MINOCA: Myokardinfarkt bei „blander“ Koronarangiografie?

Das breite pathophysiologische Spektrum des MINOCA, des „MyokardInfarkts mit NichtObstruktiven CoronarArterien“, stellt den Kliniker vor eine große differenzialdiagnostische und therapeutische Herausforderung. Im Folgenden sei ein kurzer Überblick über Definition, pathophysiologische Überlegungen, diagnostische Schritte und therapeutische Optionen bei diesem heterogenen Patientenkollektiv skizziert.

Myokardinfarkt ohne KHK?

In Lehrbüchern und auch aus unserem klinischen Verständnis und unserer Erfahrung heraus liegt einem akuten Herzinfarkt eine Obstruktion im Blutfluss der Koronararterien zugrunde, sei es eine signifikante Stenose oder ein akuter Verschluss eines Herzkranzgefäßes. Dieser Pathomechanismus wurde eindrucksvoll in den Pionierarbeiten der interventionellen Kardiologie beim ST-Hebungsinfarkt (STEMI) erfasst. So wird bei 90 % der Patienten mit STEMI ein verschlossenes Gefäß gefunden, sofern die Angiografie zeitnahe (4 h) zum Symptombeginn durchgeführt wird. Im Gegensatz dazu wurde nur bei 26 % der Patienten mit Nicht-ST-Hebungsinfarkt (NSTEMI) angiografisch ein Gefäßverschluss gefunden.
Obwohl diese Studien die Bedeutung der Koronarstenose unterstreichen, ist es bemerkenswert, dass bei 10 % aller STEMI keine Obstruktion des Koronarflusses zu beobachten war. Auch in großen Registern liegt der Anteil an Patienten ohne Koronarstenose bei akutem Myokardinfarkt zwischen 1 und 13 %. Dass eine hochgradige Stenose oder ein Gefäßverschluss einen Myokardinfarkt bedingt, ist unbestritten. Es stellt sich aber die Frage, was dem Myokardinfarkt ohne offensichtlichem, angiografisch fassbarem Flusshindernis, einem MINOCA („myocardial infarction with non-obstructive coronary arteries“), zugrunde liegt. Damit drängt sich gleich die nächste Frage auf: die nach der Diagnostik und Behandlung. Sollen Patienten, die einen klassischen STEMI mit Gefäßverschluss, jene mit angiografisch fassbarer Atherosklerose ohne Gefäßobstruktion und jene ohne jegliche atherosklerotische Veränderungen auf die gleiche Weise therapiert werden?

Wozu brauchen wir diese neue Diagnose?

Die Intention hinter der Schaffung dieser neuen Krankheitsentität liegt zum einen in der Erfassung dieser Patienten, zum anderen soll ein adäquater diagnostischer und therapeutischer Algorithmus vorgeschlagen werden, denn bis heute ist nach erfolgter Koronarangiografie auch in Österreich kein strukturiertes diagnostisches Prozedere oder Follow-up gegeben. Darüber hinaus schafft eine klare Definition dieses Krankheitsbildes auch die Möglichkeit, diese Patienten in internationalen Studien zu untersuchen.

Wie stelle ich die Diagnose?

Zur Diagnosestellung MINOCA bedarf es erstens der Erfüllung der Diagnosekriterien für einen akuten Myokardinfarkt laut rezenter „universal definition of myocardial infarction“ (Tab.), zweitens des Fehlens einer Stenose (> 50 %) der Koronararterien und drittens des Ausschlusses einer anderen spezifischen Ursache einer Troponinerhöhung, die zu der akuten klinischen Präsentation führt. Für die Differenzialdiagnose sind koronare, kardiale und extrakardiale Ursachen zu bedenken:

  • koronare Ursachen: Plaqueruptur, Koronarspasmen, Thromboembolie, Koronardissektion, Aortendissektion mit Involvierung der Koronararterien, mikrovaskuläre Dysfunktion der Koronararterien, sympathomimetische Substanzen (Kokain, Metamphetamin)
  • kardiale Ursachen: Tako-Tsubo-Kardiomyopathie, Myokarditis, Tachyarrhythmien, Kardiomyopathien, Contusio cordis, exzessives körperliches Training, kardiotoxische Substanzen (v. a. Chemotherapeutika)
  • extrakardiale Ursachen: Schlaganfall, Pulmonalembolie, Sepsis, ARDS, Niereninsuffizienz

 

 

Um sich in einer strukturierten Art und Weise an die Fülle dieser Differenzialdiagnosen anzunähern, gibt es internationale Bemühungen für die Entwicklung von Algorithmen, wie ein Patient mit MINOCA nach der Koronarangiografie weiterführend abgeklärt werden soll, die allerdings noch nicht ausgereift sind.
An erster Stelle steht – wie immer – die Anamnese, z. B. kann die Frage nach einem rezenten viralen Infekt Aufschlüsse über die Vortestwahrscheinlichkeit geben, die gerade beim jungen, sportlich aktiven Patienten in Bezug auf eine Myokarditis eher hoch sein wird. Die Prävalenz der Myokarditis bei Patienten mit einer nach Koronarangiografie klinisch gestellten MINOCA-Diagnose variiert in Abhängigkeit von den untersuchten Populationen mit einer Prävalenz von 33 % in einer kürzlich durchgeführten Metaanalyse. Klinisch ist sie die vermutlich herausforderndste Differenzialdiagnose und wäre oft nur durch eine Endomyokardbiopsie eindeutig zu klären.

