„Werde Aufgaben bis Ende des Jahres ordentlich erledigen“

PHARMAustria: Nicht mehr lange, dann übernehmen andere das Sagen im Hauptverband, und in weniger als einem Jahr wird der Hauptverband überhaupt geschrumpft sein. Betrübt Sie das?

Alexander Biach: Wir haben sicherlich eine stürmische Phase hinter uns, in der die politische Diskussion mitunter sehr emotional geführt wurde. Ich stand und stehe weiterhin voll und ganz zu einer Reform der Sozialversicherung, die das System schlanker, leistungsfähiger und vor allem kundenorientierter macht. Nach über einem Jahr an Gesprächen im Vorfeld des Gesetzesbeschlusses können wir sagen: Die Sozialversicherung bleibt selbstverwaltet, hat Beitragshoheit, bietet eine allgemeine Unfallversicherungsanstalt und hat einen starken Dachverband mit einer fixen Führungsstruktur. Ich bin froh, dass unser Verbesserungsvorschlag aufgegriffen wurde. Die Streichung des ursprünglich angedachten Rotationsprinzips im Dachverband war eine kluge und erfolgsentscheidende Verbesserung. Schon im Begutachtungsverfahren sind wichtige Klarstellungen und Erweiterungen zum Kompetenzbereich des Dachverbandes erfolgt – etwa im Bereich des zentralen Medikamenteneinkaufs. Künftig wird eine Doppelspitze – gewählt aus der Mitte der Träger-Obleute – die Verantwortung tragen und dafür sorgen, dass Kontinuität und professionelles Management die Sozialversicherung auf Reformkurs halten.

Wollen Sie selbst dieser neuen Spitze angehören? Oder anders formuliert: Rechnen Sie sich Chancen aus? Mit dem regierungskritischen Kurs haben Sie sich nicht unbedingt Freunde gemacht, hört man …

Es ist meine Aufgabe, mich für den Erhalt der Selbstverwaltung einzusetzen. Das Erfolgsmodell der sozialen Sicherheit in Österreich ist weltweit beispielslos. Unser Ziel als Selbstverwaltung im Hauptverband der österreichischen Sozialversicherungsträger ist es, für die in Österreich lebenden Menschen ein leistungsfähiges, finanzierbares und solidarisches Sozialversicherungssystem zu erhalten und auszubauen, damit exzellente Versorgung nachhaltig sichergestellt wird. Dazu muss sich das System weiterentwickeln, aber dafür braucht es auch in Zukunft ein starkes Dach wie den Hauptverband.

Mit Ihnen an der Spitze?

Nein. Ich bleibe bis 31.12. in meiner Funktion und sperre den alten Hauptverband dann zu. Ich werde darauf achten, dass das Tagesgeschäft läuft und die Funktionsperiode ordentlich zu Ende geführt wird. Der Obmann bzw. Stellvertreter eines der fünf verbleibenden Träger wird dann Verbandsvorsitzender. Würde ich der neuen Spitze angehören wollen, müsste ich – so das Gesetz – jetzt in der alten Funktion zurücktreten. Ich plane aber, meine Aufgaben bis Ende des Jahres ordentlich zu erledigen.

Wie soll das genau funktionieren?

