Das medulläre Schilddrüsenkarzinom (MTC) macht 5–10 % der Schilddrüsenkarzinome aus. Die Tumore gehen von den C-Zellen aus, was auch die Calcitoninproduktion erklärt. Das Calcitonin ist ein hochspezifischer Tumormarker, der eine sehr sensitive und spezifische Früherkennung ermöglicht1. Es handelt sich um ein Peptidhormon aus 32 Aminosäuren. Die Früherkennung des MTC verbessert die Prognose dramatisch und in Kombination mit konsequenter Chirurgie können bis 78 % der Patienten geheilt werden. Es ist also indiziert, bei jeder Erstuntersuchung eines kalten Schilddrüsenknotens den Serumcalcitoninwert zu bestimmen. Bei Vorliegen eines Normalwertes ist ein MTC mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen. Sind die Werte stark erhöht, ist ein MTC gesichert, bei Werten im Graubereich (siehe unten) ist eine Calcitoninstimulation durchzuführen, denn hiermit kann man am ehesten zwischen einer C-Zell-Hyperplasie und einem MTC unterscheiden. Bei erhöhtem Calcitoninwert ist auf eine Feinnadelpunktion zu verzichten, da diese die intraoperative Bestimmung einer desmoplastischen Stromareaktion (siehe unten), die für die Festlegung der Operationsausdehnung wichtig ist, unmöglich macht. Die Sensitivität und Spezifität der Calcitoninbestimmung für das MTC ist höher als die der Feinnadelbiopsie. Da Pentagastrin seit einigen Jahren nicht mehr verfügbar ist, wird das Calcitonin nun nur noch mit Calcium stimuliert. Genaue Datenanalysen haben einen deutlichen Unterschied der Grenzwerte zwischen den Geschlechtern ergeben. So ist bei Männern erst ab einem basalen Calcitoninwert von 43 pg/ml ein MTC sicher anzunehmen, im Graubereich zwischen 8 und 43 pg/ml ist ein MTC nur bei etwa 40 % der Patienten zu erwarten. Bei Frauen liegt dieser Grenzwert mit 24 pg/ml deutlich niedriger. Im Graubereich hilft der Calzium-stimulierte Calcitoninwert bei der Einschätzung der MTC-Wahrscheinlichkeit weiter2 (siehe Tab. 1 und 2). Bei MTCs mit besonders hohen Calcitoninwerten kann ein F-DOPA-PET-CT durchgeführt werden, um eventuelle Fernmetastasen zu zeigen oder auszuschließen.
Hereditäre und sporadische Formen: Es wird zwischen einer erblichen (ca. 20 %) und einer sporadischen Form des MTC unterschieden. Die notwendige Unterscheidung kann nur durch einen Gentest sicher erfolgen. Dieser ist von hoher Wichtigkeit, um potentiell betroffene Familienmitglieder rechtzeitig zu erkennen und in einem Frühstadium oder sogar prophylaktisch operieren zu können. Auch für den betroffenen Patienten selbst ist das Wissen um eine erbliche Form von entscheidender Bedeutung, muss er doch auch hinsichtlich einer möglichen Manifestation eines Phäochromozytoms oder eines primären Hyperparathyreoidismus lebenslänglich kontrolliert werden. Wird ein Patient operiert, bevor der Gentest durchgeführt wurde, ist zumindest der präoperative biochemische Ausschluss eines Phäochromozytoms und eines Hyperparathyreoidismus zu fordern.
Da das MTC von neuroendokrinen Zellen abstammt, ist eine Radiojodtherapie nicht möglich, die Zellen lagern kein Jod ein. Die einzige kurative Therapie ist somit die Chirurgie. Aus diesem Grund wurde beim MTC immer eine sehr ausgedehnte und gründliche Operation empfohlen. Ein differenzierteres Vorgehen ist erst in den letzten Jahren möglich geworden.
Es ist immer eine komplette Entfernung der Schilddrüse notwendig, da ein multifokales Auftreten des Tumors häufig ist, bei hereditären Formen fast regelhaft, aber auch bei sporadischen Patienten in bis zu 19 % der Fälle. Grundsätzlich wird von uns eine zentrale und funktionelle laterale Lymphknotendissektion beidseits empfohlen, da gerade die Patienten mit einem geringen, im Ultraschall nicht sichtbaren Lymphknotenbefall potentiell chirurgisch heilbar sind. Bei ausgedehntem Lymphknotenbefall ist eine biochemische Heilung, also ein post-operativ (auch stimuliert) nicht messbares Calcitonin kaum zu erzielen. Bei diesen Patienten sollte der Fokus eine lokale Tumorkontrolle zur Vermeidung von lokalen Problemen sein, dies wird am ehesten auch durch eine komplette Thyreoidektomie mit sorgfältiger beidseitiger zentraler und lateraler Halsdissektion erreicht.
Ausnahmen:
Da die beiden Gruppen sich überschneiden, kann man, wenn man beide Ausnahmen berücksichtigt, bei etwa 35 % der Patienten die ausgedehnte Halsdissektion vermeiden. Die zentrale Halsdissektion ist technisch einfacher, wenn die Schilddrüse noch in situ ist und die Trachea durch Zug an der Schilddrüse mit dem Lymphknotenkompartment nach ventral leicht verdreht werden kann. Auch ist diese Operation in einem Zweiteingriff aufgrund der Vernarbung deutlich aufwendiger und mit einer erhöhten Morbidität verbunden, weswegen in unseren Händen die zentrale Halsdissektion immer vor der Entnahme der Schilddrüse und damit auch vor einer Desmoplasiediagnostik durchgeführt wird.
Bei einem inoperablen oder persistierend symptomatischen MTC lassen sich bei einigen Patienten mithilfe von Tyrosinkinaseinhibitoren lange stabile Phasen und auch deutliche Tumorregressionen erzielen, Heilungen wurden noch keine beobachtet.
Kein Schilddrüseneingriff ohne vorherige Calcitoninbestimmung. Exakte Abklärung des MTC-Patienten mit Ausschluss einer entsprechenden Erbanlage bzw. eines Phäochromozytoms und eines primären Hyperparathyreoidismus. Sorgfältige Operationsplanung (ausreichendes Zeitfenster) bei Verdacht auf MTC.