flannigan RK, Schlegel PN, Fertility and Sterility 2019; 111 (3):420–426
5 Smits RM et al., Cochrane Database Syst Rev 2019 Mar 14; 3. CD007411
6 Dimitriadis I et al., PLoS One 2019; 14(3):e0212562
7 Anawalt BD et al., Andrology 2019; 7(6):878–887
8 Colagross-Schouten A et al., Basic Clin Androl 2017; 27:4
9 Haider KS et al., J Urol 2018;199(1):257–265
10 Li FP et al., Int J Clin Pract 2020; [Epub ahead of print]
11 Pellitero S et al., Obes Surg 2012; 22(12):1835–1842
12 Pastuszak AW et al., J Urol 2013; 190(2):639–644
13 Iglesias P et al., Endocrine 2015; 48(3):978–984