10 Jahre: urologische Ausbildung

Neue Ausbildungsordnung und Arbeitszeitgesetz*

Was hat sich in den letzten 10 Jahren im Hinblick auf die urologische Facharztausbildung getan bzw. geändert? Grundsätzlich sehr viel – 2015 wurde sowohl eine neue Ausbildungsordnung in Kraft gesetzt als auch das Arbeitszeitgesetz vollzogen. Beides hat meiner Meinung nach die Ausbildung nachhaltig beeinflusst.

Neue Ausbildungsordnung

Durch die neue Ausbildungsordnung mit neun Monaten Basisausbildung, die schon differenziert zwischen konservativer und chirurgischer Laufbahn, wurde die Grundausbildung deutlich reduziert. Auch die Flexibilität in der Auswahl des Fachgebietes wurde deutlich eingeschränkt. Das klinisch praktische Jahr am Ende des Studiums sollte eine Möglichkeit bieten, sich einen Überblick über die möglichen Fachgebiete zu verschaffen, dies war aber im früheren dreijährigen Turnus, den ein Großteil der später in der Urologie Gelandeten absolviert hat, viel leichter möglich, noch dazu, wo die Urologie im Studium und in der Basis­ausbildung nach wie vor ein stiefmütterliches Dasein fristet. Eine vielseitige Grundlage mit internistischer, neurologischer, eventuell pädiatrischer und v. a. gynäkologischer und allgemeinchirurgischer Erfahrung war in vielerlei Hinsicht von Vorteil.

Auswirkungen desArbeitszeitgesetzes 2015

Sicherlich zielt die neue Ausbildungsordnung mit einem umfassenden Rasterzeugnis und mit der so genannten „Sonderfach-Grundausbildung“ und der „Sonderfach-Schwerpunktausbildung“ mit den verschiedenen Spezialmodulen auf eine strukturiertere Ausbildung ab. Diese wird aber durch die ebenfalls 2015 erfolgte Umsetzung des Arbeitszeitgesetzes und der damit verbundenen Arbeitszeitverdichtung und einer z. T. deutlich geringeren zeitlichen Anwesenheit der Auszubildenden während der Kernarbeitszeit konterkariert.
In einem Team von 6 bis 7 Fachärzten, die z. B. in Wien von Gesetzes wegen verpflichtet sind, ein Rund-um-die-Uhr-Dienstrad zu besetzen, bedeutet dies zumindest 4–5 Nachtdienste pro Facharzt pro Monat. Davon sind in der Regel zwei Tage an Wochenenden zu absolvieren. Fünf Dienste bedeuten 125 Arbeitsstunden. Da die Regelarbeitszeit pro Monat zwischen 160 und 176 Stunden beträgt, bleiben 35–51 Stunden für die tägliche Anwesenheit in der Kernarbeitszeit übrig. Das bedeutet letztendlich, dass die Fachärzte pro Monat nur 10–13 Tage (von 20 bis 22 Wochentagen) in der in Wien üblichen Kernarbeitszeit zwischen 8 und 13 Uhr anwesend sind. Dieselbe Rechnung lässt sich auch für Assistenten und Turnusärzte anstellen, die in der Regel ein zweites Dienstrad besetzen müssen.

Eingeschränktes operatives Teaching: Dies zeigt bereits, das speziell in einem chirurgischen Fach die Möglichkeiten des operativen Teachings deutlich eingeschränkt wurden. Man kann sich einfach vorstellen, wie oft der Fall eintritt, dass sowohl der Auszubildende als auch der richtige Ausbildner und der geeignete Patient und Fall gleichzeitig vor Ort und am Operationsprogramm sind, um zum richtigen Ausbildungsstand die geeignete Operation durchführen zu können.Gleichzeitig drängt die Zeit aufgrund des vollen OP-Programmes, weil nicht genügend Anästhesisten zur Verfügung stehen. In den ersten 10 Jahren meiner Zeit im Donauspital haben wir regelmäßig 55–60 Stunden Anästhesiezeit pro Woche zur Verfügung gehabt; seit der Einführung des Arbeitszeitgesetzes sind es 45 Stunden. Die restliche OP-Zeit müssen wir versuchen, mit „lokalen Punkten“ zu füllen. Auch dies beeinflusst nicht unwesentlich die Möglichkeiten zur operativ chirurgischen Ausbildung.

