Orale Antikoagulation – Ist das Patientenselbstmanagement noch „State of the Art“?


In Österreich sind derzeit ca. 60.000 Patienten auf eine lebenslange orale Antikoagulation (OAK) angewiesen. Eine lebenslange OAK ist zur Sekundärprophylaxe nach venösen Thromboembolie (z. B. tiefe Beinvenenthrombose, Lungenembolie) sowie zur Primärprophylaxe zur Prävention von embolischen Schlaganfällen bei Patienten mit chronischem Vorhofflimmern oder künstlichen Herzklappen indiziert. In diesen Indikationen ist eine lebenslange OAK sehr effektiv und führt zu einer relativen Risikoreduktion von thromboembolischen Ereignissen um 60–80 %. 

Vitamin-K-Antagonisten (wie z. B. Marcoumar® oder Sintrom®) waren über viele Jahrzehnte die einzige Möglichkeit, die für eine orale Antikoagulationstherapie zur Verfügung stand. Ihr enges therapeutisches Fenster (Abb.), ungünstige pharmakologische Eigenschaften und Arzneimittelinteraktionen sind jedem Arzt und den betroffenen Patienten bekannt. Regelmäßige Gerinnungskontrollen durch Bestimmung der International Normalized Ratio (des INR-Wertes) und exakte Einstellung sind uns allen selbstverständlich.

 

 

Zu einem überwiegenden Anteil werden diese Gerinnungskontrollen von niedergelassenen Ärzten oder in Spitalsambulanzen durchgeführt. Nur etwa 10 % der Patienten unter lebenslanger OAK in Österreich betreiben das Patientenselbstmanagement. Patientenselbstmanagement bedeutet, dass Patienten ihren INR-Wert mit ihrem portablen Messgerät kontrollieren und eventuell notwendige Dosisanpassungen selbst durchführen.

Selbstmanagement empfohlen: In einer kürzlich publizierten Metaanalyse konnte gezeigt werden, dass das Patientenselbstmanagement der OAK zu einer besseren Therapiequalität (Steigerung der INR-Werte im therapeutischen Zielbereich) sowie zu einer deutlichen Reduktion von Thromboembolien im Vergleich zum herkömmlichen Therapiemonitoring führt. In den aktuellen Leitlinien wird daher die Empfehlung ausgesprochen, dass allen Patienten, die dazu in der Lage sind, das Selbstmanagement der OAK angeboten werden sollte.

Qualität durch Schulung: In Österreich werden Schulungen für das Patientenselbstmanagement der OAK durch die Schulungszentren der österreichischen Arbeitsgruppe für das Selbstmanagement der oralen Antikoagulation (ÖASA) durchgeführt. Es gibt derzeit 28 Schulungszentren der ÖASA und über 6.000 geschulte Patienten in Österreich. Eine österreichweite Erhebung ergab eine sehr hohe Qualität der Schulungen sowie eine hervorragende Therapiequalität des Patientenselbstmanagements mit INR-Werten im therapeutischen Bereich von über 80 %.

Neue Substanzen: Seit Kurzem stehen uns neue Gerinnungshemmstoffe, die unter dem Begriff „neue orale Antikoagulantien“ zusammengefasst werden, zur Verfügung. Diese weisen zwei unterschiedliche Wirkmechanismen auf und werden daher in zwei Substanzklassen unterteilt: Zur Klasse der Thrombin-(Faktor IIa)-Inhibitoren gehört das Dabigatran (Pradaxa®) und zur Klasse der Faktor-Xa-Inhibitoren gehören die Substanzen Rivaroxaban (Xarelto®), Abixaban (Eliquis®) sowie Edoxaban (Lixiana®). Edoxaban ist derzeit ausschließlich in Japan zur Thromboseprophylaxe zugelassen – auf diese Substanz wird daher nicht weiter eingegangen.
Diese zwei Substanzklassen haben wesentliche gemeinsame Eigenschaften: Sie können oral verabreicht werden, haben einen raschen Wirkungseintritt, eine Halbwertszeit von ca. 12 h und werden in fixer Dosierung ohne routinemäßige Gerinnungskontrollen und Dosisanpassung verabreicht. Die Faktor-Xa-Inhibitoren werden zu einem Drittel renal eliminiert, der Thrombininhibitor Dabigatran hingegen zu 85 %. Insbesondere bei Patienten mit eingeschränkter Nierenfunktion kann es daher zu einer klinisch relevanten Kumulation von Dabigatran im Blut kommen (Tab. 1).

