Ängste sind nicht tabu, sondern behandelbar!

Asterix hatte bekanntlich nur vor einem Angst, nämlich dass ihm der Himmel auf den Kopf fällt. Die Brüder Grimm schickten einen aus, „das Fürchten“ zu lernen, und er wurde mit einem Königreich bedacht, weil er das Fürchten nicht lernte. Sigmund Freud beschrieb den jungen Hans mit seiner ausgeprägten Angst vor Pferden. Der Ängste gibt es viele.
Was macht den Kindern und Jugendlichen heutzutage Angst? Wir sprechen im Folgenden von dem Zuviel an Angst und nicht von dem Zuwenig wie bei den Brüdern Grimm. Wir sprechen von der Angst, die zur Panik und weiter zu Isolation und Depression führt.
Beginnen wir ganz von vorne. Wir kommen auf die Welt, Kommunikation ist nur über das Variieren der Stimmlage möglich. Möglichst laut schreien, sonst gibt es kein Futter, oder unsere Vorfahren in den Urzeiten hätten vielleicht ihren Nachwuchs vergessen, hätte dieser sich nicht kräftig zu Wort gemeldet. Überlebenstrieb ist das Schlagwort. Die Angst kommt mit uns auf die Welt und bleibt unsere ständige Begleiterin.
Trotzdem sind wir, vorausgesetzt satt und frisch gewickelt, offen für alles, was sich uns auf 20 cm nähert. Unsere Spiegelneuronen feuern munter vor sich hin, wenn sich ein Lächeln in unserem noch begrenzten Bildausschnitt zeigt. Ein paar Monate später, wir sind jetzt acht bis neun Monate alt, sieht die Sache schon anders aus. Wir fangen an zu „fremdeln“. Nicht jedes Kind macht es, aber die meisten. Plötzlich passen fremde Gesichtszüge nicht mehr in unsere gespeicherte Gesichter-Datenbank und lösen bei uns Unbehagen aus, bekannte Gesichter werden gesucht, und wir suchen Schutz bei Vater oder Mutter. Als Pädiater bemerke ich diese Veränderung vor allem bei der Mutter-Kind-Pass-Untersuchung zwischen dem siebten bis neunten Lebensmonat. Die Untersuchungen sind oft nur unter lautstarkem Protest durchzuführen. Was auch gut ist, denn hier können Eltern dem Kind vermitteln, ich bin da, obwohl es jetzt für dich unangenehm ist. Nach dem 15. Lebensmonat klingt dieses Verhalten ab, und wir sind wieder Freunde. Bis zur nächsten Impfung, aber diese Angst ist eine andere Geschichte.

Ängste kommen und gehen

Ängste in der Kindheit nehmen zu und dann wieder ab und sind Teil einer normalen Entwicklung. Zu den sozialen Ängsten im Allgemeinen, die wir vor allem mit dem Eintritt in die Schule entwickeln, kommt die Angst vor der Dunkelheit, vor Tieren und vor dem Alleinsein im Alter zwischen zwei bis vier Jahren, ab vier bis etwa sechs Jahren und manchmal länger, kommen die Ängste vor den Monstern und Gespenstern und auch vor der Natur mit ihren Katastrophen. Ab dem Schulalter treten die ersten Ängste vor der Schule auf. Das „Versagen“ und von anderen „negativ“ bewertet zu werden bekommt einen immer wichtigeren Stellenwert. Auch um unseren Körper machen wir uns Sorgen, die Gesundheit wird Thema, und Angst vor Krankheiten und dem Tod nimmt zu.
Wir lernen mit diesen Ängsten umzugehen. Kinder entwickeln Techniken, sich die Welt zu erklären. Im Spiel, in ihrer Fantasie werden sie begleitet und haben Helfer an ihrer Seite, und neben Vater und Mutter und allen Verwandten wacht Peter Pan auf dem Dach und vertreibt das „Böse“.
Die Übergänge zwischen „normal“ und klinisch relevant zeigen sich am ehesten, wenn es zu einer langanhaltenden und starken Beeinträchtigung des Kindes kommt, wenn die Entwicklung des Kindes gefährdet erscheint, wenn es zu Problemen in der Familie und in der Schule kommt.