Ausbildungszeit verlängern

Obwohl die offiziell ausgewiesene Arbeitszeit, inklusive der erlaubten Überstunden, an unserer Abteilung im Vergleich zu vor der Einführung des Arbeitszeitgesetzes bei den Ausbildungsassistenten lediglich um 11–13 % abgenommen hat, hat die Anwesenheit an Wochenarbeitstagen im Schnitt um 20 % abgenommen, was letztendlich bedeutet, dass die Ausbildung im Vergleich zu vorher eigentlich um ein weiteres Jahr verlängert werden sollte. Zwar wurde die eigentliche Fachausbildung mit der neuen Ausbildungsordnung von vier auf fünf Jahre verlängert, aber darunter leidet, wie bereits erwähnt, die Basisausbildung und nicht zuletzt auch die Vermittlung chirurgischer Grundlagen.
Eine suffiziente chirurgische Ausbildung kann nur funktionieren, wenn im Team eine entsprechende Harmonie und ein allgemeines Verständnis für die Notwendigkeit der Ausbildung vorliegt und wenn sich jeder Facharzt bemüht, den Assistenten in Ausbildung mit Erfahrung und Geduld zur Seite zu stehen.
Die zeitlichen Einschränkungen, aber auch Spezialisierungen wie die roboter­assistierte Chirurgie bringen es mit sich, dass über eine differenzierte Ausbildung einerseits in Richtung Chirurgie mit Verbleib an einer Abteilung und andererseits mehr konservativ diagnostisch in Richtung Ordinationslaufbahn nachgedacht werden muss. Trotzdem garantiert ein größeres Potenzial an Fallzahlen und Fachärzten nicht automatisch eine suffiziente chirurgische Ausbildung, wenn nur einzelne Kollegen in die operative Ausbildungsschiene gelangen und diese sich später doch für eine Ordinationsniederlassung entscheiden.

Befragung: Es ist andererseits enttäuschend, dass in einer Befragung zur Ausbildungssituation nur knapp 21 % der 158 befragten Ausbildungsassistenten geantwortet haben – davon sind 85 % der Meinung, dass sie zu wenig operieren. 30 % waren der Meinung, dass zu viele Assistenten an ihrer Abteilung tätig sind. Hier sind die Abteilungsleiter in die Pflicht zu nehmen, die im Rahmen der Neufestsetzung mitunter eine unrealistisch hohe Zahl an Ausbildungsstellen für ihre Abteilung angefordert haben, die realistischerweise keine qualitativ hochwertige Ausbildung mehr ermöglicht.
Sicherlich muss in Zukunft vermehrt an die heute bereits fortgeschrittenen technischen Möglichkeiten von Simulatoren und virtueller Realität bei der chirurgischen Ausbildung gedacht werden. Andererseits erscheint es befremdlich, dass, obwohl die meisten Assistenten eine insuffiziente operative Ausbildung beklagen, z. B. die Möglichkeit einer transurethralen endourologischen Trainingseinheit am Simulator nicht angenommen wurde und ein derartiger Kurs aus mangelndem Interesse abgesagt werden musste.

Konsequenzen für Patientenbetreuung: Die durch das Nachtdienstsystem in Kombination mit dem Arbeitszeitgesetz notwendigen Ausgleichszeiten bedingten unregelmäßigen Anwesenheiten führen auch dazu, dass die Kontinuität in der Patientenbetreuung oft nicht gewährleistet ist. Ausbildungsassistenten können ihre Patienten, die sie aufgenommen und primär diagnostiziert oder operiert haben, oft nicht kontinuierlich nachverfolgen, um den Erfolg oder Misserfolg ihrer therapeutischen Maßnahmen zu kontrollieren. Die Kontinuität der Patientenbetreuung ist aber wichtig für den Lerneffekt ebenso wie für den Aufbau eines persönlichen Arzt-Patienten-Verhältnisses, das ebenfalls erlernt werden muss.

