FMS: Aus der Sicht 
der Rheumatologin

Fibromyalgie-Syndrom (FMS): Bei Erwähnung dieser Diagnose kommt es im Kollegenkreis weiterhin zu heftigen Reaktionen von Zustimmung mit Fallberichten bis völliger Ablehnung wie z. B. „Ich glaube nicht, dass es das gibt“. Im April 2012 erschienen die aktualisierten S3-Leitlinien1, die das FMS folgenderweise einordnen: 
Das FMS wird als ein Syndrom erster Ordnung bzw. ein Symptomenkomplex mit unbekannter bzw. nicht geklärter Ätiologie, heterogener Pathogenese sowie definiertem Phänotyp eingeordnet, im Unterschied zu Syndromen 2. Ordnung (Sequenzen) mit unbekannter Ätiologie, homogener Pathogenese und definiertem Phänotyp (z. B. Cushing-Syndrom), und Syndromen 3. Ordnung (Syndrome im engeren Sinne) mit homogener Ätiologie, Pathogenese unbekannt bzw. unbedeutend und definier­tem Phänotyp (z. B. Down-Syndrom, Marfan). Möglicherweise hilft diese Kategorisierung, Patienten, die unter der Symptomatik eines FMS leiden, diesem Leidensbild auch wirklich zuzuordnen und ihnen damit eine Therapie zukommen zu lassen, die nach heutigem Wissensstand auch hilfreich ist. Wie bei vielen Erkrankungen – und vielleicht bei dieser noch mehr – ist es aber nötig, den Patienten zu einem Verständnis seiner Erkrankung und zur Mit(eigentlich Selbst-)arbeit zu gewinnen. Die Diagnose FMS wird nach den ACR-Kriterien2 (Tab. 1) gestellt. Im Mai 2010 wurden neue, vorläufige diagnostische Kriterien publiziert, die auf die klinische Untersuchung verzichten und eine Graduierung der Krankheitsschwere ermöglichen. Begründet wurde, dass die Untersuchung der Tender Points eine körperliche Erkrankung nahelegten und die psychosozialen und Disstress-Features des Syndroms in den Hintergrund stellten, wie bereits 20034 diskutiert. In den Leitlinien wird zusätzlich die Durchführung eines Screenings auf vermehrte seelische Symptombelastung (Angst und Depression) mittels 4 einfacher Fragen (deutsche Version des Patientenfragebogens zur Gesundheit PHQ-45) empfohlen (Abb.). Werte von ≥ 3 sind als Grenzwert für eine mögliche depressive Störung (Fragen 01–02) bzw. eine mögliche generalisierte Angststörung, Panikstörung oder posttraumatische Belastungsstörung (Fragen 03–04) anzusehen. Diese Patienten sollten dann einem Facharzt für Psychiatrie vorgestellt werden. Selbstverständlich müssen alle Differenzialdiagnosen (Tab. 2) ausgeschlossen werden, die andere Therapiestrategien erfordern. Von einem sekundäres FMS wird gesprochen, wenn bei Erkrankungen, die mit Schmerzen verbunden sind, die Kriterien für ein FMS erfüllt werden, wie dies z. B. bei Erkrankungen aus dem rheumatischen Formenkreis überdurchschnittlich oft der Fall ist. Von einer anhaltenden somatoformen Schmerz­störung spricht man, nach Ausschluss einer Schizophrenie oder schweren affektiven Störung, bei > 6 Mon. dauerndem quälenden Schmerz ohne ausreichende somatische Erklärung in Zusammenhang mit emotionalen und psychosozialen Problemen. Eine klare Abgrenzung ist jedoch oftmals nicht möglich und die Zusammenarbeit mit einem Facharzt für Psychiatrie/Psychosomatik kann in diesem Kontext sehr sinnvoll sein. Pathogenetisch wird derzeit das FMS als – mittels funktionalem PET auch nachweisbare – Störung der zentralen Schmerz- und Stressverarbeitung verstanden, bei der es zu neuroendokrinologischen Auffälligkeiten kommt6. Die Langzeitfolgen sind Dekonditionierung und Verlust der Alltagsfunktionsfähigkeit, oftmals auch Depressionen und Verlust von Sozialkontakten. Im Verlauf kommt es immer wieder zu Schmerzexazerbationen, die meist auf organische oder psychosoziale Stresssituationen zurückzuführen sind. Zur Abklärung werden folgende Basisuntersuchungen empfohlen7, obwohl die Diagnose als Ausschlussdiagnose gilt:

