Vorwort: Diskussionen und Trends in der Diagnose und Therapie von Schilddrüsenkarzinomen

Die Inzidenz des differenzierten Schilddrüsenkarzinoms nahm in den vergangenen Jahrzehnten in Österreich und weltweit kontinuierlich und deutlich zu, die Mortalität ist davon weitgehend ­unbeeindruckt geblieben. In Österreich war laut den Erhebungen der Statistik Austria der Höhepunkt dieser Inzidenzzunahme im Jahr 2008 erreicht (1.004 Fälle), seitdem zeigt sich wieder eine leicht rückläufige Tendenz mit 822 Erkrankungsfällen im Jahr 2016 (Abb.). Diese absolute ­Häufigkeit ist bei ca. 40.000 Krebsneuerkrankungen/Jahr ­immer noch sehr ­gering mit einem ­großen Anteil an lokal beschränkten, gut differenzierten Karzinomen mit ausgezeichneter Prognose.

 

 

Echte Inzidenzzunahme?

In den vergangenen Jahren wurde intensiv diskutiert, ob es sich hier um eine „echte“ Inzidenzzunahme oder eher um eine Zunahme der Diagnosestellungen handelte: Der im Verlauf zunehmende Einsatz diagnostischer Verfahren (Schilddrüsensonografie, Feinnadelzytologie) sowie die immer akribischere histo­lo­gische Aufarbeitung von Schilddrüsenpräparaten im Rahmen von chirur­gischen Eingriffen wie der (subtotalen) Thyreoidektomie oder Lobektomie bei benignen Schilddrüsenerkrankungen (Imm­un­hy­per­thyreose, Struma nodosa) hat zu ­einer vermehrten Erfassung von klinisch eigentlich stummen (asymptomatischen) Schilddrüsenkarzinomen geführt. Die 2016 erschienenen Leitlinien der amerikanischen Schilddrüsengesellschaft ATA sowie auch die aktualisierte WHO-Klassifikation inklusive aktualisiertem TNM-Staging-System aus dem Jahr 2017 versuchen, dem Umstand der zunehmenden Diagnosestellung – bei gleichzeitig ausgezeichneter Prognose im Fall des gut differenzierten, lokalisierten Schilddrüsenkarzinoms – Rechnung zu tragen, um einerseits nur wirklich als maligne einzustufende Tumoren auch als „Karzinome“ zu erfassen und andererseits Nutzen und Risiko der therapeu­tischen Optionen im Gleichgewicht zu halten. Die im Verlauf der letzten Jahre zunehmend sorgfältige Abklärung von Schilddrüsenknoten entsprechend ihres sonografischen und szintigrafischen Erscheinungsbildes, die zielgerichtete In­dikationsstellung zur Feinnadelbiopsie ­von als suspekt einzustufenden Schild­drüsenknoten als „Nadelöhr“ zur Operationsindikation dürfte sich wohl in den nun wieder rückläufigen Inzidenzzahlen bereits widerspiegeln.

Diagnose und Therapie

In der vorliegenden Ausgabe von ­SPECTRUM Onkologie werden einerseits die derzeit gültigen therapeutischen Vor­gehensweisen aufgezeigt, die nach wie ­vor aus der chirurgischen Ent­fernung mit in ausgewählten Fällen anschließender Radiojodtherapie bestehen. Andererseits widmet sich diese Ausgabe auch den ­zuvor erwähnten sehr spannenden Neuerungen der histologischen Nomenklatur von Schilddrüsentumoren, welche in den nächsten Jahren wohl zu einem weiteren Rückgang der Inzidenzzahlen führen werden. Auch dem im Falle eines fortgeschritteneren Stadiums prognostisch nicht ganz so erfreulichen medullären Schilddrüsenkarzinom widmet sich diese Ausgabe, um aufzuzeigen, wie wichtig auch hier die frühe Diagnosestellung ist (inklusive Calcitoninscreening), um chirurgisch kurativ erfolgreich zu sein. Die systemischen ­medikamentösen Möglichkeiten eines der Radiojodtherapie nicht mehr zugäng­lichen differenzierten Schilddrüsenkarzinoms sowie zu guter Letzt die therapeutischen Optionen des sehr seltenen, jedoch auch sehr aggressiv verlaufenden anaplastischen Schilddrüsenkarzinoms runden das Thema ab. Die Behandlung der Schilddrüsenkarzinome ist so vielfältig geworden wie ihr Erscheinungsbild. Mit als fast gutartig zu bezeichnenden ­Ver­läufen einerseits, aber auch ausgeprägten symptomatischen Veränderungen andererseits müssen sich Arzt und v. a. Patient aus­einandersetzen, immer das Gleich­gewicht von therapeutischem Nutzen, Krankheitsrisiken und natürlich die Lebensqualität im Auge behaltend.