FMS: Aus der Sicht 
des Psychiaters

Der Begriff „Fibromyalgie-Syndrom“ (FMS) hat im Laufe der Zeit einen enormen Bedeutungswandel durchgemacht. Von einem schlecht definierten Syndrom, das eher als eine Restkategorie im Sinne von „unechtem Rheuma“ verstanden wurde, bis zu einem umschrieben definierten Syndrom mit Stimulation der Beforschung und einer Fülle an neuen Erkenntnissen.



Definition: Das American College of Rheumatology (ACR) hat 1990 das FMS definiert durch Muskelschmerzen der oberen und unteren Extremitäten und der rechten und linken Körperhälfte, der Wirbelsäule und der vorderen Thoraxwand über mindestens 3 Monate, wobei mindestens 11 von 18 Druckpunkten bei digitaler Palpation schmerzhaft sind und darüber hinaus die Laborbefunde unauffällig (Wolfe et al., 1990). Diese Kriterien wurden für wissenschaftliche Zwecke entwickelt, die Nützlichkeit für die Primärversorgung ist jedoch von Anfang an umstritten gewesen. Entsprechend den neuen Forschungsergebnissen wurden die Kriterien 2010 überarbeitet und die „Fixierung auf die Schmerzpunkte“ verlassen. Der zentrale Punkt der Definition ist nun der chronische Schmerz in mehreren Körperregionen (Chronic Widespread Pain – CWP), ein häufiges Phänomen in der allgemeinen Bevölkerung und in klinischen Populationen.
Zusätzlich zu diesem chronischen Schmerz sind noch weitere Symptome in die Definition aufgenommen worden: Druckschmerzempfindlichkeit, Steifigkeits- und Schwellungsgefühl der Hände, der Füße und des Gesichts, Müdigkeit, Schlafstörungen, Ängstlichkeit, Depressivität und kognitive Symptome.


Weitere Einteilungen: Vor allem in der deutschsprachigen Literatur werden darüber hinaus ein primäres und ein sekundäres FMS unterschieden. Als sekundäres FMS wird das Syndrom dann bezeichnet, wenn es im Rahmen einer anderen Erkrankung auftritt (z. B. rheumatoide Arthritis, systemischer Lupus erythematodes, chronische Hepatitis C oder Hypothyreose). Die primäre Fibromyalgie oder das FMS im engeren Sinne wird als Störung der zentralen Schmerz- und Stressverarbeitung mit entsprechender psychiatrischer Komorbidität gesehen (Egle et al., 2004). Die Ätiologie des FMS ist umstritten (Häuser et al., 2006). De Souza et al. (2008) unterscheiden aufgrund ihrer Untersuchungen 2 Typen der Fibromyalgie: eine Gruppe mit hoher Müdigkeit, Ängstlichkeit und Depressivität und eine zweite Gruppe, bei der diese Symptome nicht ausgeprägt sind. Nach Müller et al. (2007) können 3 Subtypen des FMS unterschieden werden: (1) FMS mit hoher Schmerzempfindlichkeit ohne psychiatrische Komorbidität, (2) FMS mit Depression und (3) FMS auf dem Boden einer Somatisierung. 20 bis 80 % der Patienten mit FMS weisen depressive Symptome auf (Fietta et al., 2007; Okifuji et al., 2000). Bei einer Diagnose eines FMS sollte daher immer zusätzlich auf das Vorliegen einer Depression bzw. auf das Vorliegen anderer psychischer Störungen wie Angst-, Schlaf-, posttraumatische und substanzinduzierte Störungen geachtet werden.
Die Definition des FMS kommt damit einer generalisierten anhaltenden somatoformen Schmerzstörung sehr nahe. Die Überlappung der beiden Definitionen ist offensichtlich.


Häufigkeit und Verlauf: Im jüngeren Erwachsenenalter kommt die Fibromyalgie mit einer Häufigkeit von etwa 1 % vor und steigert sich im höheren Erwachsenenalter auf bis zu 8 %. Die durchschnittliche Prävalenz beträgt 3,3 %. Frauen sind etwa 7-mal so häufig vom FMS betroffen wie Männer. Bei 15–25 % der Betroffenen beginnen die Symptome bereits in der Kindheit, der durchschnittliche Krankheitsbeginn liegt bei 35 Jahren. Der Häufigkeitsgipfel wird im und nach dem Klimakterium erreicht (Egle et al., 2004).

