Antidepressiva und kardiovaskuläre Erkrankungen


Introduktion

Depression erhöht wesentlich das Risiko der Entstehung einer Herzerkrankung. Nach einem kardiovaskulären Ereignis entwickeln PatientInnen häufig depressive Episoden. Der Konnex erfordert eine intensive Auseinandersetzung mit dieser klinischen Konstellation.

Ätiopathogenese

Der Zusammenhang zwischen Depression und kardiovaskulärer Erkrankung ist eindeutig und hochrelevant (Rudisch et Nemeroff 2003, van der Kooy et al. 2007). Als Risikofaktor übertrifft eine depressive Episode klassische Stressoren wie Hypertonie, Nikotinabusus, Diabetes mellitus oder Hyperlipidämie (Rugulies 2002). Insbesondere nach Myokardinfarkt sind PatientInnen mit anschließender depressiver Episode einem vielfachen Mortalitätsrisiko ausgesetzt (Lett et al. 2004). Die ätiopathogenetischen Mechanismen lassen sich im Wesentlichen in den folgenden Kategorien zusammenfassen: Störung der Hypothalamus-Hypophysen-­Nebennierenrinden-Achse (HPA-Achse), vegetative Dysregulation, Verminderung der Herzfrequenzvariabilität, Alterationen der Thrombozytenaggregation, proimflammatorische Mechanismen bzw. Verhaltensänderung (Brotman et al. 2007). Neue neurobiologische Befunde zeigen zum Beispiel eine Korrelation zwischen Störungen der Emotionsregulation (Kuppelung der Aktivität von Amygdala und anteriorem Zingulum) und der Intima-Dicke der Arteria carotis von Individuen (Gianaros et al. 2009). Ein wesentlicher Faktor dürfte auch die Benachteiligung von PatientInnen mit psychischen Erkrankungen in der medizinischen Versorgung darstellen (Prince et al. 2007). Das klinische Management von PatientInnen im Spannungsfeld von affektiver und kardialer Erkrankung stellt eine klinische Herausforderung dar und bedarf einer spezifischen therapeutischen Strategie (Kapfhammer 2011). Diese erfordert eine enge Zusammenarbeit zwischen Fachärzten/Fachärztinnen für Innere Medizin und für Psychiatrie und psychotherapeutische Medizin.