  • Medikamentenanamnese
  • vollständige klinische Untersuchung
  • Labor: BSG, CRP, BB, CK, Ca, TSH – bei fehlender Klinik (wie z. B. durch Arzt festgestellte weiche Gelenkschwellung [= Synovitis], Lupus-Exanthem, Raynaud-Syndrom) ist die Bestimmung von ANA, RF oder CCP nicht sinnvoll.
  • Screening auf Depression/Angststörung inkl. Fragebogen (s. o.). Oft treten bei der Exploration Hinweise auf schwere Traumata oder Missbrauchserfahrungen auf, die eine psychotherapeutische Begleitung erfordern
  • Co-Morbiditäten abfragen (Schlafstörung, Migräne, chronische Müdigkeit, andere Befindlichkeitsstörungen)

Schon die Diagnosestellung ist eine therapeutische Maßnahme und senkt die Anzahl an medizinischen Maßnahmen und Kosten danach nachweisbar.8 Verschiedene Therapieansätze führen zu einer Linderung der Symptomatik, bisher existiert jedoch keine Therapie, die zu einer anhaltenden Remission der Beschwerden führt. Bei sekundärem FMS ist die Behandlung der Grunderkrankung die wichtigste therapeutische Maßnahme. Das Ziel der Therapie ist die Erhaltung der Alltagsfunktionsfähigkeit und Verbesserung der Lebensqualität. Dafür ist eine aktive Arbeit des Patienten – dieses Wort wird bewusst gewählt – erforderlich. Die ausführliche Information des Patienten ist die Grundlage für die Therapie, um die Compliance zu fördern und unnötige weitere diagnostische und therapeutische Maßnahmen zu verhindern.

Empfehlungen der S3-Leitlinien in Kurzform*

Bei leichten Formen des FMS soll der Patient zu angemessener körperlicher und psychosozialer Aktivierung ermutigt werden. Bei schweren Verläufen sollen mit dem Patienten körperbezogene Therapien (aerobes Ausdauertraining; meditative Bewegungstherapien wie Tai-Chi, Qigong, Yoga) und eine zeitliche befristete medikamentöse Therapie besprochen werden. Bei Nichtansprechen wird der Einsatz multimodaler Programme empfohlen, bei psychischer Komorbidität eine störungsspezifische Psychotherapie. Eine multimodale Therapie erfordert eine interdisziplinäre Diagnostik, wobei eine psychiatrische/psychosomatische oder psychologische Fachbegutachtung als obligat angesehen wird. Multimodale Therapien enthalten mindestens ein körperlich aktivierendes Verfahren plus mindestens ein psychologisches/psychotherapeutisches Verfahren. Für die Langzeittherapie sollten die Betroffenen Verfahren einsetzen, welche sie eigenständig im Sinne eines Selbstmanagements durchführen können: z. B. an das individuelle Leistungsvermögen angepasstes Ausdauer- und/oder Krafttraining, Stretching, Wärmetherapie.

Aktivierende Therapie

Leitliniengerecht wird als aktivierende Therapie vorgeschlagen: Ausdauertraining von geringer bis mittlerer Intensität (z. B. schnelles Spazierengehen, Walking, Fahrradfahren bzw. Fahrradergometertraining, Tanzen, Aquajogging) soll dauerhaft 2–3-mal/Woche über mindestens 30 Minuten durchgeführt werden. Dazu kommt ein Funktionstraining (Trocken- und Wassergymnastik), welches ebenfalls 2-mal/Woche für jeweils mindestens 30 Minuten eingesetzt werden sollte. Es bedarf jedoch einer behutsamen Dosierung, dieses Ziel zu erreichen. Meditative Bewegungstherapien (Tai-Chi, Qi-Gong, Yoga) unterstützen diesen Prozess der Aktivierung und können Teile dieses aeroben Trainings ersetzen. Ein Krafttraining mit geringer bis mäßiger Intensität 2-mal/Woche jeweils mind. über 60 Minuten hebt die Schmerzschwelle und ist sinnvoll. In Kombination mit diesem Bewegungsprogramm haben sich Entspannungsverfahren (autogenes Training, Meditation oder Biofeedback)9 oder kognitive Verhaltenstherapie als sinnvoll erwiesen. Die kognitive Verhaltenstherapie fokussiert auf die Gedanken der Patienten und beinhaltet z. B. Erlernen von Techniken zur Problemlösung sowie Coping-Strategien für den Umgang mit Schmerz und Stress. RCTs weisen eine Abnahme von Schmerz und eine Verbesserung der Funktionsfähigkeit über 6–30 Monate nach.