Plaqueruptur und Koronarspasmus

Die häufigsten pathophysiologischen Mechanismen des MINOCA sind eine Plaqueruptur oder -ulzeration sowie ein Koronarspasmus.
Zwei rezente Arbeiten fanden bei ca. 40 % der Patienten mit MINOCA koronare Plaquerupturen mittels IVUS (intravaskulärem Ultraschall). Mit einer Bildgebungsmethode mit höherer Auflösung (z. B. optische Kohärenz-Tomografie; OCT) wäre eine noch höhere Prävalenz von Plaquerupturen zu erwarten. Thrombose und/oder Thromboembolie (zum Zeitpunkt der Angiografie durch [endogene] Thrombolyse bereits aufgelöst) spielen mit großer Wahrscheinlichkeit eine wichtige Rolle in der Pathogenese von MINOCA mit Plaquestörung. Daher kann eine antithrombotische Therapie mit dualer Antiplättchentherapie (APT) für 1 Jahr, gefolgt von einer lebenslangen Single-APT bei Patienten mit Verdacht auf Plaqueruptur bei MINOCA empfohlen werden. Da es auch gilt, zukünftige Plaquerupturen zu verhindern, soll auch bei nichtobstruktiver atherosklerotischer KHK zur Plaquestabilisierung eine Statin-Therapie verordnet werden.
Koronarspasmen spielen differenzialdiagnostisch eine wichtige Rolle. In der Literatur wurde bei einem MINOCA-Kollektiv in – im Intervall durchgeführten – Provokationstests bei 27 % der Patienten ein induzierbarer Spasmus gefunden. Pathogenetisch handelt es sich hierbei um hyperreaktive glatte Muskelzellen gegenüber endogenen vasospastischen Substanzen (wie bei der eigentlichen vasospastischen Angina). Ein MINOCA kann aber auch im Zusammenhang mit exogenen vasospastischen Substanzen auftreten (z. B. Kokain). Angesichts der Tatsache, dass Nitrate und vor allem Kalziumkanalblocker wirksame Therapien für dieses Patientenkollektiv sind, mit denen die Häufigkeit zukünftiger kardialer Ereignisse reduziert werden kann, muss diese Differenzialdiagnose aus therapeutischer Sicht in Betracht gezogen werden.

Weitere differenzialdiagnostische Überlegungen

Obwohl angenommen wird, dass die Prävalenz koronarer Thromboembolien bei MINOCA niedrig ist, könnte dies zum Teil auf inadäquates Screening zurückzuführen sein. Zum Beispiel können kleine Koronargefäße, die mit Thromben oder Embolien verschlossen sind, bei der Angiografie übersehen werden.
Die spontane Koronardissektion verursacht typischerweise eine Flussbehinderung durch luminale Obstruktion, obwohl dies bei Koronarangiografie nicht immer offensichtlich ist, was zu einer Diagnose von MINOCA führt. Der Einsatz von intrakoronarer Bildgebung ist entscheidend für diese Diagnose. Bei diesem Krankheitsbild sollte ein konservatives Management gewählt werden, da eine PCI und Stenting eher dazu neigen, eine Ausbreitung der Dissektion zu bewirken.

Resümee

In Ermangelung einer systematischen Bewertung der zugrunde liegenden Mechanismen und klinischen Merkmale bleiben Behandlungsempfehlungen empirisch und spiegeln letztendlich die persönliche Einschätzung des Autors und einiger weniger internationaler Positionspapiere wider. Zur optimalen Diagnostik sollte allen Patienten mit MINOCA zum Zeitpunkt der Koronarangiografie eine intrakoronare Bildgebung, insbesondere OCT, zur Verfügung gestellt werden. Die finanzielle und zeitökonomische Realität ist allerdings eine andere. Ohne sichere pathophysiologische Erklärung muss ein pragmatischer Therapieentschluss gefasst werden.
Es empfehlen sich aufgrund der häufigsten zugrunde liegenden Mechanismen Aspirin, Statine und – in Fällen von Vasospasmen – Kalziumkanalblocker als routinemäßige Therapeutika. Darüber hinaus empfiehlt sich eine Vermeidung von Sympathomimetika, die Verwendung von kardioselektiven β-Blockern und ACE-Hemmern bei Patienten mit persistierender linksventrikulärer Dysfunktion sowie eine mechanische Unterstützung bei Patienten mit kardiogenem Schock.

 

Weiterführende Literatur:
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