„Per Hubschrauber zur Todesfeststellung ins Pflegeheim“

Helmut Trimmel(c) ÖGARI

Helmut Trimmel, Intensivmediziner und Leiter der Sektion Notfallmedizin der ÖGARI, fordert im RELATUS-Sommergespräch eine Umstellung in der niedergelassenen medizinischen Versorgung im Akutbereich.

Zuletzt häufen sich in einigen Bundesländern Meldungen über einen Mangel an Notärzt:innen. Was ist das los und wie kommt es dazu? Österreich ist grundsätzlich notfallmedizinisch hervorragend ausgestattet. Es gibt 160 bodengebunde Standorte und 25 Notarzthubschrauber, im Winter mit den Skistandorten sogar bis zu 39. Von einem Mangel zu reden ist also unkorrekt. Natürlich gibt es Probleme in der akutmedizinischen Versorgung in Österreich. Es werden aber hier Dinge vermischt. Nicht jeder „Notfall“ – besser Akutfall – braucht nämlich einen Notarzt oder eine Notärztin. Den Notärzt:innen werden derzeit Aufgaben zugemutet, für die sie nicht gedacht sind. Nämlich Lücken in der Akutversorgung zu schließen.

Wie ist das zu verstehen? Eine notärztliche Versorgung ist definitionsgemäß für schwer verletzte oder erkrankte Menschen vorgesehen. Die gerne auch als „vorgelagerte Schockräume“ oder „fahrende bzw. fliegende Intensivstationen“ bezeichneten Notarztmittel sollen nicht die hausärztliche Visite oder eine sanitätsdienstliche Versorgung beziehungsweise den Krankentransport ersetzen, sondern eben ausschließlich jenen Patient:innen vorbehalten sein, die dringend der ärztlichen Hilfe bedürfen.

Wo liegt dann das Problem? Das Problem der medizinischen Versorgung im Akutbereich etwa in Niederösterreich liegt vor allem in der mangelnden Verfügbarkeit (haus-)ärztlicher Visitentätigkeit. Hier stellt sich die Frage, wie viele niedergelassene Kolleg:innen heute noch bereit sind, in der Nacht oder am Wochenende auszurücken, wenn ein Patient oder eine Patientin Hilfe braucht. Auch macht es wenig Sinn, einen Notarzt mit dem NEF oder dem Hubschrauber zur Todesfeststellung in ein Pflegeheim zu schicken.

Das passiert in der Praxis? Ja, das kommt immer wieder vor. Ein Kernproblem der Notfallmedizin, das in ganz Österreich zu beobachten ist, liegt an der Tatsache einer überbordenden Anzahl an nicht indizierten Einsätzen. So gibt es Standorte, an denen in einem Drittel der Fälle der alarmierte Notarzt noch während der Anfahrt wieder storniert wird, und wo bei der Hälfte der verbleibenden Einsätze ebenfalls keine notärztliche Handlung erforderlich ist. Das frustriert engagierte Ärzt:innen, die gerne zu Notfällen ausrücken, aber nicht als „akademischer Krankentransport“ eingesetzt werden wollen. In Zeiten eines generellen Ärzt:innenmangels scheint es nicht opportun, für derartige Frustration zu sorgen: an Arbeitsplätzen für engagierte Kolleg:innen mangelt es nämlich nicht. Man darf die Notfallmedizin nicht mit Visitenmedizin des Hausarztes verwechseln. Das verunsichert die Bevölkerung und bringt die Politik in Zugzwang, führt aber zu keinem sinnvollen Ergebnis.

Wie kann man aber gegensteuern? Da braucht es eine ganze Reihe von Maßnahmen. Um einer Optimierung der Akutversorgung künftig besser zu begegnen, wird die Österreichische Gesellschaft für Anästhesiologie, Reanimation und Intensivmedizin als notärztliche Fachgesellschaft bei der kommenden Jahrestagung der ÖGARI in Bregenz im September 2022 ein Positionspapier präsentieren, das auch die Kriterien für einen Notarzteinsatz spezifiziert.

Können Sie ein paar Eckpunkte nennen? Wir brauchen eine Breite in der Versorgung, angefangen bei qualifizierten First-Respondern, die im Umkreis eines Notfalles via Pager als ehrenamtliche Helfer:innen verständigt werden können, über Pflege- oder Sanitätspersonal für verschiedene ambulante Versorgungsleistungen, besser qualifiziertes Sanitätspersonal im organisierten Rettungsdienst bis zur ärztliche Versorgung im niedergelassenen Bereich – etwa via Ärztenotdienst (dessen Name aber ein wenig irreführend ist) – und dann eben den Notarztdienst für akut-lebensbedrohliche Situationen. Heute ist meist der Notarzt im Krankenhaus stationiert und wird von einem Notarzteinsatzfahrzeug zum Notfall gebracht. Der Vorteil: in der einsatzfreien Zeit arbeiten die Notärzt:innen eben im Krankenhaus mit. Teilweise wurde das aber wieder umgestellt und die Notärzt:innen sitzen auf der Rettungsstelle. Dafür ist es schwerer Leute zu finden, zumal auch die Bezahlung schlecht ist. Die Bezahlung der Notärzt:innen mit 55 Euro pro Stunde entspricht weder deren Qualifikation noch ihrer Verantwortung.

Es gab auch Kritik an der komplizierten und langen Ausbildung von Notärzt:innen. Das stimmt so nicht. Seit der Ausbildungsreform 2018 können junge Kolleg:innen bereits 33 Monate nach ihrer Promotion zum Dr.med., also sogar vor Abschluss ihrer Ausbildung zum Allgemeinmediziner oder Facharzt, notärztlich tätig werden. Voraussetzung ist allerdings – und das ist neu -, dass sie die wesentlichen Kompetenzen der Notfallversorgung schwerstkranker oder -verletzter Patient:innen, wie etwa die Behandlung von lebensbedrohlichen Rhythmusstörungen, Narkoseeinleitung und Atemwegssicherung, Wiederbelebungsmaßnahmen etc. unter Anleitung von Fachärzt:innen nachweislich erlernt haben und zumindest zwanzig Notarzteinsätze unter Supervision durch einen erfahrenen Notarzt oder eine Notärztin absolviert haben müssen. (Das Interview führte Martin Rümmele)