Isolation durch Verhaltenshemmung und Schüchternheit

Ein weiterer Begriff in der Angstforschung ist die Verhaltenshemmung (behavioral inhibition). Wir sprechen hier mehr von einem Reaktionsstil, auf verschiedene Situationen zu reagieren, vor allem auf unbekannte Personen und Objekte. Der Mensch ist gehemmt, vermeidet und zeigt ein Unbehagen in neuen Situationen. Bereits beim Baby und Kleinkind lassen sich manchmal so genannte Charakterzüge erahnen. Manche Babys nehmen die Untersuchungssituation total „cool“, manche sind sofort lautstark erregt. Verhaltensgehemmte Kinder reagieren insgesamt ängstlicher in neuen Situationen, ziehen sich schneller zurück und versuchen Situationen zu vermeiden. Sie wirken gehemmter, und es hilft kein „na, jetzt mach schon“ oder „trau dich doch“, sondern sie verstecken sich hinter den Beinen von Papa oder Mama.
Ein anderer Verhaltensstil, den wir alle kennen, ist Schüchternheit. In sozialen Situationen kommt es zu großer Anspannung, was manchmal zu „komischen“ Verhaltensweisen wie etwa Schweigen führen kann. Im Vergleich zur Verhaltenshemmung ist die Schüchternheit nur auf soziale Situationen beschränkt. Beide Verhaltensweisen können zu sozialer Isolation führen. Das Kind oder der Jugendliche leidet. Auf der anderen Seite gibt es Menschen, die gerne alleine sind und nicht unter ihrer „Isolation“ leiden, wir nennen diese Menschen bekanntlich ungesellig oder „slow to warm up“.

Angst blockiert

In der Praxis müssen wir uns um die Kinder und Jugendlichen kümmern, die unter ihrer sozialen Isolation leiden, da sie eher unauffällig agieren und sich gerne zurückziehen.
Bei einem weltweiten Median von etwa 10% von Kindern und Jugendlichen mit Angststörungen gehören sie zur größten Gruppe von psychischen Störungen in diesem Lebensabschnitt. Das Fatale ist, dass die Kinder und Jugendlichen ihre Ängste mit in das Erwachsenenalter nehmen. Dort angekommen kommt es zu vermehrtem Auftreten von Depression und Suchterkrankungen.
In der Schule ist die „Laufbahn“ dieser ängstlichen Kinder vorprogrammiert, da die soziale Angst auch sehr stark eine Bewertungsangst ist, und wie wir alle wissen ist die Schule ein langer Weg an Bewertungen und (Über-)Prüfungen. Um Christine Nöstlinger zu zitieren: „Damit vielen Kindern in der Früh nicht das Frühstück stecken bleibt, wäre es am besten, sie von der Schulpflicht zu befreien.“ Hohe Ambitionen und hoher Leistungsdruck können Schulversagen erzeugen. Angst macht bekanntlich dumm und blockiert die Neugier der Kinder. In der Folge wird dadurch die soziale Integration in der Schule verhindert. So kann sich hinter dem Klassenkasperl die Angst verstecken nicht wahrgenommen zu werden, und nicht, wie so oft vermutet, ADHS (Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätssyndrom). Schnell kommt es in der Schule zu Ausgrenzung und Mobbing. Der Teufelskreis beginnt von Neuem, endet oft in Depression und Verweigerung und kann auch lebensgefährlich sein.

Man muss den Kindern Mut machen!

Aber wie kommen die Jungs und Mädchen aus ihren eigenen Angstkäfigen heraus?
Albert Einstein sagt: „Probleme kann man niemals mit derselben Denkweise lösen, durch die sie entstanden sind.“ Was will er uns damit sagen? Kinder und Jugendlichen brauchen professionelle Hilfe, um eine Fähigkeit wieder zu erlangen, und zwar Mut. Und das funktioniert in jedem Alter anders. Die Therapie besteht aus den drei Säulen des biopsychosozialen Modells. Die biologische oder medizinische Säule unterstützt das Gehirn mit einer Anpassung seiner Neurotransmitter, die psychologische Ebene unterstützt auf der kognitiven und emotionalen Ebene in Form einer geeigneten Psychotherapie, und die Psychoedukation der Umgebung (Familie, Schule, Freundeskreis) betrachtet die soziale Ebene. Im Erkennen und Herausfiltern von Kindern und Jugendlichen mit Ängsten sind alle Professionen gefordert: ob in der Schule die Lehrerin, die Hausärztin oder die Pädiaterin. Es ist wichtig, mit den Kindern und Jugendlichen zu reden, sie zu fragen, wie es ihnen wirklich geht, und auch Ängste offen anzusprechen. Kinder und Jugendliche sind froh, wenn wir sie anreden, weil sie leiden und nicht selbst den Mut haben, über ihre Situation zu sprechen.
Ängste müssen nicht ausgestanden werden, und sind nicht tabu. Sie sind behandelbar!