Der müde Jugendliche – was ist normal?

Müdigkeit bei Jugendlichen ist keinesfalls ein ungewöhnliches „Symptom“. Dies gilt sowohl für die morgendliche Müdigkeit („Morgenmuffel“) als auch für die Müdigkeit in den frühen Nachmittagsstunden, wo sich nicht selten das meist im vierten bis sechsten Lebensjahr abgelegte „Mittagsschlaferl“ im Jugendalter wieder etabliert. Die (physiologische) Müdigkeit Jugendlicher ist eine kombinierte Folge physiologischer endogener Umstellungen (Verschiebung der Schlafmitte nach hinten), zunehmender Anforderungen tagsüber und geänderter Lebensgewohnheiten (Gebrauch so genannter „sozialer Medien“, langes Ausgehen am Wochenende und dergleichen.).
Müdigkeit bei Jugendlichen wird DANN zu einem Problem, wenn daraus ein Leidensdruck entsteht, die Tagesbefindlichkeit sinkt und die Arbeits- bzw. Schulleistung abfällt. In diesem Fall erhöht sich nicht nur das Unfallrisiko, sondern auch das Risiko für physische und psychische Folgeerkrankungen. „Pathologische“ Müdigkeit sollte daher – insbesondere wenn sie über einen langen Zeitraum andauert – zu einer ärztlichen Abklärung führen, um der Ursache dafür auf den Grund zu gehen und adäquate Gegenmaßnahmen zu setzen.

Wieviel Schlaf ist normal?

Der Schlafbedarf ist stark abhängig vom Lebensalter, gleichzeitig aber auch individuell sehr unterschiedlich. Auch im Kindes- und Jugendalter gibt es bereits Lang- und Kurzschläfer. Die durchschnittliche tägliche Schlafdauer beträgt im Neugeborenenalter etwa 16–18 Stunden und sinkt kontinuierlich, bis im Erwachsenenalter eine durchschnittliche Schlafdauer von acht Stunden erreicht wird.

 

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Eulen und Lerchen

Wie bei Erwachsenen gibt es auch bei Kindern und Jugendlichen „Lerchen“ und „Eulen“ – also Morgen- und Abendmenschen. Der unterschiedliche „Typus“ führt dazu, dass Jugendliche auch sehr unterschiedliche Vorstellungen vom „optimalen Schulbeginn“ (Bandbreite von 6:30–11:30!!!) haben und daher jede Schulbeginnzeit einen Kompromiss darstellt.
Untersuchungen haben gezeigt, dass „Lerchen“ insgesamt eine höhere Schlafdauer und im Schnitt ein höheres psychisches Wohlbefinden aufweisen, gegenüber den „Eulen“ also im Vorteil sind. Es ist allerdings wenig sinnvoll, gegen den eigenen „Typus“ anzukämpfen.

Am Anfang steht die Anamnese

Wie bei allen anderen gesundheitlichen Problemen ist auch bei auffälliger Müdigkeit des Jugendlichen eine sorgfältige Anamnese unumgänglich. Dabei soll u.a. nach folgenden Aspekten gefragt werden:

  • SEIT WANN besteht das Problem?
  • WIE HÄUFIG tritt es auf?
  • WANN besteht die Müdigkeit?
  • Gibt es einen AUSLÖSER (z.B. Fieber)?
  • Welche AUSWIRKUNGEN gibt es?
  • Bestehen assoziierte KÖRPERLICHE Symptome?
  • Was wird DAGEGEN unternommen?
  • Wie ist die SCHLAF-Anamnese?

Allein durch die Anamnese kann man sich in vielen Fällen der (richtigen) Diagnose schon entscheidend nähern. In weiterer Folge gilt es, die Vermutungsdiagnose durch klinische Untersuchung, Laboruntersuchungen, gegebenenfalls aber auch durch weiterführende Untersuchungen (Bildgebung, EEG, Schlaflaboruntersuchung etc.) zu objektivieren.
Die Statuserhebung muss neben dem „äußeren Eindruck“ (einschließlich Haut, Haare, Nägel) v.a. die Aspekte Gewicht (auch Verlauf!), BMI, neurologischer Status, HNO-Befund, Blutdruck, Kreislauf- und Atemtätigkeit, aber auch den psychischen Zustand berücksichtigen.