Work-Life-Balance – ein kritischer Begriff

Als zusätzlich erschwerender Faktor hat sich in den letzten zehn Jahren z. T. auch die Lebenseinstellung der auszubildenden Generation gezeigt. Die immer wieder strapazierte Work-Life-Balance hat dazu geführt, dass ein Teil der Auszubildenden glaubt, sich in der Freizeit nicht mehr selbst fortbilden zu müssen, weil dies ja zu entlohnende Arbeitszeit sei. Andererseits fühlen sich junge Kollegen oft rasch überfordert, was nicht zuletzt mit mangelndem Wissen zu tun hat.In den heutigen flachen Hierarchien und der zunehmend geringeren Anerkennung von Autorität ist es nicht mehr möglich, jungen Kollegen einfach Aufträge zu erteilen. Als Abteilungsleiter ist man gefordert, das Team zu motivieren. Die Vorbildwirkung ist sehr wichtig geworden, um den Mitarbeitern die Freude an der Arbeit und die Begeisterung für Innovationen zu vermitteln. Der wichtigste Motivationsfaktor ist meiner Meinung nach ein gutes und entspanntes Arbeitsklima, sodass die meist doch hochmotivierten jungen Ärzte täglich mit Freude an ihre Arbeit herangehen und trotz der vielfachen Einschränkun
gen durch bürokratische Administration und Dokumentation den Spaß am Job und am Lernen nicht verlieren.
Ich sehe den Begriff der Work-Life-Bal­ance sehr kritisch, da er die Arbeit automatisch negativ besetzt, indem er sie dem Leben gegenüberstellt. Der Beruf ist aber ein enorm wichtiger Faktor eines befriedigenden Lebens, und hierfür spielt die Arbeitsplatzzufriedenheit eine wesentliche Rolle. Wenn dich das, was du tust, interessiert und erfüllt, dann machst du es auch gut.
Aus eigener Erfahrung aus einer Zeit, als wir als junge Ärzte unvergleichlich mehr gearbeitet haben als heute mit dem Arbeitszeitgesetz, kann ich sagen, dass auch übermäßige Arbeitsstunden nicht zu einem Burn-out geführt haben, weil wir damals aktiver sein konnten, ohne durch eine heute vielfach herrschende Überregulierung und zu viele Dokumentationsverpflichtungen in unseren Möglichkeiten eingeschränkt zu werden. Dadurch gab es auch mehr positives Feedback und Erfolgserlebnisse, die immer weiter motiviert haben. Heute ist es ungleich schwieriger, bereits während der Ausbildung Eigenverantwortung zu erlernen, die, wenn man in die Selbstständigkeit entlassen wird, einen entscheidenden Faktor darstellt.
Die zunehmenden bürokratischen, administrativen und finanziellen Restriktionen führen zu Resignation und zum Verlust an Arbeitsfreude. Durch die Arbeitszeitverdichtung verbleibt vielfach zu wenig Zeit für die eigentliche Arbeit mit und am Patienten. Die massive Anhäufung an Dokumentation hat aber weder zu einer besseren Patientenbehandlung noch zu Kommunikation unter den betreuenden Personen geführt.
Trotz vielfacher Bemühungen, die Ausbildung zumindest am Papier besser zu strukturieren und zu kontrollieren, ist der Verbesserungsversuch bisher an den zeitlichen und strukturellen Rahmenbedingungen gescheitert. Trotzdem lässt sich in einem harmonischen Team mit der entsprechenden Motivation und Einstellung eine qualitativ gute Ausbildung bewerkstelligen. Diesbezüglich hat sich in den letzten 10 Jahren nichts geändert.

 


Pro futuro**

Die Urologie steht in naher Zukunft vor wesentlichen Herausforderungen, die vor allem den Erhalt der Kompetenz in Spezialgebieten sowie zeitgleich die Sicherung einer fundierten, breiten Ausbildung über das gesamte Fachgebiet der Urologie und Andrologie hinweg beinhalten. Die Änderung der Ausbildungsordnung vor einigen Jahren und die damit verbundene Einführung eines Modulsystems hat für mehr Struktur im Ablauf der Facharztausbildung gesorgt; auf vielen Gebieten bleibt jedoch weiterhin Raum und auch Notwendigkeit für Gestaltung.

