Einleitung

Jüngsten Schätzungen zufolge (US Renal Data System, 2011 Annual Data Report) entwickeln über 40 % aller Nierentransplantierten innerhalb von drei Jahren Diabetes mellitus („new-onset diabetes after transplantation“, NODAT). Diese nach der Transplantation erworbene Erkrankung stellt keine zu vernachlässigende Harmlosigkeit dar. Das unterstreichen kürzlich publizierte Daten, denen zufolge eine Hyperglykämie innerhalb des ersten Jahres nach Nierentransplantation das Risiko eines Transplantatverlusts und auch das – vor allem kardiovaskuläre – Mortalitätsrisiko deutlich erhöht (Wauters RP et al., Transplantation 2012; 94:377–382).
Bislang waren gezielte Strategien zur Therapie und – noch wichtiger – zur Vermeidung eines NODAT leider nur in sehr begrenztem Umfang verfügbar: Die derzeitig noch immer gültigen Empfehlungen waren zumindest bemüht, die Immunsuppression zu modifizieren, um eine geringere Diabetogenität zu erreichen (Davidson J et al., Transplantation 2003; 75:SS3–24), des Weiteren fehlten und fehlen immer noch ausreichend gepowerte, prospektive Studien, welche der speziellen Pathophysiologie dieser Erkrankung Rechnung tragen und gezielt die verfügbaren antidiabetischen Medikamente auch bei Nierentransplantierten untersuchen.

NODAT ist nicht gleich Typ-2-Diabetes

Die Anlehnung sowohl des pathophysiologischen wie therapeutischen Verständnisses an den herkömmlichen Typ-2-Diabetes ist irreführend. Würde man – wie in den zuletzt 2003 aktualisierten Empfehlungen vorgesehen – Patienten nach Nierentransplantation wie Typ-2-Diabetiker behandeln, so hieße das: zuerst Modifikation des Lebensstils, danach orale Antidiabetika und schließlich Insulin. Da die immunsuppressive Belastung durch Steroide und Kalzineurinhemmer unmittelbar nach Nierentransplantation beträchtlich ist, sind frühe Hyperglykämien jedoch die Regel und der Versuch, diese durch Lebensstilmodifikationen (mehr Bewegung, Änderung der Ernährungsgewohnheiten etc.) zu bekämpfen, nicht möglich und/oder ineffizient.

Protektive initiale Insulingabe

Im Sinne eines „Bottom-up“-Ansatzes wurde nun an der Medizinischen Universität Wien federführend durch Manfred Hecking die TIP-Studie (Treat-to-target trial of basal Insulin in Post-transplant hyperglycemia) entworfen. Diese ging der Frage nach, ob die Inselzellen durch exogene Insulinzufuhr vor Überlastung geschützt und damit das Risiko für das Auftreten eines späteren NODAT reduziert werden kann. Patienten mit einem Blutzucker > 140 mg/dl erhielten Basalinsulin (Blutzuckerziel 110–120 mg/dl), wohingegen bei Kontrollpatienten die Insulintherapie nur zweitrangig (nach oralen Antidiabetika) und intermittierend, zur Korrektur erheblicher Blutzuckerüberschreitungen (spätestens ab Blutzucker > 250 mg/dl) eingesetzt wurde. Primärer Studienendpunkt war das HbA1c nach 3 Monaten.
Bemerkenswert war in dieser offenen, randomisiert-kontrollierten Studie zuallererst die exzessive Hyperglykämiefrequenz (BZ > 200 mg/dl) in den ersten Wochen nach Transplantation. Weiters war eine konsistente Blutzuckerdynamik besonders mit abendlichen Blutzuckererhöhungen als NODAT-Spezifikum zu beobachten, und schließlich war das Resultat erstaunlich: In der Behandlungsgruppe war sowohl der HbA1c nach 3 als auch nach 6 Monaten signifikant niedriger, und keiner der insulintherapierten Patienten benötigte nach einem Jahr eine antidiabetische Therapie, während dies bei 32 % der Kontrollpatienten notwendig war. Die initiale Insulingabe und dadurch die Vermeidung einer postoperativen Hyperglykämie erwies sich tatsächlich als protektiv.

Therapeutische und prophylaktische Zukunftsstrategien

In naher Zukunft soll eine multizentrische Studie in den USA und Europa zeigen, ob das Konzept der initialen Inselzellprotektion durch Insulin tatsächlich jedem nierentransplantierten Patienten empfohlen werden kann. Am Wiener Zentrum laufen Studien, in denen man dem NODAT-typischen Blutzuckerverlauf durch eine maßgeschneiderte Insulingabe mit programmierten Insulinpumpen und einer kontinuierlichen Messung mit integrierten Blutzuckermessgeräten gerecht zu werden versucht, um einen noch besseren und sicheren Glukosemetabolismus nach Transplantation zu ermöglichen. Gleichzeitig bietet die Nierentransplantation en passant die Möglichkeit, den Einsatz eines Semi-Closed-Loop-Systems zu testen.
In der jüngsten Zeit wurde aufgrund der Besorgnis erregenden Daten, die das unabhängige kardiovaskuläre Risiko des NODAT unterstreichen, wieder vermehrt Augenmerk auf neue und innovative Strategien zur Prophylaxe dieser Erkrankung gelegt. Dies bedeutet, dass weitere intensive Untersuchungen nötig sind, um die Pathophysiologie des NODAT zu begreifen (Insulinsekretionsstörung versus Insulinresistenz), die Diagnostik zu standardisieren (Stellenwert des HbA1c – Wann spricht man von Diabetes?) und neue Antidiabetika prospektiv zu untersuchen. Die kürzlich auf Initiative des Wiener Zentrums etablierte EU-NODAT Working Group wird in den kommenden Jahren alle Anstrengungen unternehmen, um diese Aufgaben zu lösen, was letztlich in einer weiteren Verbesserung der Ergebnisse der Nierentransplantation münden soll.