 

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Laboruntersuchungen

Je nach Anamnese und klinischem Befund können unterschiedliche Laboruntersuchungen sinnvoll sein. V.a. folgende Parameter kommen dafür in Betracht:

  • Blutbild + Diff.-BB
  • CRP, BSG
  • Serumprofil
  • Virus-Serologie (EBV, Mykoplasmen …)
  • Eisenstatus (Fe, Transferrin, Ferritin)
  • (Vitamine, Spurenelemente)
  • Schilddrüsen-Parameter (+ ggf. andere Hormone)
  • evtl. „Rheuma-Serologie“/Immunologie
  • Harn- und Stuhlanalyse

Darüber hinaus können zusätzliche spezielle Laboruntersuchungen (z.B. Quantiferon-Test bei Tbc-Verdacht, HLA-Typisierung bei Narkolepsieverdacht) sinnvoll sein. Diese sollten jedoch durch Anamnese und klinischen Befund gut begründet sein und nicht im Sinn einer „Schrotschusstaktik“ zum Einsatz kommen.

Organische Ursachen

„Müdigkeit, Mattigkeit, Abgeschlagenheit“ sind Leitsymptome sehr vieler organischer Erkrankungen und als solche unspezifisch. Durch Beginn, Dauer und Art der Müdigkeit lässt sich schon anamnestisch das Problem eingrenzen, klinische, Labor- und sonstige Untersuchungen sollten bei den allermeisten organischen Ursachen rasch auf die richtige Spur führen. Aus der langen Liste in Betracht kommender Erkrankungen werden hier exemplarisch einige typische Erkrankungen dargestellt:

  • Anämie (Eisenmangel, chron. Blutungsanämie …)
  • (Virus-)Encephalitis, (Borrelien-)Meningitis
  • andere durchgemachte oder chronische Infektionen(EBV, Mykoplasmen …)
  • Schilddrüsenunterfunktion
  • obstruktives Schlafapnoesyndrom (OSAS)
  • Herz-Kreislauf-Erkrankungen (Endokarditis, Myokarditis,Aortenstenose, Aortenisthmusstenose, Kardiomyopathie …)
  • (chron.) Lungenerkrankungen (Asthma, Mukoviszidose,Tbc …)
  • Zöliakie und andere Malabsorptionsstörungen
  • M. Gilbert-Meulengracht
  • maligne Erkrankungen (Leukämie, Lymphome u.a.)

Seltene organisch bedingte Ursachen sind u.a. die Narkolepsie (anfallsartiges imperatives Schlafbedürfnis tagsüber, häufig kombiniert mit Kataplexie), das Kleine-Levin-Syndrom (periodische Schlafanfälle) und das Smith-Magenis-Syndrom (Wachstumsstörung, Umkehr der Tag-Nacht-Rhythmik für GH-, Cortisol- und Melatoninsekretion).
Die rasche Diagnose organischer Ursachen ist deshalb wichtig, weil gezielte Therapie bzw. Intervention in vielen Fällen zu einer raschen Besserung führen kann (Bsp. OSAS, Borreliose, Hypothyreose, Eisenmangelanämie).
In anderen Fällen (Müdigkeit nach EBV-Infektion, durchgemachter Encephalitis, bei Schüben von M. Gilbert-Meulengracht etc.) existiert hingegen keine spezifische Therapie, sodass „Coping-Strategien“ im Vordergrund stehen müssen.

Psychische Ursachen/psychiatrische Erkrankungen/Sucht

Somatisch nicht erklärbare Müdigkeit muss immer auch eine psychologische, psychosomatische bzw. psychiatrische Exploration zur Folge haben. So sind Depressionen häufig mit nächtlicher Schlafstörung und gestörter Tagesbefindlichkeit assoziiert.
Darüber hinaus kommen auch posttraumatische Belastung, Angsstörungen, Mobbing, Schulprobleme, somatoforme Störungen etc. als Auslöser für Müdigkeit in Betracht.
In seltenen Fällen muss auch ein „Münchhausen-Syndrom“ (vorgegebene Müdigkeit) in Betracht gezogen werden.
Schließlich kann auch eine Suchterkrankung Ursache krankhafter Müdigkeit sein, wobei in erster Linie Internetsucht (von der 2–3% der Jugendlichen betroffen sind) in Betracht kommt. Eine relativ „neue“ Erkrankung ist die Cyberchondrie (krankhafte Internetsuche nach Symptomen und Erkrankungen, an denen man zu leiden glaubt).

