Was können heutige Closed-Loop-Systeme?

Eine gute Diabeteseinstellung ist bei Typ-1-Diabetes oft eine sehr große Herausforderung und emotionale Belastung für die Betroffenen. Das Erreichen von normnahen Stoffwechselzielen kann mit Hypoglykämien, die kurzfristige (Bewusstseinsverlust mit Sturz, Unfällen, Herzrhythmusstörungen) und langfristige (neurologische Schädigungen) Folgen mit sich bringen können, verbunden sein. Eine gute Diabeteseinstellung ist jedoch notwendig, um mikrovaskuläre Folgeschäden zu vermeiden. Aktuell ist die Lebenserwartung von Personen mit Typ-1-Diabetes um 8 bis 13 Jahre kürzer als bei einem vergleichbaren Kollektiv ohne Typ-1-­Diabetes. Moderne Diabetestechnologie (kontinuierliche Glukosesensoren – CGM-Systeme; Insulinpumpen mit prädiktiver Hypoglykämieabschaltung) hat das Potenzial, das Diabetesmanagement bei adäquater Anwendung zu verbessern und die Lebensqualität zu erhöhen.

Closed-Loop-Systeme (auch „automatisierte Insulinabgabesysteme [AID-System]“ oder „künstliche Bauchspeicheldrüse“ genannt) sind aktuell die höchste Stufe der Diabetestechnologie. Bei AID-Systemen wird eine Insulinpumpe mit einem CGM-System und einem Kontrollalgorithmus kombiniert, wobei die Insulinabgabe auf die aktuellen Glukosewerte abgestimmt wird. Bei den aktuell zugelassenen Systemen handelt es sich um Single‐Hormon-AID-Systeme, da nur Insulin im Rahmen dieses Steuermechanismus abgegeben wird. Systeme, die neben Insulin auch andere Hormone wie beispielsweise Glukagon in Abhängigkeit der Glukosespiegel abgeben, nennt man „Dual‐Hormon-Systeme“ (noch nicht kommerziell verfügbar).

Der Kontrollalgorithmus ist das Schlüsselelement von AID-Systemen, da er die bedarfsgerechte Insulinabgabe steuert. Der Algorithmus sollte mit den variablen Bedürfnissen der einzelnen Anwender*innen, aber auch mit dem täglich variierenden Insulinbedarf einzelner Anwender*innen zurechtkommen. Dabei muss der Algorithmus die Verzögerung zwischen Gewebs- und Blutglukose, die Kinetik der Insulinwirkung sowie mögliche Verzögerungen durch die Insulinabgabe am Infusionsort berücksichtigen. Der Algorithmus kann in die Insulinpumpe (bei kombinierten, kommerziellen Systemen) integriert oder eine eigenständige Anwendung wie z. B. eine Smartphone-App (bei modularen Systemen) sein. Bluetooth®-Technologie ermöglicht die Kommunikation zwischen den einzelnen Komponenten.
Erste Studien zu AID-Systemen fanden unter überwachten Bedingungen an Forschungseinrichtungen und in Hotels statt und waren von kurzer Dauer (24–72 Stunden). Seit diesen ersten Anfängen veränderte sich das Studiendesign seit den 2010er-Jahren. Neue Studien untersuchen AID-Systeme unter Routinebedingungen in der Langzeitanwendung über mehrere Monate in verschiedenen Populationen von Personen mit Typ-1-Diabetes (Erwachsene, Kinder und Jugendliche, Schwangere, Menschen > 60 Jahre).
Im Folgenden werden neue kommerzielle AID-Systeme diskutiert, die in nächster Zeit auch auf den europäischen Markt kommen sollen.

Minimed™-780G-System

Beim Minimed™-780G-System (Medtronic, Abb.) handelt es sich um die Weiterentwicklung des Minimed™-670G- bzw. -770G-Systems. Es ist ebenfalls ein integriertes System, bei dem Sensor, Insulinpumpe und Algorithmus vom selben Hersteller erzeugt werden. Die Sensorglukose wird alle 5 Minuten gemessen, und der Algorithmus passt die Insulinzufuhr automatisiert entsprechend an den Wert und den Trend an. Insulinboli für die Mahlzeiten müssen weiterhin händisch abgerufen werden. Wie beim Minimed™-770G-System können die Glukosewerte am Smartphone dargestellt werden, wenn auch eine Steuerung über das Smartphone aus rechtlichen Gründen noch nicht möglich ist.

 

 

Der wesentliche Unterschied zu den Vorgängermodellen ist, dass einer von drei Glukosezielwerten ausgesucht werden kann, was eine bessere Individualisierung auf die Anwender*innen ermöglicht. Vormals war lediglich ein Zielwert von 120 mg/dl verfügbar, nun gibt es die folgenden frei wählbaren Zielwerte: 100, 110 und 120 mg/dl. Neu ist auch, dass der bisher integrierte SmartGuard™ Algorithmus durch den DreaMed Diabetes MD-Logic-Artificial-Pancreas-Algorithmus ergänzt wurde. Dieser Algorithmus führt automatisierte Korrekturboli durch, wobei angenommen wird, dass auch Mahlzeiten besser abgefangen werden können, wenn vergessen wurde, einen Mahlzeitenbolus abzugeben. Durch die Kombination der Algorithmen erscheint es den Anwender*innen noch besser möglich, die Zeit im Zielbereich zu erhöhen und gleichzeitig die Zeiten unter und über dem Zielbereich zu reduzieren. Erste Daten zeigen eine Zeit im Zielbereich von 76 %, mit einer Zeit unter dem Zielbereich von 2,9 % und einer Zeit über dem Zielbereich von 21 %.