Pharmakotherapie

In Europa gibt es keine Substanz, die für die Therapie des FMS durch die EMA (European Medicines Agency) zugelassen ist, während in den USA für einige Medikamente (Pregabalin, Milnacipran, Duloxetin) eine Zulassung durch die FDA erreicht wurde. Als allgemeines Prinzip wird empfohlen, diese auf den individuellen Patienten und seine Symptomatik anzupassen; d. h. Antidepressiva bei Vorhandensein von Depression und Angststörungen. Die Therapien sollten zeitlich befristetet sein und nach maximal 6 Monaten ein Auslassversuch durchgeführt werden).

Analgetika: Von der Therapie mit Analgetika und nicht-steroidalen Antiphlogistika wird abgeraten, außer es finden sich peripher sichere Schmerzgeneratoren (z. B. aktivierte Gonarthrose). Für Tramadol (100–400 mg/d) alleine oder in Kombination mit Acetaminophen (1.500 mg) konnte gezeigt werden, dass Schmerz und Lebensqualität verbessert werden konnten, die Anzahl der als druckschmerzhaft angegebenen Punkte veränderte sich nicht. Von anderen/starken Opiaten wird abgeraten, auch von der Therapie mit Prednisolon.

Psychopharmaka: Amitriptylin 10–50 mg/d wird bei schweren Verläufen empfohlen. Duloxetin 60 mg/d sollte bei komorbiden depressiven Störungen oder generalisierter Angststörung oder bei Unverträglichkeit von Amitryptilin eingesetzt werden. In den aktualisierten Leitlinien wird Milnacipran von einer Empfehlung 2008 auf eine stark negative Empfehlung abgewertet und sollte nicht eingesetzt werden.
Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI; Fluoxetin 20–40 mg/d, Paroxetin 20–40 mg/d) können bei komorbiden depressiven und Angststörungen eingesetzt werden. Allerdings reagiert nur ein Teil der Patienten auf die jeweilige Therapie und viele dieser Erfolge sind nicht anhaltend; auch sind viele Studien für diese chronische Erkrankung nur für wenige Wochen durchgeführt worden.
Weitere Substanzgruppen: Monoaminooxidasehemmer werden nicht empfohlen. Hypnotika verbessern den Schlaf, nicht aber den Schmerz. Obwohl Angst und Panikstörungen wichtige Komponenten einer Schmerzverstärkung sein können, zeigten Anxiolytika keine Verbesserung hinsichtlich Schmerzen. Der Einsatz von Neuroleptika (Ritaserin, Olanzapin) wird nicht empfohlen. Für Benzodiazepine liegen keine Studiendaten vor.

Alpha-delta-Liganden: Pregabalin (150 bis 450 mg/die) zeigte in einer Studie bei 29 % der Patienten eine 50%ige Reduktion von Schmerzen, Schlafstörungen und Morgensteife. Der Einsatz wird bei Patienten ohne komorbide generalisierte Angststörung als Off-Label-Use empfohlen, wenn eine leitliniengerechte Therapie mit Amitriptylin kontraindiziert ist bzw. nicht wirksam war bzw. nicht vertragen wurde.

Andere Medikamente: 5-HT3-Rezeptorantagonisten (Tropisetron) wurde abgewertet und sollte bei den meisten Patienten nicht einsetzt werden.

Keine Anwendung: Laut S3-Leitlinien sollten folgende Medikamente aufgrund unzureichender Datenlage oder zu kurzer Wirksamkeit nicht eingesetzt werden: Ketamin i. v., Lidocain i. v., Sodiumoxybate. Gegen Lokaltherapeutika wie z. B. wärmende Rheumasalben bestehen unter Beachtung der entsprechenden Bedingungen keine Bedenken. Aufgrund fehlender Wirksamkeit sollten folgende Medikamente nicht verwendet werden: Virustatika (Valaciclovir), hormonelle Therapie (Wachstumshormon, Dehydroepiandrosteron [DHEA], Kortikosteroide, Kalzitonin, Schilddrüsenhormone).

