Diabetes und Ramadan – wie vorgehen?

Weltweit leben ca. 1,6 Mrd. Menschen mit islamischem Religionsbekenntnis. Ramadan ist der neunte Monat des islamischen Mondkalenders und der Fastenmonat der Muslime.1
Die Fastenzeit verschiebt sich jährlich um etwa 10 bis 11 Tage nach vorne, bedingt durch den Mondkalender. Gefastet wird einen Monat lang. Während der Fastenzeit darf vom Sonnenaufgang (Sahur) bis zum Sonnenuntergang (Iftar) keine Flüssigkeits- und Nahrungszufuhr erfolgen. Weiters ist das Inhalieren inkl. Rauchen und die Einnahme von Medikamenten inkl. subkutaner oder sublingualer Verabreichungen untersagt.
Als Fasten wird die freiwillige völlige oder teilweise Enthaltung von Speisen, Getränken und Genussmitteln über einen bestimmten Zeitraum verstanden – im Gegensatz zum Hungern, das auf einen Mangel an Nahrung zurückzuführen ist.
Obwohl Menschen mit chronischen Erkrankungen, wie z. B. chronische Herzkranzerkrankung und Diabetes mellitus, von der Pflicht zu fasten befreit sind, machen trotzdem viele muslimische Gläubige von dieser Ausnahme keinen Gebrauch. Von der Fastenpflicht sind, wie bereits erwähnt, akut oder chronisch Erkrankte, Schwangere und Stillende sowie menstruierende Frauen, Reisende und Kinder vor der Pubertät sowie ältere und gebrechliche Personen befreit. Diese Personen müssen als „Buße“ für das Nicht-Fasten-Können eine Spende an bedürftige Personen oder Institutionen tätigen.

Fastenmonat Ramadan

Laut der EPIDIAR-Studie fasten weltweit rund 50 Mio. Menschen mit Diabetes mellitus jährlich in der Fastenzeit.2 Entsprechend der IDF-DaR-Praxisempfehlung 2021 fasten 43 % der Menschen mit Typ-1-Diabetes (T1D) in der EPIDAR-Studie, in der DaR-Global Survey waren es sogar fast 70 % der Teilnehmer mit T1D. Bei Typ-2-Diabetes (T2D) fasteten über 84 % der Studienteilnehmer.2, 3
Die Fastenzeit stellt eine besondere Anforderung an Menschen mit Diabetes und ihre Therapeuten dar. Wenn ein Patient fasten möchte, müssen Einnahmen und Dosierungen der Medikamente an die neuen Essgewohnheiten angepasst werden. Da die Hauptmahlzeit bei Sonnenuntergang stattfindet, kommt es zu einer Umkehr des Tag-Nacht-Rhythmus.
Entsprechend diesem Rhythmus bedarf es einer Umstellung bzw. Dosisadaptierung einiger Medikamente, insbesondere der Insulintherapie – hierbei hat vor allem die Vermeidung von Hypoglykämien Vorrang. Weitere Komplikationen während des Fastens sind Hyperglykämie, Dehydrierung, erhöhte Thrombose- und Ketoazidosegefahr.2 Im Vorfeld ist es ratsam, den Patienten zu seinem Fastenvorhaben zu befragen und, falls der Patient aktiv fasten möchte, eine Be­gleitung anzubieten. Idealerweise empfiehlt es sich, diese bereits 2–4 Monate vor der Fastenzeit vorzubereiten.
IDF und DaR haben 2017 erstmals eine Praxisempfehlung für Patienten mit Diabetes herausgegeben, die in der Fastenzeit Ramadan fasten möchten.4 Entsprechend dem Risiko für das fastenbedingte Auftreten einer oder mehrerer Komplikationen werden die Betroffenen unterschiedlichen Risikogruppen zugeordnet.4, 12

Risikoeinschätzung hinsichtlich Eintretens einer und/oder mehrerer Komplikationen während der Fastenzeit:5

Sehr hohes Risiko für Komplikationen:

