Niereninsuffizienz und Vorhofflimmern

Sowohl Vorhofflimmern als auch Niereninsuffizienz sind Erkrankungen, deren Häufigkeit mit dem Alter zunimmt. Auch Ätiologie und Pathogenese sind ähnlich: Bei beiden Erkrankungen spielt die langjährige Hypertonie eine große Rolle. Ob zusätzliche inflammatorische Komponenten mitbeteiligt sind, wird derzeit diskutiert, einen Beweis gibt es allerdings noch nicht.

Häufigkeit von Niereninsuffizienz bei Vorhofflimmern: Im AURICULA-Register, einem schwedischen Register, in dem alle Patienten aus der Region Malmö erfasst wurden, die wegen Vorhofflimmerns oral antikoaguliert werden, hat man die Nierenfunktion mittels der Ermittlung der glomerulären Filtrationsrate (GFR) gemessen. Es handelte sich um 2.603 Patienten mit einem mittleren Alter von 75 Jahren und einem Frauenanteil von 42 %. In diesem Register hatten 4,3 % der Patienten eine GFR < 30 ml/min/1,73 m2 und 16 % < 45 ml/min/1,73 m2. Die GFR verminderte sich mit ansteigendem Alter: Unter den ≥ 75-Jährigen hatten 5,6 % eine GFR < 30 ml/ min/1,73 m2 (Jönsson).
Unter hospitalisierten Patienten mit Vorhofflimmern ist der Anteil niereninsuffizienter Patienten noch höher, wie auch eine Querschnittsstudie mit 100 konsekutiven Patienten (mittleres Alter 74 Jahre, 47 % weiblich) zeigt, die wegen Vorhofflimmerns im Dezember 2009 an der 2. Medizinischen Abteilung der Krankenanstalt Rudolfstiftung, Wien, aufgenommen worden waren. Von den 100 Patienten hatten 9 eine GFR < 30 ml/min/ 1,73 m2, 12 eine GFR von 30–45, 21 eine GFR von 46–59, 42 eine GFR von 60–89 und nur 16 Patienten eine normale Nierenfunktion mit einer GFR ≥ 90 ml/min/1,73 m2 (Höllerl).

Klinische Relevanz von Niereninsuffizienz bei Vorhofflimmern: Vorhofflimmern-Patienten mit Niereninsuffizienz haben nach Ablation ein höheres Rezidivrisiko als Patienten mit normaler Nierenfunktion (Naruse).
Darüber hinaus gibt es Hinweise aus einem großen schwedischen Register, dass die Thromboembolie-Rate bei Vorhofflimmern und Niereninsuffizienz größer ist als bei Vorhofflimmern ohne Niereninsuffizienz (Friberg). Erklärt wird diese erhöhte Thromboembolie-Rate durch eine höhere kardiovaskuläre Komorbidität niereninsuffizienter Patienten gegenüber solchen ohne Niereninsuffizienz.
Blutungskomplikationen unter oraler Antikoagulation mit Vitamin-K-Antagonisten sind ebenfalls häufiger bei niereninsuffizienten als bei nicht-niereninsuffizienten Patienten. Dies findet auch Berücksichtigung bei der Berechnung des HAS-BLED-Scores zur Abschätzung des Blutungsrisikos unter oraler Antikoagulation mit Vitamin-K-Antagonisten. HAS-BLED ist eine Abkürzung für: „Hypertension, Abnormal Renal/Liver Function, Stroke, Bleeding History or Predisposition, Labile INR, Elderly, Drugs/Alcohol Concomitantly“ (Lip).
Als praktische Konsequenz aus diesen Daten ergibt sich, dass Patienten mit Vorhofflimmern und Niereninsuffizienz oral antikoaguliert werden sollten, infolge des erhöhten Blutungsrisikos aber einer besonders sorgfältigen Kontrolle der oralen Antikoagulation bedürfen.

Vorsicht beim Einsatz von Dabigatran! Dabigatran, ein oraler Thrombininhibitor, wurde kürzlich zur Thromboembolie-Prophylaxe bei Patienten mit Vorhofflimmern zugelassen. Dabigatran wird renal eliminiert und die Dauer der Halbwertszeit ist abhängig vom Alter und der Nierenfunktion des Patienten. Bisher gibt es wenig Erfahrung beim Einsatz von Dabigatran bei betagten (> 80-Jährigen) Patienten und bei Patienten mit Niereninsuffizienz. Da sich die Gerinnungshemmung durch Dabigatran im klinischen Alltag kaum messen lässt und kein Antidot zur Verfügung steht, sollte bei Vorhofflimmern und Niereninsuffizienz einer Antikoagulation mit Vitamin-K-Antagonisten der Vorzug gegeben werden.

 

Literatur:
– Jönsson K.M. et al.: Glomerular filtration rate in patients with atrial fibrillation on warfarin treatment: A subgroup analysis from the AURICULA registry in Sweden. Thromb Res 2011; 128:341-5 – Höllerl F., Stöllberger C., Finsterer J.: Renal function, P-glycoprotein-affecting drugs and stroke prevention in atrial fibrillation. BMJ (eingereicht)
– Naruse Y. et al.: Concomitant chronic kidney disease increases the recurrence of atrial fibrillation after catheter ablation of atrial fibrillation: a mid-term follow-up. Heart Rhythm 2011; 8:335-41
– Friberg L. et al.: Evaluation of risk stratification schemes for ischaemic stroke and bleeding in 182 678 patients with atrial fibrillation: the Swedish Atrial Fibrillation cohort study. Eur Heart 2012 Jan 13 – Lip G.Y. et al.: Comparative validation of a novel risk score for predicting bleeding risk in anticoagulated patients with atrial fibrillation: the HAS-BLED (Hypertension, Abnormal Renal/Liver Function, Stroke, Bleeding History or Predisposition, Labile INR, Elderly, Drugs/Alcohol Concomitantly) score. J Am Coll Cardiol 2011; 57:173-80