Die verhaltensbedingte Müdigkeit des Jugendlichen

Der „soziale Jetlag“ als Folge der Peer Group: Die innere Uhr des Menschen ist ungefähr auf die Dauer eines Tages programmiert (zirkadiane Rhythmik). Durch den Einfluss von Hell und Dunkel und andere Zeitgeber (Umgebungslärm, Wecker, Schul- bzw. Arbeitszeiten, Essenszeiten und dgl.) wird der 24-Stunden-Tag mit Wachsein tagsüber und Schlaf in der Nacht zur gelebten Norm.
Jugendliche neigen nun dazu, eben diese Zeitgeber zumindest vorübergehend zu eliminieren oder selbst zu bestimmen (z.B. Abdunkeln des Zimmers am Sonntagvormittag; Gebrauch elektronischer Geräte in der Nacht) und geraten damit in Konflikt mit dem sozial vorgegebenen 24-Stunden-Takt.
Dabei kommt es mit zunehmendem Alter zu einer Verschiebung der Schlafmitte nach hinten, wodurch Jugendliche während der Wochentage auch ein Schlafdefizit akkumulieren. Die Wissenschaft diskutiert darüber, in wieweit diese „phase delay“ (Phasenverschiebung) endogen programmiert ist oder aber eine Konsequenz des sozialen Umfelds (längeres Fernsehen, Chatten, Telefonieren, Internetsurfen etc.) ist.
Zu diesem „alltäglichen“ sozialen Jetlag kommt in der Regel eine zusätzliche Schlafphasenverschiebung an Wochenenden. Fortgehen – unter dem Druck der „Peer Group“ – bis in die frühen Morgenstunden und Schlaf bis weit in den Tag/Nachmittag hinein bringen das System zusätzlich aus dem Gleichgewicht.
Zwar wird das während der Schul-/Arbeitswoche angesammelte Schlafdefizit zum Teil kompensiert, wenn Jugendliche am Sonntag von 5:00–15:00 Uhr und somit zehn Stunden schlafen, gleichzeitig aber machen sie damit eine weitere Phasenverschiebung nach hinten durch. Diese „rächt“ sich dann v.a. am Montagmorgen, wenn die Jugendlichen um 6:00 oder noch früher aufstehen müssen, um zur Schule oder zur Arbeit zu gehen.

TV, Handy und Internet als „Schlafräuber“

Zahlreiche Studien belegen, dass die modernen Medien und die (so genannten) sozialen Netzwerke bei Jugendlichen zu einer Verkürzung der Schlafdauer beitragen, gleichzeitig aber auch die Schlafqualität des (Rest-)Schlafes beeinträchtigen. Ein eigener Fernseher im Zimmer, Handy und Computer neben bzw. im Bett wurden eindeutig als „Risikofaktoren“ identifiziert.

Soll die Schule später beginnen?

Mit schöner Regelmäßigkeit wird jedes Jahr – insbesondere zum Zeitpunkt der Zeitumstellung von Winter- auf Sommerzeit (und dem damit verbundenen Verlust einer „Schlafstunde“) – diskutiert, ob die Schule später beginnen soll.
Tatsächlich würde wahrscheinlich ein Großteil der Jugendlichen von einem späteren Schulbeginn profitieren. Bislang haben allerdings insbesondere sozioökonomische Bedenken eine Erprobung späterer Schulbeginnzeiten in Österreich verhindert.
Grundsätzlich wäre es z.B. denkbar, dass an Schulen mit mehreren Parallelklassen unterschiedliche Beginnzeiten für „Lerchen“ und „Eulen“ (die es sowohl unter den Schülern als auch unter den Lehrern gibt) angeboten werden.

Empfehlungen für Jugendliche

  • möglichst geregelter und gleichmäßiger Tagesablauf (auch an Wochenenden)
  • möglichst gleichmäßige Bettgeh- und Aufstehzeiten
  • freihalten des Schlafraumes von TV, Handy und Internet
  • kein unnötiges Ankämpfen gegen den eigenen „Typ“
  • keine stimulierenden Getränke/Substanzen in den Abendstunden
  • evtl. „Lichttherapie“ (vermehrter Blauanteil in den Morgenstunden, erhöhter Rotanteil in den Abendstunden als Stimulans der Melatoninproduktion)