Ab April gibt es eine Überleitungsphase. Da kommen die neuen Selbstverwaltungsgremien und kommissarischen Leiter, die die Vorbereitungsarbeit machen müssen, damit dann mit 1. Jänner 2020 die Kassen in der neuen Form funktionieren. Konkret geht es dabei vor allem um die aus den Gebietskrankenkassen zusammengelegte Österreichische Gesundheitskasse. Die Fusionen der Selbstständigenkasse und der anderen Versicherungsträger laufen schon, da koordinieren wir über ein Schnittstellenmanagement. Wesentlich ist aber die ÖGK, damit am 1.1. die Versicherten wie gewohnt ihre Bescheide erhalten, die gesamte IT funktioniert, die Vertragspartner wie gewohnt ihr Geld bekommen und der Laden läuft. Wichtig wird dabei sein, Prioritäten zu setzen und jetzt zu entscheiden, was es am 1. Jänner braucht. Dazu wollen wir ein Reformprogramm aufsetzen, das in mehreren Teilbereichen wesentliche Fragen klärt. Das betrifft etwa Recht, Personal, Vertragspartnerrecht, Finanzen, das Beitragswesen und die Beitragsprüfung, die IT, die Öffentlichkeitsarbeit und den Außenauftritt. Dazu möchten wir in den nächsten Wochen entsprechende Beschlüsse der Gremien einholen. Insgesamt wollen wir darauf achten, dass das alles mit den eigenen Leuten gemacht wird und nicht mit externen Beratern. Das Ziel ist, bis Mai zu erheben, welche Themen vorliegen und wie sie aufgearbeitet werden. Die neue Selbstverhaltung soll dann die Umsetzung beauftragen. Parallel dazu wird auch der Brexit eine He­rausforderung darstellen durch die Überführung der Versicherten – das ist aber Tagesgeschäft. Umgekehrt gibt es auch Bereiche, die nicht so wichtig sind für das Funktionieren der Sozialversicherung, und hier wird die Vereinheitlichung sicher noch länger – bis zu fünf Jahre – dauern. Aber die wesentlichen Funktionen sollten bis Jahresende aufgesetzt sein.

Welche Auswirkungen wird das auf die Vertragspartner wie die Pharmabranche, die Ärzte oder Apotheker haben?

Wir versuchen bereits jetzt, alle Vertragswerke mit den Vertragspartnern zu sichten und zusammenzutragen. Diese werden auch weiterhin Gültigkeit haben. Mit der Pharmaindustrie haben wir vereinbart, dass eine neue Form der Vertragsbeziehungen gefunden wird. Es ist ja kein Geheimnis, dass die Industrie nicht mit allem glücklich ist. Das betrifft weniger den alten Rahmenvertrag, der nun ausgelaufen ist, als vielmehr die Tatsache, dass in der Vergangenheit noch Gesetze gekommen sind, die Druck auf die Preise erzeugt haben. Das hat zu Verunsicherungen geführt. Unser gemeinsames Ziel ist es, Planbarkeit zu schaffen, damit die Unternehmen sehen können, mit welchen Kosten sie zu rechnen haben. Umgekehrt müssen wir als Sozialversicherung einen Mechanismus haben, damit für uns die Medikamentenkosten stabilisiert werden können..

Wie soll das konkret aussehen?

Derzeit entfällt ein Drittel der Ausgaben auf 0,56% der Medikamente. Der Grund dafür ist, dass gerade die hochpreisigen Produkte gestiegen sind. Hierfür brauchen wir Stabilisierungsmechanismen. Die Industrie ist da sehr skeptisch. Es gibt aber gegenseitiges Verständnis für die schwierige Situation. Unser Wunsch ist, dass wir eine Verbandslösung finden und keine Einzellösungen. Das wäre für beide Seiten nicht zielführend. Für die Abrechnung zum vergangenen Jahr und die Bemessung der Rabatte haben wir schon eine Lösung gefunden. Dazu war es nötig, Übereinstimmung beim Zahlenwerk zu erreichen – das ist gelungen.

Wie kann man sich das vorstellen?

Der Rahmenpharmavertrag ist, wie gesagt, 2018 ausgelaufen. Die darin fixierten Rabattzahlungen, die wir für 2018 bekommen, werden 2019 festgestellt. Allerdings gab es über die Preise und Ausgabensteigerungen Definitionsprobleme zwischen der Industrie und uns. Die Idee war, im jeweiligen Folgejahr zu schauen, wie hoch die Umsatzsteigerung im Vorjahr war. Auf dieser Basis wurde dann der Rabatt berechnet. Nun haben wir dafür ein gutes Zahlenwerk gefunden. Jetzt gilt es, für 2019 und die Folgejahre einen neuen Vertrag aufzusetzen. Da würde dann 2020 abgerechnet und rückverrechnet. In jedem Fall wollen wir eine partnerschaftliche und keine gesetzliche Lösung. Dazu versuchen wir derzeit gemeinsam Projekte zu definieren, die von gemeinsamen Nutzen sind.