Prognose: Bei etwa einem Viertel bis einem Drittel der Patienten, die im primären Setting beim Allgemeinmediziner behandelt werden können, ist die Symptomatik nach 2 Jahren remittiert. Jüngeres Alter und geringer ausgeprägte Schlafstörungen wurden als prognostisch günstige Faktoren identifiziert. Das FMS hat insofern eine günstige Prognose, als die fortschreitende Verschlechterung der Beeinträchtigung selten eintritt. Bei Patienten, die nicht mehr alleine im primären Setting behandelt werden können, ist die Symptomatik jedoch oft auch noch nach 8 Jahren stabil (Nampiaparampil & Shmerling, 2004). Depressive FMS-Patienten unterscheiden sich im Vergleich zu nicht-depressiven FMS-Patienten in ihren somatischen und psychischen Beeinträchtigungen. FMS-Patienten mit Depression haben häufiger Schlafstörungen, sexuelle Dysfunktionen, körperliche Leistungseinschränkungen und eine niedrigere Lebensqualität. Sie wenden eher passive Bewältigungsstrategien an und neigen zur Katastrophisierung (Lange und Petermann, 2010). Depressive Patienten sollten daher frühzeitig zu einer aktiven Behandlungsmitarbeit motiviert werden (Rau et al., 2008).

Bio-psycho-soziales Modell des FMS: Nach der „Interdisziplinären S3-Leitlinie“ für das FMS (2008) werden in der Pathophysiologie biologische, psychische und soziale Faktoren pos­tuliert. In der S3-Leitlinie besteht ein starker Konsens, wenn auch der Evidenzgrad der Literatur nur bei 5 ist: Dabei werden Stressoren (physikalische und/oder biologische und/oder psychosoziale), genetische und lerngeschichtliche Prädispositionen, vegetative, endokrine und zentralnervöse Reaktionen, aus denen die Symptome des FMS resultieren, zusammengefasst.

Therapie und Management des FMS: Die Patientenaufklärung und -edukation ist ein wichtiger Bestandteil in der Therapie und im Management des FMS. Dadurch werden Schmerz, Schlaf, Müdigkeit, Lebensqualität und Selbsteffizienz positiv beeinflusst. So beeinflusst ein Selbstmanagementprogramm mit gezielten Aufgaben und Edukation die Lebensqualität von FMS-Patienten anhaltend positiv (Cedraschi et al., 2004). In der Pharmakotherapie des FMS haben sich Antidepressiva, Muskelrelaxantien, Antikonvulsiva am effektivsten erwiesen (Goldenberg et al., 2004). Die Antidepressiva weisen in der Meta­analyse von O’Malley et al. (2000) eine mittlere Effektstärke von etwa 0,5 auf. Nach der Metaanalyse von Häuser et al. (2012) sind Amitriptylin und die SNRIs Duloxetin und Milnacipran die First-Line-Therapieoptionen für die medikamentöse Therapie des FMS. Aufgrund der Nebenwirkungen des trizyklischen Antidepressivums Amitriptylin muss dieses jedoch mit entsprechender Vorsicht eingesetzt werden. Aufgrund der häufig mit dem FMS verbundenen Schlafstörungen haben sich auch schlaffördernde Antidepressiva (z. B. Trazodon, Mirtazapin) in der Therapie bewährt. Tzellos et al. (2010) finden in ihrer Metaanalyse Pregabalin vor allem in einer höheren Dosierung von 450 mg effektiv. Bei einer Subgruppe von Fibromyalgie-Patienten zeigt sich der Dopaminagonist Pramipexol effektiv in der Verminderung von Schmerz und Müdigkeit und verbessert den funktionellen Status der Patienten (Holman und Myers, 2005). Die Ergebnisse der Metaanalyse über psychologische Therapieverfahren bei Fibromyalgie von Glombiewski et al. (2010) legen nahe, dass die Auswirkungen von psychologischen Behandlungen für Fibromyalgie zwar relativ klein, aber robust sind und vergleichbar mit anderen Behandlungsansätzen. Die kognitive Verhaltenstherapie ist dabei mit den größten Effektstärken assoziiert (weitere De­tails zur Therapie siehe nachfolgenden Beitrag von OÄ Dr. Andrea Studnicka-Benke).