Adipositas im Visier

Adipositas galt lange Zeit als Folge eines falschen Lebenswandels. Mittlerweile wird sie von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) als chronische Krankheit anerkannt. Schätzungen zufolge litten 2014 weltweit mindestens 700 Millionen Erwachsene an Fettleibigkeit, 2016 sollen es bereits 900 Millionen sein. Aufgrund zahlreicher Begleiterkrankungen steigt mit dem Body Mass Index (BMI) das Risiko eines frühzeitigen Todes; im Schnitt verringert sich die Lebenserwartung von adipösen Erwachsenen um sieben bis zehn Jahre. „Adipositas ist der größte Risikofaktor für Bluthochdruck, Cholesterin, Schlafapnoe und Depressionen, ebenso wie Typ-2-Diabetes“, erklärt Univ.-Doz. Dr. Karl Miller, MD, FACS, Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Adipositaschirurgie und IFSO-Kongresspräsident. Der Mediziner hat bereits über 20 Jahre Erfahrung in der minimalinvasiven Chirurgie der krankhaften Adipositas und metabolischer Erkrankungen und ist überzeugt, dass krankhafte Fettleibigkeit eine unheilbare Erkrankung ist, die vor allem eines braucht: Teamarbeit.
Daher ist ein zentraler Schwerpunkt des IFSO, des „20th World Congress of the International Federation for the Surgery of Obesity and Metabolic Disorders“, die interdisziplinäre Behandlung von Fettleibigkeit und metabolischen Erkrankungen. Psychologen, Internisten, Endokrinologen, Gastroenterologen, Ernährungsspezialisten, Kinderärzte, Radiologen, Anästhesisten und Chirurgen werden im August in der Wiener Hofburg erwartet, mehr als 800 wissenschaftliche Arbeiten und bisher rund 2.000 angemeldete Teilnehmer belegen eindrucksvoll die Bedeutung des Themas.

Prävention und Behandlung jetzt starten

Die großen Herausforderungen in der Behandlung von Adipositas ortet Miller nach wie vor im mangelnden Bewusstsein: „Awareness-Programme sind derzeit aus meiner Sicht die einzig wirksamen und sinnvollen Möglichkeiten, aufzuklären und ein Umdenken in Gang zu setzen. Adipositas betrifft ja nicht nur eine bestimmte Altersgruppe, sondern mittlerweile drei Generationen. Es ist dringend an der Zeit, jetzt zu handeln!“ Prävention und Behandlung müssen daher Hand in Hand gehen, denn: „Es hat wenig Sinn, Menschen mit 160 kg Körpergewicht einfach auf Diät zu setzen. Nach kurzfristigen Erfolgen werden sie wieder an der Ausgangslage angekommen sein, frustriert und kränker als vorher.“ Aus Sicht des Experten muss vor allem Kindern und Jugendlichen Hilfe angeboten werden. Studien zeigen, dass die junge Generation gut informiert über Gesundheitsthemen ist, dass jedoch die Rahmenbedingungen das Umsetzen oft schwer machen: „Unser Lebensstil unterstützt nicht wirklich, wenn Essen immer und überall verfügbar ist. Turnstunden werden gekürzt, Bewegung findet kaum mehr statt. Wie kann man dann von jungen Menschen erwarten, dass sie Vorsorge betreiben?“, stellt Miller in den Raum.

 

Im Gespräch

Wo liegen aktuell neue Entwicklungen in der Adipositaschirurgie?

Neu ist die schnittfreie Chirurgie bei der Verkleinerung des Magenvolumens. Österreich nimmt hier eine führende Rolle ein und ich habe umfassende Erfahrung mit endoluminalen Techniken gesammelt. Die Anwendung dieser Methode ist jedoch nur bei Übergewicht und Fettleibigkeit Grad I sinnvoll. Hier stehen auch erste Studienergebnisse zur Verfügung, ebenso zur endoskopischen Legung von Magenkathetern, eine Behandlung für Hochrisikopatienten oder jene, die einen chirurgischen Eingriff ablehnen.

Ist eine Nachbehandlung erforderlich?

Eine Nachbetreuung muss interdisziplinär von Diätologen, Internisten, Chirurgen und speziell geschulten Allgemeinmedizinern erfolgen, denn Adipositas ist eine unheilbare Erkrankung und Patienten können jederzeit, sobald die Wirksamkeit chirurgischer Maßnahmen nachlässt, wieder rückfällig werden.