Psychopharmakotherapeutische Implikationen

Die Therapie einer depressiven Symptomatik von PatientInnen mit kardialen Erkrankungen bzw. mit Risikofaktoren für eine diese ist von besonderer medizinischer Bedeutung. Eine zentrale Rolle nimmt die psychopharmakologische Strategie ein. Nicht alle Antidepressiva sind in dieser klinischen Situation gleichermaßen von Vorteil. Generell senkt die Verordnung von Antidepressiva die Mortalität sowie das Risiko eines Auftretens von kardialen Ereignissen, vorausgesetzt diese werden auch tatsächlich eingenommen (Scherrer et al. 2011). Dennoch sollten trizyklische Antidepressiva auf jeden Fall vermieden werden, da diese signifikante kardiotoxische Effekte zeigen (Taylor 2008). Selektive Serotonin- Wiederaufnahme-Hemmer (wie Citalopram, Escitalopram, Fluoxetin, Paroxetin, Sertralin) zeigen den deutlichsten Effekt im Sinne einer protektiven Wirkung, wahrscheinlich aufgrund ihrer inhibitorischen Wirkung auf die Thrombozytenaggregation (Birkhofer 2006, Kasper et Psota 2010). Noradrenerge Antidepressiva (wie Reboxetin, Venlafaxin, Duloxetin) sollten bezüglich potenzieller prohypertensiver Wirkungen mit entsprechender Kontrolle des Blutdruckes verwendet werden (Taylor 2008). Mirtazapin, ein Noradrenalin- und Serotonin-spezifisches Antidepressivum, sollte bezüglich seiner ungünstigen metabolischen Nebenwirkungen (z. B. Gewichtszunahme) gezielt verwendet werden.
Nachdem die Therapie von PatientInnen mit affektiver Störung und kardialer Erkrankung in der Regel eine polypharmazeutische Einstellung impliziert, ist auf Interaktionen besonders zu achten. Hinsichtlich pharmakokinetischer Wechselwirkungen, also zum Beispiel Alterationen der Plasmaspiegel durch Beeinflussung der Metabolisierung über das CYP-450-System, gibt es signifikante Unterschiede zwischen den Substanzen. In der Gruppe der SSRI haben Citalopram, Escitalopram und Sertralin ein deutlich günstigeres Profil als zum Beispiel Fluoxetin und Paroxetin. Als CYP-2D6-Inhibitoren würden die beiden zuletzt Genannten in einer Kombination mit CYP-2D6-Substraten, wie etwa den β-Blockern Carvedilol, Metoprolol, Nebivolol, Propranolol und Timolol, deren Plasmakonzentration signifikant erhöhen (Anditsch et al. 2010). Bezüglich pharmakodynamischer Interaktionen sollte bei der Verordnung von SSRI in der Kombination mit Gerinnungshemmern wie Azetylsalizylsäure und Clopidogrel an deren Wirkung auf die Thrombozytenfunktion bzw. in der Kombination mit ACE-Hemmern und Diuretika das potenzielle Auftreten von Hyponatriämien bedacht werden (Anditsch et al. 2010). Ein erhöhtes Blutungsrisiko unter SSRI ist nur für gastrointestinale Erkrankungen beschrieben worden, daher sollte einem NSAR-Abusus vorgebeugt und Gastroprotektiva verordnet werden (Strubel et al. 2010). Eine Übersicht über die CYP-450-Interaktionen zentraler Antidepressiva ist in der Tabelle aufgelistet (Kasper et Psota 2010).
In den letzten Monaten wurden die Fachinformationen der beiden Substanzen Citalopram und Escitalopram auf potenzielle Verlängerungen der QTc-Zeit erweitert. In diesem Zusammenhang muss darauf hingewiesen werden, dass diese vor allem unter Escitalopram in einem moderaten Ausmaß auftritt, in der Standarddosierung von 10 mg/Tag um durchschnittlich 4,3 ms (Wenzel-Seifert et al. 2011, Fachinformation Escitalopram). Aus diesem Grund wurden von einer führenden Fachgesellschaft, der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde (DGPPN), die Modifikationen bezüglich Dosierung und Kontraindikation als überzogen bezeichnet (Gründer et al. 2012). Die FDA entschloss sich, auf einen Warnhinweis für Escitalopram zu verzichten. Klinisch ist es bedeutsam, dass QTc-Verlängerungen bei zahlreichen Psychopharmaka auftreten können. Bei PatientInnen mit kardialen Vorerkrankungen sollte, daher EKG- Kontrollen vor und nach Einstellung bzw. nach Dosistitration erfolgen. Zudem empfiehlt sich die Kontrolle der Plasmaelektrolyte im Falle eines Verdachtes auf Hypokaliämie und Hypomagnesiämie. Kombinationen mit QTc-verlängernden Substanzen (unter anderem Vertreter der Antibiotika, Antiarrhythmika, typischer und atypischer Antipsychotika, trizyklischer Antidepressiva, älterer Antihistaminika und anderer Substanzen) sollten in diesem Fall vermieden werden. Inzwischen äußerten sich auch die Österreichische Gesellschaft für Neuropsychopharmakologie und Biologische Psychiatrie (ÖGPB) und die Österreichische Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie (ÖGPP) in einem gemeinsamen Statement zur aus deren Sicht überzogenen und revisionsbedürftigen Empfehlung der European Medical Agency (EMA). In der Stellungnahme werden auch Daten der Österreichischen Gesellschaft für Arzneimittelsicherheit in der Psychiatrie (ÖAMSP) zitiert, in denen bei keiner/keinem der über 57.000 beobachteten PatientInnen Escitalopram als primäre Ursache für eine kardiale Nebenwirkung eingestuft wurde. In zwei Fällen (einmal unter Sertralin, einmal unter Fluoxetin) waren kardiale Arrhythmien aufgetreten, jedoch keine Torsade-de-Pointes-Tachykardien (Haring et al. 2012).

 

 

Psychotherapeutische Implikationen

In der größten Studie zu psychotherapeutischen Effekten konnte keine Senkung der Sterblichkeit von PatientInnen nach Myokardinfarkt gezeigt werden (Berkman 2003). Im Gegensatz dazu verminderte die Verordnung von Sertralin in der Subgruppe der schwer depressiven PatientInnen die Mortalität um 40 % (Taylor et al. 2005). Dennoch sollten psychotherapeutische Verfahren gezielt eingesetzt werden, um das Ziel einer Vollremission der Depression zu erreichen, da ohne diese keine Verbesserung der Prognose zu erwarten ist (O’Connor et al. 2008).

Konklusion

Nachdem eine unbehandelte Depression das Risiko für eine kardiovaskuläre Erkrankung erhöht bzw. deren Prognose verschlechtert, ist eine adäquate therapeutische Strategie unumgänglich. Selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer sind sicher in der Verordnung und senken die Mortalität. Bei der Wahl des Psychopharmakons ist auf das Interaktionsprofil und die Komedikation zu achten. Ziel ist die Vollremission der Depression.

 

Referenzen:
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