Österreich: Innovationskultur schaffen!

PHARMAustria: Welche Rolle spielt klinische Forschung für AstraZeneca?

Dr. Botond Ponner: Für AstraZeneca ist klinische Forschung essenziell und die Basis für zukünftige Therapieerfolge. Wir sind eines der wenigen Unternehmen mit einem lokalen Forschungsteam in Österreich. Aktuell werden von diesem 17 klinische Prüfungen betreut. Bei weiteren zehn Studien befinden wir uns in der Vorbeurteilungsphase. Hier bemühen wir uns intensiv, diese Studien nach Österreich zu holen, stehen dabei aber in Konkurrenz mit anderen Ländern.

Warum ist es für Österreich wichtig, dass hier im Land klinische Studien durchgeführt werden?

Klinische Forschung ist in Österreich ein entscheidender Standortfaktor weit über unsere Branche hinaus: Die klinische Entwicklung von Innovationen bringt oftmals für Patienten einen früheren Zugang zu neuen Therapien. Sie stärkt den Wirtschaftsstandort Österreich, sichert Arbeitsplätze und bringt letztendlich auch unmittelbar Einsparungen für das Gesundheitssystem.

Ist es schwieriger geworden, klinische Studien nach Österreich zu holen?

In den letzten Jahren waren die Anzahl der klinischen Studien und auch die Patientenzahlen bei diesen Studien in Österreich insgesamt rückläufig.

Welche Veränderungen sind aus Ihrer Sicht notwendig, um die Rahmenbedingungen für Arzneimittelforschung in Österreich zu verbessern?

Es bedarf einer engen Zusammenarbeit aller Stakeholder im Gesundheitssystem, um die Rahmenbedingungen zu verbessern, damit wir im globalen Kontext erfolgreich sein können. Dafür braucht es zuallererst den politischen Willen, etwas zu verändern. Mein Wunsch wäre – durchaus auch mit der Bitte an die neue Regierung –, in die Infrastruktur und die Rahmenbedingungen für klinische Studien früher Phasen und für Grundlagenforschung zu investieren. Nur so wird Österreich den Anschluss an die Weltspitze schaffen und vom Follower wieder zu einem Leader in der Medizin werden. Notwendig dafür wäre eine substanzielle Stärkung der Forschungslandschaft in Österreich, zu der auch die Schaffung einer „Innovationskultur“ gehört. Nur wenn auf gesellschaftspolitischer Ebene Wissenschaft einen hohen Stellenwert hat, kann auch konkrete Forschung in wissenschaftlichen Einrichtungen nachhaltige Früchte tragen.

Wie würde sich die Anzahl der klinischen Studien in Österreich entwickeln, wenn keine Veränderungen durchgeführt werden?

Sie würde auf jeden Fall stagnieren und langfristig vermutlich sogar rückläufig sein.

Ist es in den letzten Jahren schwieriger geworden, in Österreich Innovationen auf den Markt zu bringen?

Ja. In den letzten Jahren ist es zu einer zunehmenden Herausforderung geworden, neue, hochinnovative Therapien erfolgreich durch den Erstattungsprozess zu bringen und für Patienten verfügbar zu machen.

Was gilt es in Österreich zu tun, um die Verfügbarkeit von Innovationen auch in Zukunft sicherzustellen?

Die zunehmende Komplexität der Therapieoptionen, aber auch die dynamische Entwicklung aktueller evidenzbasierter Therapierichtlinien erfordert eine ganzheitliche patientenzentrierte Herangehensweise und einen transparenten Bewertungsprozess zur Beurteilung des Patientennutzens. Die aktuellen Prozesse sind letztlich nur durch Budgets jeweils einer Seite des Gesundheitssystems getrieben und berücksichtigen nicht alle Aspekte. Bereits bestehende Dialoge aller Stakeholder und Partner einschließlich der pharmazeutischen Unternehmen sind auszuweiten, um adäquate Bewertungskriterien und ganzheitliche Betrachtungsweisen in transparenten Prozessen zu etablieren.

Welche Rolle spielen Präzisions- und personalisierte Medizin bei AstraZeneca?

Wir haben eine starke und ausgewogene Pipeline und arbeiten daran, transformative neue Medikamente für Krebs, Herzerkrankungen, Diabetes und Atemwegserkrankungen bereitzustellen.
Individuelle Eigenschaften führen dazu, dass Patienten unterschiedlich auf zielgerichtete Therapien ansprechen. AstraZenecas eigene „Precision Medicine Group“ macht sich dieses Wissen zunutze und entwickelt für Ärzte diagnostische Tests, sodass diese für alle Patienten die geeignete Therapie zur richtigen Zeit einsetzen können.
Bereits jetzt stellen wir Therapien mit hoher Präzision für Patienten mit herausfordernden Erkrankungen, wie z.B. Lungen-oder Ovarialkarzinom, zur Verfügung. Diesen Ansatz verfolgen wir zusätzlich zur Onkologie auch für Atemwegs- und kardiovaskuläre Erkrankungen. Unsere Genomics-Initiative hat das ambitionierte Ziel, bis zum Jahr 2026 zwei Millionen Genome zu analysieren. Weitere Technologien einschließlich Big-Data-Analysen eröffnen uns neue Möglichkeiten, sodass mehr Patienten in verschiedenen Therapiebereichen von einer noch gezielteren personalisierten Versorgung profitieren.

Was glauben Sie, welche Rolle personalisierte Medizin in 10 oder 20 Jahren spielen wird?

Speziell bei onkologischen, aber auch bei seltenen Erkrankungen wäre es auf Basis des heutigen Wissensstandes undenkbar, Betroffene mit dem Gießkannenprinzip zu behandeln. Die nächsten 10 bis 20 Jahre werden auch in anderen Therapiegebieten den bereits begonnenen Paradigmenwechsel fortsetzen. Dieser wird für die meisten Betroffenen sicherstellen, gezielte und damit effektivere sowie besser verträgliche Therapien erhalten zu können.

 

 

Die Digitalisierung verändert auch die medizinische Forschung. Wo führt der Weg Ihrer Meinung nach hin?

Wir nutzen digitale Technologien und Daten, um agiler, effizienter und innovativer zu werden. Das bedeutet, etablierte Praktiken sowie die Art und Weise, wie wir in jedem Teil unserer Organisation arbeiten, neu zu überdenken. Dies betrifft die bestmögliche Nutzung unserer Daten und die Zurverfügungstellung von digitaler Technologie für unsere Patienten. Bereits jetzt kommen klinische Studien nicht ohne digitale Lösungen z.B. für Patiententagebücher oder die Messung und Auswertung biometrischer Daten aus.
Tatsache ist auch, dass Algorithmen und künstliche Intelligenz ein enormes Potenzial für die medizinische Forschung und Entwicklung haben. Erkenntnisse, für die noch vor wenigen Jahren eine ganze Generation an Forschern beschäftigt war, gewinnen wir heute im Jahres- oder Monatsrhythmus. Das Tempo ist enorm. Dem tragen wir beispielsweise Rechnung mit unserer kürzlich abgeschlossenen Kooperation mit dem Health Hub Vienna – einer Plattform für offene Innovationen im Gesundheitswesen, die die Zusammenarbeit mit Start-ups fördert –, um so die Zukunft aktiv mitgestalten zu können. Mit solchen Kooperationen wollen wir als AstraZeneca für unsere Patienten ein Vorreiter sowohl in der medizinischen Forschung als auch in der Nutzung neuer digitaler Möglichkeiten sein.

Vielen Dank für das Gespräch!