  • schwere Hypoglykämie in den letzten 3 Monaten
  • diabetische Ketoazidose in den letzten 3 Monaten vor der Fastenzeit
  • hyperosmolar-hyperglykämisches Koma in den letzten 3 Monaten vor Beginn der Fastenzeit
  • rezidivierende Hypoglykämien und/oder asymptomatische Hypoglykämien
  • schlecht eingestellter T1D
  • akute Erkrankungen
  • Schwangerschaft bei vorbestehendem Diabetes mellitus (DM) oder Gestationsdiabetes (GDM) mit Insulin- oder Sulfonylharnstoff-(SH-)Therapie
  • chronische Dialyse oder chronische Niereninsuffizienz (CKD) Stadium 4 oder 5
  • fortgeschrittene makrovaskuläre Komplikationen
  • ältere und kranke Personen

Hohes Risiko für Komplikationen:

  • anhaltend schlecht eingestellter T2D
  • gut kontrollierter T1D
  • gut kontrollierter T2D unter laufender Mischinsulin- oder Basis-Bolus-Therapie
  • Schwangere mit T2D oder GDM nur unter diätetischer oder Metformintherapie
  • CKD Stadium 3
  • stabile makrovaskuläre Komplikationen
  • Menschen mit Komorbiditäten, die zusätzliche Risikofaktoren darstellen
  • Personen mit Diabetes, die intensive körperliche Arbeit leisten
  • Behandlungen mit Medikamenten, die die kognitive Funktion beeinträchtigen können

Moderates oder geringes Risiko für Komplikationen:
Menschen mit gut eingestelltem T2D, die mit einer oder mehreren der folgenden Therapien behandelt werden:

  • Lebensstilmodifikation
  • Metformin
  • Acarbose
  • Thiazolidindione
  • Sulfonylharnstoffe
  • inkretinbasierte Therapien (DPP-4-Inhibitor oder GLP-1-RA)
  • SGLT2-Inhibitor
  • Basalinsulin

Weitere „Total-Risk-Scores“, in denen u. a. auch die Diabetesdauer oder Gewohnheiten der Blutzuckerselbstkontrolle berücksichtigt werden, werden für eine Risikoabschätzung hinsichtlich Komplikationen während des Fastens empfohlen.
Wenn ein Patient mit Diabetes nach durchgeführter Risikostratifizierung fasten möchte, ist eine ausführliche Beratung bereits 6–8 Wochen vor dem Fastenbeginn ratsam.
Es wird empfohlen, die aktuelle Medikamentenliste anzupassen und eine diabetesspezifische Schulungsauffrischung hinsichtlich des Verhaltens bei Hypoglykämie, Hyperglykämie, Blutzuckerselbstmessungen sowie der Komorbiditäten zu beachten. Weiters ist eine ausführliche Beratung hinsichtlich der Ernährung und Flüssigkeitszufuhr während der Fastenzeit zu berücksichtigen. Allgemein ist eine ausgewogene Ernährung mit 45–50 % Kohlenhydrat-, 20–30 % Protein- und < 35 % Fettanteil empfehlenswert.
Zu Sahur werden komplexe Kohlenhydrate und zu Iftar einfache Kohlenhydrate sowie allgemein Nahrungsmittel mit niedrigem glykämischen Index empfohlen.
Weiters sollte der Verzehr an gesättigten Fettsäuren reduziert werden.4

Der Fastende muss weiters aufgeklärt werden, dass das Fasten sofort abzubrechen ist, wenn

  • der Blutzucker unter 70 mg/dl (3,9 mmol/l) sinkt oder
  • der Blutzucker über 300 mg/dl (16,6 mmol/l) steigt oder
  • Symptome einer Hypoglykämie, Hyperglykämie, Dehydration oder
  • eine akute Erkrankung eingetreten sind.

Dosierungsvorschläge während der Fastenzeit

Die angegebene Reihenfolge der Substanzgruppen entspricht nicht der Priorisierung des Einsatzes laut aktueller Leitlinienempfehlung.

Antidiabetische Therapie abseits Insulin6, 12

Metformin: Bei einer zweimaligen Einnahme (von z. B. 1.000 mg Metformin) kann die Dosierung belassen werden, die Einnahme erfolgt bei Sahur und Iftar. Bei einer dreimaligen Einnahme (von z. B. Metformin 500 mg) ist die Einnahme von Metformin 500 mg zu Sahur und 1.000 mg zu Iftar zu empfehlen.

