„Tsunami“ in der Orthopädie – 15. Europäischer Orthopädie-Kongress EFORT

Einer immer älter werdenden Bevölkerung optimale orthopädische Versorgung anbieten zu können, während die öffentlichen Gesundheitsbudgets unter Spardruck sind, zählt zu den aktuellen Herausforderungen, denen sich Orthopäden stellen müssen. „Die orthopädische Versorgung ist heute mit einem regelrechten Tsunami konfrontiert. Auf der einen Seite hat die Verschuldung der Staaten weltweit die Grenze von 53 Billionen US-Dollar erreicht, gleichzeitig steigt die Lebenserwartung laufend und immer mehr Menschen werden immer älter. Schätzungen zufolge wird ein Viertel der Menschen in der EU im Jahr 2035 über 65 sein. Wenn wir für unsere Patienten auch in Zukunft eine qualitativ hochwertige Versorgung sicherstellen wollen, müssen wir die Dinge anders machen“, betont Prof. Timothy Briggs, Präsident der British Orthopaedic Association, im Rahmen des EFORT. Organisiert wurde die Jahrestagung von der European Federation of National Associations of Orthopaedics and Traumatology (EFORT) gemeinsam mit der British Orthopaedic Association (BOA). Patientensicherheit war das Hauptthema dieses wissenschaftlichen Großereignisses, zu dem mehr als 7.000 internationale Teilnehmer kürzlich nach London kamen.

Demografie lässt Anforderungen steigen

Allein in Großbritannien betreffen mehr als 25 Prozent aller chirurgischen Eingriffe Erkrankungen des Bewegungsapparats und diese Zahl wird in den nächsten zehn Jahren weiter ansteigen. Weltweit sind Erkrankungen des Bewegungsapparats die häufigste Ursache für Behinderung und Arbeitsunfähigkeit. „Vor dem Hintergrund eines stetig steigenden Bedarfs an orthopädischen Leistungen und des enormen Drucks auf die Gesundheitsbudgets kann durchaus von einer tickenden Zeitbombe gesprochen werden. Wir müssen aber die Explosion verhindern“, sagte auch EFORT Präsident Prof. Manuel Cassiano Neves. „Wir müssen die Quadratur des Kreises schaffen, mehr Ressourcen für die beste Versorgung zu mobilisieren und gleichzeitig Einsparungsmöglichkeiten zu finden.“

Ressourcen sinnvoll einsetzen

Eine wissenschaftliche Sitzung des Kongresses widmete sich der Erzielung eines gesamteuropäischen Konsenses zu diesen ­Fragen. Die Herausforderung lautet, bessere Ergebnisse für die Patienten, weniger Komplikationen und damit Kostenein­sparungen zu realisieren. Beispiele bringt Briggs aus eigener Erfahrung und zeigt am Beispiel von Krankenhausinfektionen, dass Einsparungen und eine verbesserte Versorgung einander nicht ausschließen, im Gegenteil: „Wir haben herausgefunden, dass in Groß­britannien die Infektionsraten bei Hüft- oder Kniegelenkersatzoperationen zwischen den Krankenhäusern von 0,2 bis zu mehr als vier Prozent variieren. Wenn wir im gesamten System die niedrigsten Infektionsraten erreichen könnten, würde das zu jährlichen Einsparungen von umgerechnet 250 bis 370 Millionen Euro führen. Damit könnten wir zusätzliche 40.000 bis 60.000 Gelenkersatz-OPs durchführen, ohne zusätzliche Kosten und ohne Rationierungen.

Evidenzbasiertes Vorgehen

Ein weiterer Ansatzpunkt ist die konsequente Anwendung evidenzbasierter Verfahren. „Für ähnliche Verfahren gibt es enorme Unterschiede bei den Ergebnissen. Es werden die unterschiedlichsten Prothesen eingesetzt, wobei für viele nur spärliche Daten über die langfristige Wirksamkeit vorliegen. „Neue diagnostische oder therapeutische Methoden werden den Patienten auf breiter Basis angeboten, allerdings manchmal mit wenig Nutzen. Zum Beispiel gab es in der Schulterchirurgie in den vergangenen zehn Jahren in Großbritannien eine 746-prozentige Zunahme bei ­arthroskopischen subacrominalen Dekompressionen, obwohl für diese Methode keine Langzeitdaten vorliegen. Aus anderen europäischen Ländern werden ähnliche Zahlen berichtet“, fasst Briggs zusammen.