Insomnien aus neurologischer Sicht

Die Häufigkeit von Schlafstörungen – Insomnien/Hyposomnien – wird bei den einzelnen neurologischen Erkrankungen sehr unterschiedlich angegeben1–4. Diese Schlafstörungen sind nach ICSD-Klassifikation zu den Schlafstörungen bei körperlichen/psychiatrischen Erkrankungen zu rechnen. Unter Hyposomnie versteht man einen Mangel an Schlafqualität oder Schlafquantität, der Begriff Insomnie unterstellt eine komplette Schlaflosigkeit, die jedoch nur sehr selten vorkommt (fatale familiäre Insomnie). Insomnie und Hyposomnie haben primär Symptomcharakter, es werden Einschlafstörungen, Durchschlafstörungen, verkürzter Schlaf sowie der Eindruck des Zu-wenig-Schlafens subsumiert.
Schlafstörungen nehmen generell mit dem Lebensalter1, 2, 4, 5 zu; sie sind mit zerebrovaskulären Erkrankungen assoziiert6 und beeinträchtigen die Lebensqualität7–10.
Die Veränderungen einzelner Schlafparameter bei den verschiedenen neurologischen Erkrankungen sind durchwegs gleichartig, das Ausmaß kann jedoch unterschiedlich sein; die Spezifika bei Kopfschmerzen, Anfallserkrankungen sowie bei Schlafapnoe und zerebrovaskulären Erkrankungen werden in eigenen Artikeln behandelt.

Schmerzbedingte Schlafstörungen

Schmerzbedingte Schlafstörungen können bei verschiedenen Erkrankungen auftreten und die Lebensqualität erheblich beeinträchtigen; häufig sind Schmerzen bei degenerativen Erkrankungen des Stützapparates (Wirbelsäulen- und Bandscheibenprobleme, Gelenksabnützungen) und bei Wurzelirritationen und Kompressionssyndromen sowie Neuropathien bei verschiedenen malignen Erkrankungen11.
RheumapatientInnen nennen Schmerzen als häufigste Ursache für gestörten Schlaf – der gestörte Schlaf kann auch zur Entwicklung von Depressionen beitragen. Ein eigenes – unklar definiertes – Krankheitsbild, die sogenannte Fibromyalgie, ist ein multifaktorielles Syndrom, das ebenfalls durch chronische, ausgedehnte muskuloskelettale Verspannungen und Schmerzen mit lokalisierten Triggerpunkten charakterisiert ist.
Im Rahmen von Wurzelirritationen oder Wurzelkompressionssyndromen treten die Schmerzen oft in der Nacht auf. Die Wurzelirritationen im Bereich der Halswirbelsäule stehen im Vordergrund, durch das längere Verharren in einer bestimmten Position während des Schlafes kommt es zu einer Verspannung und Wurzelreizung, die zum Aufwachen mit schmerzhaften Missempfindungen sowie auch Allodynie (Empfinden von Schmerz bei nicht schmerzhaften Stimuli wie Berührung durch die Bettdecke) führen kann. Durch Bewegungen bzw. Lagewechsel bessert sich die radikuläre Symptomatik meist. Beim Karpaltunnelsyndrom – dem wichtigsten Kompressionssyndrom – sind nächtliche Schmerzen und Parästhesien wichtige diagnostische Kriterien.
Nächtliche Schmerzen stellen auch bei Neuropathien ein häufiges Symptom dar, wobei hier – aufgrund ihrer Häufigkeit – der diabetischen Neuropathie die größte Bedeutung zukommt. Schmerzen begleiten schließlich viele maligne Erkrankungen und treten zumindest vorübergehend auch postoperativ auf.
Bei allen diesen schmerzbedingten Schlafstörungen ist neben der kausalen Therapie auch die psychische Komponente bedeutsam: gewisse Persönlichkeitsmerkmale sowie Neigung zu depressiver Verstimmung spielen eine Rolle. Therapeutisch ist neben der direkten Schmerztherapie (Vermeiden einer Chronifizierung) auch eine unterstützende antidepressive Therapie zur Verbesserung der Schlafqualität und damit auch der Lebensqualität wichtig.

Schlafstörungen bei Muskelkrankheiten

Neuromuskuläre Erkrankungen11 wirken sich auf den Schlaf einerseits durch eine verschlechterte Atemsituation im Liegen, andererseits über die verminderte Bewegung (muskuläre Verspannungen und Krämpfe) aus.
Die verschlechterte Atmung führt vor allem in der Nacht zu einem chronisch respiratorischen Versagen, zu einem pCO2-Anstieg, zu morgendlichen Kopfschmerzen und zu nächtlicher Hypoxämie. Schon beim Gesunden ist die Vitalkapazität im Liegen (um ca. 10 % reduziert) und Stehen unterschiedlich. Bei einer Zwerchfellschwäche ist die Vitalkapazität im Liegen um 50 % oder mehr gegenüber aufrechter Position herabgesetzt.
Neben der gestörten Atemfunktion, bedingt durch Schwäche der Atemhilfsmuskulatur, des Zwerchfells und die liegende Position können die Symptome einer vorbestehenden obstruktiven Schlafapnoe verstärkt werden. Die Schwere der schlafbezogenen Atemstörung korreliert nicht immer mit den Tagessymptomen.
Bei progressiven Muskeldystrophien werden Insomnien mit Albträumen und Todesangst berichtet.
Bei der Myasthenie (Myasthenia gravis pseudoparalytica), einer erworbenen immunologischen Erkrankung, leiden ca. 60 % der Patienten unter Schlafstörungen mit nächtlichem Erwachen, Luftnot, morgendlichen Kopfschmerzen und gelegentlich Tagesmüdigkeit.
Die amyotrophe Lateralsklerose (ALS) ist eine rasch progrediente Erkrankung, wobei das 1. und auch das 2. Motoneuron betroffen sind und die gestörte Atemfunktion sowohl tagsüber als auch im Schlaf ein Hauptproblem darstellt; Schlafstörungen treten im Frühstadium bei ca. 25 %, im späteren Verlauf bei bis zu 90 % auf; verminderte Mobilität, vermehrter Speichelfluss und Schluckprobleme stören ebenfalls den Schlaf. Therapeutisch ist die Verbesserung der Atemsituation in der Nacht (z. B. durch CPAP-Behandlung) sehr hilfreich.