Das Thema der innovativen, aber hochpreisigen Medikamente sorgt auch international für Diskussionen. Zuletzt hat Novartis-CEO Vasant Narasimhan neue Vergütungsmodelle vorgeschlagen und dabei nicht nur Pay-for-Performance-Modelle angeführt, sondern bei innovativen, einmal zu verabreichenden Therapien auch eine Kostenerstattung über einen längeren Zeitraum statt einer einmaligen Zahlung genannt. Was halten Sie davon?

Generell bin ich recht offen für neue Modelle. Sie müssen aber planbar sein – für beide Seiten. Es muss einfach allen klar sein, dass wir als Finanziers Schwierigkeiten bekommen, wenn die Kosten höher sind als das Beitragswachstum. Im Detail kann ich zu diesem Vorschlag nichts sagen, weil ich ihn nicht genau kenne.

Die Apotheken wünschen sich auch neue Vergütungsmodelle – weg von Spannen und hin zu pauschaleren Lösungen …

Es gibt hierzu Gespräche mit den Apotheken, sie sind aber noch nicht mit konkreten Vorschlägen zu uns gekommen. Damit wir über die Wünsche reden können, brauchen beide Seiten für eine seriöse Kalkulation einmal Umsatzzahlen von Medikamenten, die unter der Rezeptgebühr liegen. Da wissen wir gar nicht, wie viele das sind und wie hier die Umsätze aussehen. Wenn diese Zahlenwerke da sind, werden wir gerne in Gespräche eintreten.

Was die Apotheken derzeit noch beschäftigt, ist das Thema Fremd- und Mehrfachbesitz. Verbandspräsident Jürgen Rehak kritisiert, dass bereits 200 Apotheken dem Großhandel gehören und dessen Einflussbereich zunimmt. Wie beurteilen Sie das?

Wir sehen das ebenfalls kritisch. Wir hätten auch lieber, dass der Einzelbesitz im Vordergrund steht. Je mehr Macht konzentriert ist, umso kritischer sehen wir das. Das sind aber Verhandlungen, die die Apotheken mit dem Großhandel führen müssen. Wir haben einen Abgabepreis, den wir zahlen. Großhandel und Apotheken müssen sich ausmachen, was wo hängen bleibt.

Kommen wir zu den Ärzten – da wird die Debatte über den Ärztemangel immer intensiver …

Das ist eine unendliche Geschichte. Mir gefällt vor allem die Art und Weise, wie das Thema immer wieder hochgespielt wird, nicht. Es ist prinzipiell ein wichtiges Thema, wird aber sehr schnell auf eine Honorar- und Gehaltsdebatte reduziert. Die Krankenkassen haben allein 2018 ein höheres Honorarvolumen von 100 Millionen Euro pro Jahr beschlossen. Bisher wurden rund 900 Millionen Euro für die allgemeinmedizinische Versorgung ausgegeben. Es ist also nicht so, dass nichts passieren würde. Ich bekenne mich dazu, dass wir etwas tun. Es kann aber nicht allein an den Honoraren liegen – Geld allein löst nicht alle Probleme.

Woran liegen die Probleme Ihrer Ansicht nach?

Es geht auch um Verwaltungs- und Zusammenarbeitsprobleme. Wir haben in vielen Erhebungen festgestellt, dass oft nicht das Honorar entscheidend ist, sondern die geänderten Lebensumstände wesentlich sind. Viele junge Ärzte wollen nicht komplett allein in der Praxis stehen, sondern mit anderen zusammenarbeiten. Ich verstehe natürlich die Honorardiskussion aus der Sicht derer, die sie führen, aber wir müssen das Problem ernst nehmen. Dazu gehört, dass man bei der Ausbildung ansetzen muss, um etwa einen leichteren Zugang zur Allgemeinmedizin zu schaffen. Mit der Lehrpraxis wurden hier wichtige Schritte gesetzt. Es gibt auch gute Modelle in Niederösterreich, im Burgenland oder in der Steiermark mit Landarzt-Stipendien und auch die neuen Primärversorgungseinheiten werden neue Möglichkeiten bringen. Da verhandeln wir derzeit noch den Gesamtvertrag mit der Ärztekammer, sind aber schon sehr weit. Es hängt noch an Kleinigkeiten, soll aber noch im April fixiert werden.

