Chirurgische Therapie

Die koronare Herzerkrankung (KHK) als Ausdruck eines atherosklerotischen Prozesses
ist mit der Überalterung der Bevölkerung eng verbunden. Der Anstieg der Lebenserwartung geht mit einer Erhöhung der Inzidenz sowohl der KHK als auch der mit KHK assoziierten kardialen Erkrankungen einher, u. a. der ischämischen Kardiomyopathie sowie der Mitralinsuffizienz ischämischer Genese.Unstrittig bleibt die Annahme, dass auch in der näheren Zukunft immer mehr ältere Patienten eine interventionelle bzw. chirurgische Therapie der KHK in Anspruch nehmen werden und somit die Altersgrenze für dieser Art der Behandlung nach oben verschieben. Diese Tendenz spiegelt sich in einem Anstieg der Patienten > 80 Jahre wider, die sich einer koronaren Bypassoperation unterziehen.

Um die aktuelle Situation besser erläutern zu können, sollte man folgende Fakten berücksichtigen:
1. Die konservative medikamentöse Therapie der KHK bietet eine breite Palette etablierter Medikamente, die sich aus medizinischer und gesundheitsökonomischer Sicht bewährt haben.
2. Ein richtiger Durchbruch in der medikamentösen Behandlung der KHK (somit ist
nicht die Primär- oder Sekundärpräven – tion gemeint) ist sehr unwahrscheinlich.
3. Die Qualität und Akzeptanz der primären und fachspezifischen Diagnostik durchdringen die Mehrheit der Bevölkerung.
4. Die interventionelle Behandlung der KHK zeigt durch die Fortschritte im Bereich
der Stentindustrie sowie der benötigten antithrombozytären Therapie eine deutliche
Verbesserungstendenz.

Es stellt sich somit die Frage, inwieweit die Rolle der Chirurgie durch die Verbesserung der nicht-chirurgischen Behandlung und in Anbetracht der zunehmenden Notwendigkeit
einer Kostenreduktion im Gesundheitsbereich noch von Bedeutung bleibt.

In diesem Zusammenhang dürfen wir folgende Bemerkungen machen: Die koronare Bypasschirurgie hat in den letzten Jahrzehnten enorme Fortschritte in Hinblick auf die Verbesserung der perioperativen Ergebnisse zu verzeichnen. Die zweifellos notwendige Standardisierung des operativen Ablaufs sowie und vor allem die Etablierung qualitätssichernder Maßnahmenhaben die perioperative Fehlerquoten deutlich gesenkt. Eine standardisierte Abklärung der Patienten, die Entwicklung und kontinuierliche Evaluierung von Risiko-Scores (EuroSCORE I und zuletzt II) sowie die stetige Überprüfung chirurgischer Interventionen mit diagnostischen Tools (routinemäßige transösophageale Echokardiografie, Evaluierung der Hirnperfusion an der Herzlungenmaschine mittels Near Infrared Spectrometry, Real-Time-Bypass-Graft-Flussmessungen) sind Beispiele der Entwicklungen im operativen Bereich, die zweifellos zu einer Verbesserung der perioperativen Ergebnisse der Herzchirurgie geführt haben.
Ferner zeigen nicht nur die perioperativen, sondern auch die Langzeitergebnisse der Koronarchirurgie eine substanzielle Besserung. In einer Medicare-Analyse von über 10.000 Patienten > 80 Jahre waren die Ergebnisse der Bypasschirurgie gegenüber der perkutanen Intervention hinsichtlich Überleben und Major Cardiac and Cerebral Events (MACCE) deutlich überlegen. Eine wesentliche Rolle in dieser Entwicklung spielt ziemlich sicher die Verwendung der linken Arteria thoracica interna (LITA) für die Überbrückung des Ramus interventricularis anterior.1 Da der Graft kaum atherosklerotische Veränderungen
aufweist, bleibt seine Qualität auch in diesem Patientengut (> 80 Jahre) exzellent, sodass seine Verwendung bei diesen Patienten nach dem Motto „LIMA for life“ empfohlen wird (LIMA: linker Arteriamammaria-interna-Bypass). Die Verwendung eines zweiten arteriellen
Grafts für dieses Patientengut kann von der heutigen Datenlage nicht unterstützt werden. In der Statin-Ära zeigen die Ergebnisse der venösen Grafts mit einer Offenheitsrate von  70 % nach 10 Jahren ebenfalls eine deutliche Verbesserung.
Im Sinne einer Risikominimierung und einer für ältere Patienten sehr bedeutsamen möglichst frühen Rehabilitation werden in ausgewählten Zentren Hybridverfahren angeboten. Diese Verfahren beinhalten die Versorgung des Ramus interventricularis anterior mittels LITA sowie perkutane Interventionen bei Nicht-LAD-Zielen mittels Stentimplantation. Die Durchführung solcher Prozeduren ohne Verwendung der Herzlungenmaschine (MIDCAB-Operation) kann auch bei Hochrisikopatienten mit exzellenten Ergebnissen angewendet werden.2

Folgende Eckpunkte der modernen chirurgischen Behandlung der KHK im Alter sind in diesem Sinne für die Auswahl der optimalen Therapie auschlaggebend:
1. der interdisziplinäre Zugang unter Berücksichtigung aller Besonderheiten jedes einzelnen Patienten
2. eine objektivierbare Nutzen-Risiko- Abwägung
3. die komplette Revaskularisation sollte angestrebt werden
4. Minimierung des Behandlungsrisikos („collateral damage“)

Fact Box

• Das Durchschnittsalter der Patienten mit einer koronaren Herzerkrankung steigt, somit steigt das Alter der Patienten, die sich einer koronaren Bypassoperation unterziehen.
• Die prä-, peri- und postoperative Behandlung älterer Patienten mit KHK haben sich deutlich gebessert.
• Die Kurz- und Langzeitergebnisse der Bypasschirurgie sind den aktuellen PCI-Ergebnissen überlegen.
• Eine interdisziplinäre Evaluierung zur Selektion der optimalen Therapie ist für Patienten mit KHK aktueller denn je.

1 Sheridan B.C., Stearns S.C., Rossi J.S., D’Arcy L.P., Federspiel J.J., and Carey T.S.:
Three-year outcomes of multivessel revascularization in very elderly acute coronary
syndrome patients. Ann Thorac Surg 2010; 89 (6):1889-1895
2 2011 ACCF/AHA Guideline for Coronary Artery Bypass Graft Surgery. J Am Coll Cardiol 2011; 58 (24)