Physikalische Therapie

Physikalische Therapie umfasst die Gesamtheit körperorientierter, nicht-invasiver Therapieverfahren mit thermischen, mechanischen, elektrischen und zuwendungsbasierten Maßnahmen (z. B. Physiotherapie und Trainingstherapie, Massage, Elektrotherapie). Die Datenlage ist dürftig, die Empfehlungen der Literatur beruhen zumeist auf Expertenmeinungen. Generell wird für die längerfristige Behandlung empfohlen, Verfahren einzusetzen, welche die Patienten nach therapeutischer Anleitung eigenständig dauerhaft einsetzen können. Für Funktionstraining und Krafttraining wurde eine starke Empfehlung abgegeben. Gesichert ist die Wirksamkeit folgender Maßnahmen: aerobes Ausdauertraining (z. B. Fahrradergometer, Walking oder Aqua­Jogging), Ganzkörperwärmetherapie sowie Balneo- bzw. Spatherapie.10 Auch für Tai-Chi (chinesisches Schattenboxen) liegt mittlerweile eine positive Studie vor.11 Für Ganzkörperkältetherapien sind lediglich kurzfristige Effekte (bis 24 h anhaltende Schmerzreduktion) beschrieben und wurde daher nicht empfohlen, das Patientenvotum lautete jedoch auf offen. Massage wurde 2012 abgewertet und sollte nicht zur Behandlung eingesetzt werden.

Verlaufskontrolle: Für die Verlaufskontrolle wird der Einsatz des Fragebogens „Fibromyalgia Impact Questionnaire (FIQ-G)12“ empfohlen, der für deutsch validiert vorliegt. Der aktuelle Schmerz sollte mittels „Schmerzmännchen“ erfasst und die Schlafqualität abgefragt werden. Kontrolltermine sollten regelmäßig ohne Symptomassoziation vereinbart werden. Bei therapierefraktären Verlaufsformen kann ein Rehabilitationsaufenthalt an einer Spezialklinik – z. B. Bad Aussee, Enns – erwogen werden. Zusammenfassung: Weiterhin wird die Behandlung von Patienten mit FMS viel Aufwand von Seiten des Behandlers erfordern, um die empfohlenen Therapien verständlich zu machen, zu koordinieren und oft auch erst ausfindig zu machen. Von Patienten wird sehr viel Selbstständigkeit verlangt, selbst ihre Therapie Woche für Woche aktiv und oftmals alleine auch konsequent fortzusetzen. Die aktualisierten Leitlinien, auch in ihrer Patientenfassung, zeigen sehr konkret auf, wie eine solche Therapie aussehen könnte, und bieten damit sichere Entscheidungsgrundlagen.

* Die Änderungen der S3-Leitlinie zum Fibromyalgie-Syndrom sind in Universum Innere Medizin 5/2012, S. 94–95, nachzulesen
1 Themenheft: „Fibromyalgiesyndrom – Eine interdis­ziplinäre S3-Leitlinie. Hintergründe und Ziele – Methodenreport – Klassifikation – Pathophysiologie – Behandlungsgrundsätze und verschiedene Therapieverfahren. Der Schmerz 2012; 26: Aktualisiert: 1. 4. 2012, gültig bis 1. 4. 2017
2 Wolfe F. et al.,. Arthritis Rheum 1990; 33:160-72
3 Wolfe F. et al., Arthritis Care Res 2010; 62 (5):600-10
4 Wolfe F., J Rheum 2003; 30 (8):1671-2
5 Löwe B. et al., J Affect Disord 2010; 122 (1-2):86-95
6 Desmeules J. et al., Arthritis Rheumatism 2003; 48:1420-9
7 Fibromyalgiesyndrom – Eine interdisziplinäre S3-Leitlinie. Der Schmerz 2012; 26
8 White K. P. et al., Arth Rheumatism 2002; 47:260
9 Goldenberg D. L. et al., JAMA 2004; 19:2388-2395; als Leitlinie im National Guideline Clearinghouse (http://www.guideline.gov), akt. 25.10.2006
10 Schiltenwolf M. et al., Schmerz 2008; 22:303-31
11 Wang C. et al., NEJM 2010; 363:743-54
12 Offenbaecher M. et al., J Rheumatology 2000; 27 (8):1984-1988