Apropos laufende Aktivitäten: Ihre Amtszeit wird Ende des Jahres enden – welche Vorhaben möchten Sie bis dahin noch umsetzen oder zumindest auf den Weg bringen?

Wir haben noch ein paar Dinge im Bereich e-Health am Laufen: den elektronischen Impfpass und die Ausrollung der fünften Generation der e-card – erstmals mit Foto. Das elektronische Rezept soll ebenfalls vorbereitet werden. Es wird das Leben von Patienten, Ärzten, Apothekern und der Sozialversicherung enorm erleichtern. Jährlich werden ja 60 Millionen Rezepte in Österreich ausgestellt, das ist ein Berg so hoch wie der Kilimandscharo. Darüber hinaus wollen wir noch einige Themen in der Bundeszielsteuerungskommission auf den Weg bekommen, wie Vorsorgeaktionen etwa bei Darmkrebs oder auch Finanzierungsformen für Landarztpraxen-Modelle, wo wir Anschübe ermöglichen möchten. Wichtig ist auch die Verbesserung der Diabetesversorgung. All das wollen wir mit den Ländern gemeinsam angehen. Und dann wünsche ich mir noch, nach den Primärversorgungseinheiten die Mehrversorgungseinheiten – also den fachärztlichen Bereich – auf Schiene zu bringen. Auf der Liste steht zudem noch der Start der Telerehabilitation.

Abschließend: Welche Bilanz ziehen Sie über Ihre bisherige Arbeit?

Hier ist auf jeden Fall die Leistungsharmonisierung zu nennen, die wir jetzt eigentlich überall durchsetzen konnten. Da gab es 23 Angleichungen über alle Gebietskrankenkassen. Etwas Luft gibt es noch bei der Harmonisierung mit den Sonderversicherungsträgern, aber im Grunde ist das abgearbeitet. Weiters ist sicherlich eine ganze Palette an e-Health-Anwendungen zu nennen: die e-Medikation, die Plattform meineSV, wo wir schon über eine Million an Freischaltungen haben, das Bewilligungssystem EKOS und das Gesundheitstelefon 1450. Wichtig für die Wirtschaft war auch die Schaffung der neuen Lohnverrechnung in Form der neuen monatlichen Beitragsgrundlagenmeldung. Dadurch wird das Meldewesen in der Sozialversicherung für 360.000 Dienstgeber und 3,8 Millionen Dienstnehmer effizienter und bringt mehr Qualität. Bisher mussten große Datenmengen immer wieder in die Systeme eingegeben werden und zusätzlich entstand immer wieder erheblicher Korrekturbedarf mit monatelangen Clearing-Verfahren. Jetzt hat sich der Aufwand sowohl beim Dienstgeber als auch bei den Sozialversicherungsträgern deutlich reduziert. Das neue Lohnverrechnungssystem erspart der Wirtschaft Millionen an Bürokratieaufwand und der Sozialversicherung 7,6 Millionen. Ein weiterer Erfolg war die Ausschreibung zur stationären Kinderreha. Für die Sozialversicherung ist die Schaffung des neuen Versorgungsangebots im Bereich Kinderreha ein wichtiger Meilenstein. Bisher mussten Angebote im benachbarten Ausland oder inadäquate Versorgungsangebote für Erwachsene in Anspruch genommen werden. Außerdem sind wir auch mit ­Vertragspartnern wie den Apothekern und Ärzten in vielen Bereichen weitergekommen, etwa durch die Finanzierung der Lehrpraxis oder den Start der Primärversorgungsein­heiten.

Vielen Dank für das Gespräch!

 

Dr. Alexander Biach
Wir haben noch ein paar Dinge im ­Bereich e-Health am Laufen: den elektronischen Impfpass sowie die Ausrollung der fünften ­Generation der e-card. Und das elektronische Rezept soll ebenfalls vorbereitet werden.