 

 

Schlaf-Wach-Störungen beim Parkinson-Syndrom

Beim Morbus Parkinson treten bei nahezu zwei Drittel der PatientInnen Störungen des Nachtschlafes auf, gefolgt von einer Abnahme der Wachheit am Tage. Motorische Störungen können auch PLM, nächtliche Myoklonien sowie Tremor und Blinzeln beim Schlafbeginn und respiratorische Störungen umfassen11. Darüber hinaus finden sich autonome Störungen wie solche der Herzfrequenzvariabilität12 oder gestörte Nykturie (Inversion der Tag-Nacht-Verwertung des Urinvolumens bei Parkinson-PatientInnen).
Die nächtliche Akinese, die eine optimale Schlafposition reduziert, sowie Auswirkungen der dopaminergen Therapie tragen ebenfalls zur Schlaffragmentierung bei.
Therapeutisch ist eine kausale Therapie (Optimierung der dopaminergen Therapie) anzustreben, gegebenenfalls eine schlafbezogene Atmungsstörung mit CPAP-Therapie zu behandeln und schließlich auf REM-Schlaf-Verhaltensstörungen zu achten.

Schlafstörungen bei demenziellen Krankheitsbildern

Demenzerkrankte, vor allem Alzheimer-Demenz-PatientInnen, zeigen Abweichungen in der Schlafstruktur, die mit dem Krankheitsverlauf zunehmen.
In den westlichen Industriestaaten leiden etwa 10 % der über 65-Jährigen an einer demenziellen Erkrankung, die zu einem gestörten Schlaf-Wach-Rhythmus, zu häufigem Erwachen mit fragmentiertem Schlaf, verlängertem Einschlafstadium (Stadium 1) sowie Abnahme des Tiefschlafes führt13.
Das Management demenzbedingter Schlafstörungen ist für die familiäre Stabilisierung wichtig, wobei vor allem die Regeln der Schlafhygiene eingehalten werden sollten. In der Nacht wäre ein raumschwaches Nachtlicht günstig, das nächtliche Verwirrung und Desorientierung verhindern hilft.

 

1 Schulz H, Geisler P, Rodenbeck A (Hg.), Kompendium Schlafmedizin – für Ausbildung, Klinik und Praxis. Ecomed Loseblattausgabe. 19. Auflage, 2011.
2 Hohagen F, Rink K, Kappler C et al., Prevalence and treatment of insomnia in general practice. A longitudinal study. Eur Arch Psychiatry Clin Neurosci 1993; 242:329–336.
3 Ohayon MM. Epidemiology of insomnia: what we know and what we still need to learn. Sleep Med Rev 2002; 6:97–111.
4 Soldatos CR, Allaert FA, Ohta T, Dikeos DG, How do individuals sleep around the world? Results from a single-day survey in ten countries. Sleep Med 2005; 6:5–13.
5 Hajak G, Epidemiology of severe insomnia and its consequences in Germany. (17) Eur Arch Psychiatry Clin Neurosci 2001; 251:49–56.
6 Elwood P, Hack M, Pickering J, Hughes J, Gallacher J, Sleep disturbance,stroke, and heart disease events: evidence from the Caerphilly cohort. J Epidemiol Community Health 2006; 60:69–73.
7 Zeitlhofer J, Schmeisser-Rieder A, Tribl G et al., Sleep and quality of life in the Austrian population. Acta Neurol Scand 2000; 102:249–257.
8 Zeitlhofer J, Seidel S, Klösch G, Moser D, Anderer P, Saletu B, Bolitschek J, Popovic R, Lehofer M, Mallin W, Fugger B, Holzinger B, Kerbl R, Saletu A, Machatschke IH, Pavelka R, Högl B, Sleep habits and sleep complaints in Austria: current self-reported data on sleep behaviour, sleep disturbances and their treatment. Acta Neurol Scand 2010; 122:418–424.
9 Ohayon MM, Prevalence and correlates of nonrestorative sleep complaints. Arch Intern Med 2005; 165:35–41.
10 Schwarz S, Fröhlich L, Deuschle M, Schlafstörungen bei älteren Menschen. Ein unterdiagnostiziertes und überbehandeltes Syndrom. Internist 2010; 51: 914–922.
11 Zeitlhofer J, in Kompendium Schlafmedizin (Hg. Schulz H. Geisler P, Rodenbeck A.) für Ausbildung, Klinik und Praxis. Ecomed Loseblattausgabe. 19. Auflage, 2011.
12 Schaller S, Anderer P, Dorffner G, Klösch G, Machatschke IH, Schlögl A, Zeitlhofer J, Autonomic dysfunction in PD during sleep. Movement Disorders, 2012 (Article first published online: 27 Jan 2012)
13 Dal Bianco P, in Kompendium Schlafmedizin (Hg. Schulz H. Geisler P, Rodenbeck A.) für Ausbildung, Klinik und Praxis. Ecomed Loseblattausgabe. 19. Auflage, 2011.