 

 

Benefits und Probleme: Ergebnisse von großen klinischen Studien zeigen, dass die neuen oralen Antikoagulantien sicher und effektiv in der Vermeidung von thromboembolischen Ereignissen sind. Diese Phase-III-Studien haben zur Zulassung dieser Substanzen für eine Vielzahl von Indikationen geführt (Tab. 2).

 

 

Ein großes Problem im praktischen Umgang mit den neuen oralen Antikoagulantien ist, dass es durch diese neuen Substanzen in Abhängigkeit von ihrer Plasmakonzentration zu einer massiven Veränderung der Globaltests der Gerinnung kommt (Tab. 3).

 

 

Aufgrund ihrer großen therapeutischen Breite sind routinemäßige Gerinnungskontrollen normalerweise überflüssig. Es gibt jedoch Situationen im klinischen Alltag, die die Bestimmung der Plasmakonzentrationen der neuen Antikoagulantien notwendig machen: zur Abschätzung von Restspiegeln vor einem dringlichen operativen Eingriff, zur Abschätzung ihres aktuellen Beitrags zu einer unbeherrschbaren Blutung oder beim Verdacht einer akzidentiellen Überdosierung. Um in derartigen Fällen die Dabigatran- bzw. Rivaroxaban-Plasmakonzentration bestimmen zu können, gibt es mittlerweile auch entsprechend validierte Gerinnungstests (z. B. eine standardisierte und verdünnte Thrombinzeit (Hemoclot®) für die Bestimmung der Dabigatran-Plasmakonzentration bzw. eine spezifische Anti-Faktor-Xa-Aktivitätsmessung (Biophen® DiXa-I) für die Bestimmung der Rivaroxaban-Plasmakonzentration).
Für gewisse klinische Entscheidungsfindungen (z. B. vor elektiven Eingriffen) wird aber der Umkehrschluss bereits ausreichen: Eine normale Routine-Thrombinzeit schließt einen klinisch bedeutsamen Restspiegel von Dabigatran zuverlässig aus. Eine Routine-Anti-Faktor-Xa-Aktivitätsmessung (mit einem herkömmlichen Kalibrator für den Nachweis von niedermolekularem Heparin kalibriert), die einen Wert um 0,0 IU/ml anzeigt, schließt einen klinisch bedeutsamen Restspiegels eines Anti-Faktor-Xa-Inhibitors aus.

FAZIT: Die neuen Antikoagulantien haben neben ihren Vorteilen auch einige Nachteile (Kosten, kein Antidot, Ausscheidung über die Niere, Langzeit-Compliance etc.) gegenüber Vitamin-K-Antagonisten, sodass Patienten, die unter einer laufenden Therapie mit einem Vitamin-K-Antagonisten gut eingestellt sind (d. h. eine Zeit im therapeutischen Bereich von über ­70 % aufweisen), nicht auf eines dieser neuen oralen Antikoagulantien umgestellt werden sollen.
Auch in Zeiten, in denen die neuen Antikoagulantien ihren Einzug in die klinische Routine finden, ist das Patientenselbstmanagement der OAK mit Vitamin-K-Antagonisten nach wie vor eine sehr effektive und sichere Therapieform für Patienten unter lebenslanger oraler Antikoagulation und hat daher einen fixen Stellenwert im klinischen Alltag.