Operative Ausbildung: Ein wesentlicher Punkt ist die operative Ausbildung, die vor Kurzem vom „Arbeitskreis der AssistenzärztInnen“ im Rahmen einer österreichweiten Befragung evaluiert wurde. Der nachvollziehbare und wiederholt geäußerte Wunsch nach vertiefter chirurgischer Ausbildung kollidiert offenbar mit den Erfordernissen des Arbeitszeitgesetzes und den heterogenen Fallzahlen der einzelnen Abteilungen. Um dieses strukturelle Defizit zu kompensieren, wird man in Zukunft neue Wege einschlagen müssen, die durchaus auch Eigeninitiative erfordern. Ein Beispiel ist hier das selbstständige Training am Simulator bzw. am TUR- oder Laparoskopie-Trainer, um bessere Voraussetzungen für die darauffolgende tatsächliche Operation unter Anleitung durch einen erfahrenen Operateur zu schaffen. Auch die Einführung von Robotersystemen als strukturelle Maßnahme kann hier Teil der Lösung sein, da hierdurch die Lernkurve bei laparoskopischen Eingriffen deutlich verkürzt werden kann. Somit können hier nicht nur Vorteile für die Patienten erreicht werden, sondern es können auch Defizite auf dem Gebiet der chirurgischen Ausbildung kompensiert werden. Nicht zuletzt aber werden wir künftig den Personaleinsatz derart optimieren müssen, sodass Ausbildungsärzten durch eine Reduktion administrativer oder nichtärztlicher Tätigkeiten mehr Gelegenheit zur Vertiefung der fachspezifischen Fertigkeiten gegeben wird.
Eine früh im Laufe der Facharztausbildung zu planende Aufteilung in operative und konservative Fachärzte wurde seit vielen Jahren immer wieder in den Raum gestellt und auch immer wieder verworfen. Vonseiten der Ausbildungsordnung ist festzuhalten, dass eine derartige Aufteilung derzeit weder vorgesehen noch möglich ist, und die Erfahrung zeigt, dass medizinische Karrieren oft auch erstaunliche Wendungen nehmen können. Somit muss zum Erhalt der Expertise, vor allem an kleinen Abteilungen, die chirurgische Ausbildung breit aufgestellt werden, sodass eine rein konservative Ausrichtung einer einzelnen Person de facto kaum umsetzbar ist.

Die Austrian School of Urology

Neben diesen strukturellen Maßnahmen wird der berufliche Erfolg als Mediziner in Zukunft jedoch auch vermehrt auf Eigeninitiative basieren. Unterstützende Maßnahmen wie die von der Österreichischen Gesellschaft für Urologie und Andrologie ins Leben gerufene Austrian School of Urology, aber auch die zahlreichen, breit gefächerten Ausbildungsveranstaltungen der Arbeitskreise und des auch sehr aktiven Arbeitskreises der AssistenzärztInnen bieten einen guten Grundstock an theoretischer Ausbildung und eine gute Basis für die persönliche Weiterbildung. Umso verwunderlicher ist die mit 20 % sehr geringe Rücklaufquote der kürzlich durchgeführten Ausbildungsevaluierung, die in diametralem Gegensatz zu der eigentlich erforderlichen Dynamik und Eigeninitiative steht, liegt es doch im ureigensten Interesse der jungen Mediziner, sich selbst aus- und fortzubilden.

„Randgebiete“ der Urologie in den Fokus: Um die Ausbildung umfassend zu gestalten und vor allem um „Randgebiete“ der Urologie wieder in den Fokus zu rücken, wird seit geraumer Zeit eine Rotation der Ausbildungsassistenten zwischen den einzelnen Abteilungen gefordert. Diese wird in Zukunft vor allem zur Kompetenzerhaltung, aber auch aus Gründen der öffentlichen Wahrnehmung zwingend erforderlich sein, speziell auf den Gebieten der Kinderurologie und der Urogynäkologie. Nicht zuletzt aus diesem Grund wurde in das Curriculum der Austrian School of Urology eine kinder­urologische Basisausbildung aufgenommen. Neben diesen Fachschwerpunkten gibt es aber auch operative Techniken, die aufgrund von Schwerpunktsetzungen am besten im Rahmen von Rotationen erlernt werden, wie etwa die Steintherapie mittels ESWL oder auch minimalinvasive Operationstechniken wie Laparoskopie oder roboterunterstützte Chirurgie. Hier liegt es vor allem in der Verantwortung der leitenden Ärzte, für die organisatorischen Rahmenbedingungen Sorge zu tragen und solche Rotationen bzw. Austauschprogramme zu ermöglichen.

Erfahrungsschatz und Wissensdurst: Es liegt ganz selbstverständlich in unserer Verantwortung als Ärzte, unseren Erfahrungsschatz und unser Können an die nachfolgende Generation weiterzugeben. Genauso wie Ausbildung ihre Zeit und ihren Raum erfordert, so erfordert sie aber auch Wissensdurst und den Wunsch, sich weiterzuentwickeln – manchmal in kleineren Schritten, manchmal in großen Sprüngen. Auf diesem Wissen kann man schließlich aufbauen, eigene Ideen entwickeln und verfolgen, Projekte verwirklichen, Erfolge erleben und eine Begeisterung für die Tätigkeit als Arzt entwickeln, die man selbst wiederum an die nächste Generation weitergeben kann.