Acarbose: Die Einnahme ist ohne Änderung der Dosierung zu den Mahlzeiten zu empfehlen.

Sulfonylharnstoffe: Ein Wechsel auf die neuere Generation der Sulfonylharnstoffe (z. B. Gliclazid, Glimepirid), ist wenn möglich, zu empfehlen. Bei einer einmaligen Gabe: Einnahme zum Iftar. Eventuell wäre eine Dosisreduktion um 25 % bei gut eingestelltem Glukosestoffwechsel erforderlich. Bei einer zweimaligen Gabe empfiehlt es sich bei gut eingestelltem Glukosestoffwechsel, die Morgendosierung um 25 % zu reduzieren und die zweite Einnahme zum Iftar ohne Dosisreduktion zu belassen.

Glitazone: Die Einnahme wird ohne Dosisreduktion zu Iftar oder Sahur empfohlen.

Dipeptidylpeptidase-4-Inhibitoren (DPP-4-Inhibitoren): Rezente Daten zeigen, dass DPP-4-Inhibitoren (v. a. Vildagliptin, Sitagliptin) eine sichere Therapiealternative während der Fastenzeit sind. Es zeigte sich im HbA1c-Wert keine signifikante Differenz zu SH.7 Durch die Einnahme von DPP-4-Inhibitoren konnte ein geringeres Risiko sowohl für leichte, symptomatische als auch schwere Hypoglykämien im Vergleich zu SH verzeichnet werden.1, 7 Die Dosierung des DPP-4-­Inhibitors wird nicht verändert, die Einnahme kann zum Iftar erfolgen.6

GLP-1-Rezeptoragonisten (GLP-1-RA): In der „Treat for Ramadan“-Studie konnte unter Liraglutid ein geringeres Risiko für Hypoglykämien als unter SH sowie eine Besserung des HbA1c und eine Gewichtsreduktion gezeigt werden.8 Des Weiteren konnte in der LIRA-Ramadan-Studie die Effektivität und Sicherheit von Liraglutid über einen Beobachtungszeitraum von 52 Wochen inklusive der Fastenzeit gezeigt werden. Liraglutid bewirkte eine Verbesserung des Verlaufs der Nüchternblutzuckerwerte, eine anhaltende Gewichtsreduktion sowie eine HbA1c-Senkung.9

SGLT2-Inhibitor: Hier wird keine Dosisreduktion empfohlen, die Einnahme kann zum Iftar erfolgen. Auf eine ausreichende Flüssigkeitszufuhr nach dem Fastenbrechen (Iftar) bis zu Sahur ist zu achten. Die Einnahme von SGLT2-Inhibitoren ist bei gut eingestellten Diabetikern mit stabiler Stoffwechsellage und guter Nierenfunktion sowie ohne erhöhtes Risiko für eine Dehydration möglich.10 Das Hypoglykämierisiko ist prinzipiell gering und die durch die renale Glukosurie bedingte Gewichtsreduktion von Vorteil. In Anbetracht der Gefahr einer euglykämischen diabetischen Ketoazidose ist jedoch bei Insulinmangel Vorsicht geboten. Die Patienten müssen über das Pausieren der SGLT2-Inibitoren bei einer akuten Erkrankung während des Fastens erneut aufmerksam gemacht werden.

Kombinationspräparate oraler Substanzklassen: Hierbei müssen hypoglykämische Effekte und entsprechende Dosierungsempfehlung bzw. -adaptierungen der jeweiligen Substanzgruppen, wie bereits oben erwähnt, berücksichtigt werden.

Insulintherapie

BOT: Es wird empfohlen, die einmalige Basalinsulintagesdosierung bereits 1–2 Tage vor dem Fasten um 15 bis 30 % zu reduzieren und im Laufe der Fastenzeit die Dosis entsprechend dem Glukosestoffwechselverlauf langsam anzupassen. Die zweimalige Gabe eines Basalinsulins ist folgendermaßen zu verteilen: Die übliche Morgendosierung ist zum Iftar (Sonnenuntergang) und die abendliche Dosierung ist mit einer Reduktion um 50 % zu Sahur (Sonnenaufgang) zu applizieren.1

Rasch oder kurzwirksame Prandial-/Bolusinsuline: Die übliche Dosierung ist entsprechend der Kohlenhydratzufuhr zum Iftar zu verabreichen. Die Insulinapplikation zu Mittag ist auszulassen. Zu Sahur ist initial eine Dosisreduktion um 25 bis 50 % zu empfehlen und die Dosierung im Verlauf bedarfsentsprechend anzupassen.
Aus der oben empfohlenen Dosisanpassung der Basal- und Prandialinsuline ist die funktionelle Insulintherapie (FIT) abzuleiten.

