Kassenreform sorgt für Diskussionen

Die österreichische Bundesregierung aus ÖVP und FPÖ will die Sozialversicherungen fusionieren und damit das System nicht nur schlanker und effizienter machen, sondern nach eigenen Angaben auch bis zu einer Milliarde Euro einsparen, die den Patienten in Form von mehr Leistungen zugutekommen soll. Rechnungshof, Opposition und die eigene Ministerin kritisieren die Einsparungsziele als ambitioniert und im Detail nicht nachvollziehbar. Sozial- und Gesundheitsministerin Mag. Beate Hartinger-Klein (FPÖ) erwartet sich wiederum gleiche Beiträge für gleiche Leistungen. Sie sei froh darüber, dass es in Hinkunft zu keiner unterschiedlichen Behandlung der Patienten in den einzelnen Bundesländern mehr kommen werde, was etwa die chefärztlichen Genehmigungen oder die medizinischen Leistungen betrifft.

Komplizierung des Systems?

Beim 8. Netz-Talk im traditionsreichen Presseclub Concordia in Wien analysierten Univ.-Prof. Dr. Thomas Szekeres, Präsident der Österreichischen Ärztekammer, und Mag. Jan Pazourek, Generaldirektor der NÖ Gebietskrankenkasse, die Reform, die unter anderem eine Reduktion der Sozialversicherungsträger von 21 auf 5 sowie die Einrichtung einer Österreichischen Gesundheitskasse (ÖGK) bringt. Pazourek schilderte dabei auch die Stimmungslage innerhalb der Krankenkassen, deren Beschäftigte in der aktuellen Debatte oft zu hören bekommen, dass sie ineffizient arbeiten sowie hohe Kosten verursachen würden und Funktionäre zu viele Privilegien hätten. Das wirke sich negativ auf den Prozess der Zusammenführung aus, zeigte er sich überzeugt und erwartet nicht nur hohe Fusionskosten, sondern auch eine längere Zeit der Unsicherheit – auch was die Aufnahme neuer Medikamente in die Erstattung der Kassen betrifft.
Der NÖGKK-Generaldirektor erwartet sich auch keine Vereinfachung, sondern vielmehr eine Komplizierung des Systems: „Es bringt innerhalb der Krankenversicherung keine Vereinheitlichung, sondern drei verschiedene Systeme mit jenem für die ASVG-Versicherten, jenem für die Beamten und jenem für die Selbstständigen. Weil gleichzeitig der Hauptverband reduziert wird, werden sich diese Systeme künftig weiter auseinanderentwickeln.“

Zehn statt neun Kassen?

Auch Szekeres sieht keine Einsparungen und sprach sogar davon, dass es künftig statt neun Gebietskrankenkassen zehn geben werde – in Form der neun Länderbüros und des bundesweiten Daches. Diese Struktur könnte auch dazu führen, dass Anfragen und Anträge im Kreis geschickt werden, meint Pazourek. Etwa wenn die Länderbüros dann „eine Umleitungstafel nach Wien aufstellen“.
Szekeres forderte erneut, dass die versprochenen Mittel in jedem Fall den Patienten zur Verfügung gestellt werden müssten. Eine Kassenreform dürfe nicht nur an den Änderungen der Struktur der einzelnen Krankenkassen oder deren Funktionären gemessen werden – das Ziel müsse vielmehr sein, dass die Finanzmittel für die Patientenversorgung nicht weniger werden dürfen, sondern gemäß dem medizinischen Bedarf auch wachsen müssen.

 

Martin Rümmele, Univ.-Prof. Dr. Thomas Szekeres, Mag. Jan Pazourek, Dr. Maria-Luise Plank,

Dr. Thorsten Peske, Eva Pernek (v.l.)

 

Eva Pernek
„Kurt Lewin, einer der Pioniere der Psychologie, spricht in seinem ,Model of Change‘ von drei Phasen in einem Veränderungsprozess: dem Auflockern alter Strukturen, der Vorwärts­bewegung in Richtung einer neuen Struktur und der Verfestigung derselben. Sind wir schon in der Phase der Verfestigung, was die ­Kassenreform betrifft, oder stehen wir noch vor vielen weiteren Veränderungen?”
Dr. Thorsten Peske
„Was bedeutet das konkret für den Market Access der Pharmaunternehmen und ­welche Maßnahmen muss ich jetzt ­konkret vorbereiten?”
Dr. Maria-Luise Plank
„Gleiche Leistung für gleiches Geld und damit gleiche Standards für ganz Österreich – oder kommt mit diesem Konzept die Unterschiedlichkeit der Regionen zu kurz? Derzeit lässt das Gesetz Raum für Interpretationen. Man darf gespannt sein, was die Umsetzung in der Praxis bringt.”