Omnipod® 5 Automated Glucose Control System

Das Omnipod® 5 Automated Glucose Control System (Omnipod®-5-System, Insulet Corp.) ist ein AID-System, das aktuell aus dem Pod (mylife), dem Dexcom-G6®-CGM (Dexcom) und dem Personal Diabetes Manager (PDM) besteht. Zukünftige Versionen werden auch andere bzw. weitere CGM-Systeme (FreeStyle Libre oder Dexcom G7®) integrieren können. Ein weiteres Ziel ist, eigene mobile Geräte wie Smartphones zur Steuerung anstelle des zugehörigen PDM zu nutzen. Durch diese Individualisierbarkeit wird sich die Anwender*innenzufriedenheit deutlich erhöhen. Der vom Omnipod®-5-System genutzte Algorithmus ist ein MPC-Algorithmus (Model Predictive Control), der Insulin-Mikroboli berechnet, die alle 5 Minuten, basierend auf Sensorglukosewerten, abgegeben werden, und erwartete Glukosewerte über einen Zeithorizont von 60 Minuten berücksichtigt. Der Algorithmus ist in jeden Pod integriert, und die Sensordaten werden direkt an den Pod transferiert. Der Glukosezielwert kann von den jeweiligen Anwender*innen zwischen 110 und 150 mg/dl festgelegt werden. Der Algorithmus peilt bei seinen Berechnungen diesen Zielwert an. Die Abgabe von Mahlzeitenboli obliegt den Anwender*innen selbst, die Boluseinstellungen können in den PDM einprogrammiert werden. In den PDM ist auch ein Bolusrechner integriert, der unter Berücksichtigung von CGM-Werten und -Trends bei der Bolusberechnung unterstützt. Weiters beinhaltet das Omnipod®-5-System das HypoProtect Feature, das eine temporäre Reduktion der Basalinsulinzufuhr während des Sports ermöglicht.

Tandem-Control-IQ™-System

Das Tandem-Control-IQ™-System (Tandem Diabetes Care Inc.) besteht aus der Tandem t:slim X2™-Insulinpumpe mit Control-IQ™-Algorithmus und wird mit dem Dexcom-G6®-CGM-System betrieben, das heißt, dass es sich hierbei ebenfalls um ein modulares System mit Komponenten verschiedener Hersteller handelt. Der Algorithmus ist ein MPC-Algorithmus und wurde von Forscher*innen der University of Virginia entwickelt. Die aktuell in Testung befindliche Version des Algorithmus nennt sich „Control-IQ Pro“, und die minimale Insulintagesdosis, mit welcher der Algorithmus betrieben werden kann, beträgt 5 IE/Tag (bei der Vorgängerversion war ein Mindestgewicht von 25 kg und eine minimale Tagesinsulindosis von 10 IE/Tag erforderlich).

Do-it-Yourself-Systeme

Als „Do‐it-yourself-AID-System“ (DIY-AID) bezeichnet man AID-Systeme, die von der Diabetes-Community selbst entwickelt werden. Dabei werden handelsübliche Insulinpumpen und Glukosesensoren mit selbst entwickelten Algorithmen am Smartphone bzw. auf der Smartwatch genutzt. Aktuell gibt es drei verschiedene APS-Plattformen, auf denen die Algorithmen laufen: Loop (iOS-basiert), OpenAPS (Android-basiert) und Android APS (Android-basiert). Durch den starken Rückhalt in der Diabetes-Community, die sich über diverse Kommunikationsplattformen Support gibt, können auch technisch weniger versierte Personen derartige Systeme betreiben. Durch die selbst entwickelten Algorithmen können diese personalisiert gestaltet werden; auch können Komponenten der Wahl miteinander kombiniert werden.

Resümee

AID-Systeme können die Diabeteseinstellung verbessern und die Lebensqualität von Personen mit Typ-1-Diabetes erhöhen. Neue Entwicklungen bringen modulare Systeme mit Komponenten verschiedener Hersteller auf den Markt, was eine Personalisierung ermöglicht. Auch Glukosezielwerte werden individualisierbar, und die Weiterentwicklung der Algorithmen (Sportfunktionen, optimierte Insulinabgabe rund um Mahlzeiten) rückt in den Vordergrund. Neben kommerziellen AID-Systemen gibt es auch von der Diabetes-Community selbst entwickelte AID-Systeme, die durch personalisiertes Design einen großen Zuspruch erleben.


Literatur bei den Verfasserinnen