Mischinsuline: Bei einmaliger Verabreichung, wird die übliche Dosierung zum Iftar appliziert. Bei zweimaliger Verabreichung wird die übliche Morgendosierung zum Iftar und die übliche Abenddosierung um 25 bis 50 % reduziert und zu Sahur appliziert. Bei dreimaliger Verabreichung wird die Mittagsgabe ausgelassen, ansonsten wird analog der Empfehlung zu zweimaliger Verabreichung vorgegangen; die Dosis wird schrittweise angepasst. Eine Dosistitration (gegebenenfalls nach einem vorgegebenem Schema) sollte alle drei Tage entsprechend dem Glukosewert durchgeführt werden. Dabei ist eine engmaschige Kontrolle bzw. eine Rücksprache mit dem betreuenden Arzt bzw. dem Diabetesteam empfehlenswert.

Insulinpumpentherapie: Die Basalrate sollte in den letzten 3 bis 4 h des Fastens um 20 bis 40 % reduziert werden. Kurz nach Iftar wird eine Basaldosiserhöhung um 0 bis 30 % empfohlen.
Die Bolusdosis ist abhängig von der konsumierten Kohlenhydratmenge und der jeweiligen Insulinsensitivität zu applizieren.

Resümee

Zusammenfassend nimmt der Trend beim Fasten zu. Es gibt unterschiedliche Gründe, wieso jemand fastet. In diesem Beitrag wurde auf die Fastenzeit Ramadan (islamischer Fastenmonat) eingegangen. Laut der EPIDIAR-Studie fasten > 40 % der Studienteilnehmer mit T1D und > 84 % der Teilnehmer mit T2D im Fastenmonat Ramadan über mindestens 15 Tage. Aktiv sollte der Patient 6–8 Wochen vor der Fastenzeit befragt werden, ob ein Fastenvorhaben besteht.
Laut den IDF-DAR-Praxis-Guidelines 2021 sowie den Praxisempfehlungen der AG Migration und Diabetes der ÖDG11, 12 wird das Vorgehen beschrieben sowie auf Dosierungsempfehlung inkl. Risikoeinschätzung für Komplikationen eingegangen. Vor Fastenbeginn sollte der Patient eine diabetesspezifische Einschulung bzw. Wissensauffrischung hinsichtlich Hypoglykämie, Hyperglykämie, Blutzuckerselbstmessung sowie des Verhaltens bei akuter Verschlechterung und ausgewogener Ernährung erhalten.


1 Ramadan specific guidelines for doctors. Baqai Institute of Diabetology and Endocrinology, www.ramadandiabetes. com/ForDoctors.html (2013)
2 Salti I et al., Diabetes Care 2004; 27(10): 2306–11
3 Hassanein, M., et al., Diabetes Res Clin Pract 2021; 172: 108626
4 IDF-DaR-Guideline 2021; idf.org/e-library/guidelines/165-idf-dar-practical-guidelines-2021.html
5 Hassanein M et al., Diabetes Res Clin Pract 2017; 126: 303–16
6 Loh HH et al., Prim Care Diabetes 2015; pii: S1751-9918 (15)00121-7
7 Azis KMA, Diabetes Metab Syndr Obes 2015; 16: 207–11
8 Brady et al., Diabetes Obes Metab 2014; 16: 527–36
9 Azar STMD et al., Diabetes Obes Metab 2016; 18(10): 1025–33
10 Salem BA et al., Ibnosina J Med Bs 2015; 8(3): 81–8
11 Sat S et al., Diabetologie 2021; 16 (Suppl 2): 1–17
12 Aydinkoc-Tuzcu et al., Wien Klin Wochenschr 2019; 131 (Suppl 1): 229–235. DOI:10.1007/s00508-019-1446-0