Das Prostatakarzinom stellt die häufigste Krebserkrankung bei Männern in unseren Breiten dar. Obwohl die Mehrzahl der Erkrankungen einen eher langsamen Verlauf aufweist, zählt das Prostatakarzinom zu den drei häufigsten Krebstodesursachen in Europa.1, 2 In Österreich sind derzeit etwa 60.000 Männer von Prostatakarzinom betroffen.3 Dabei ist für die Prognose unter anderem die Ausdehnung des Karzinoms bei Erstdiagnose entscheidend, wobei lokale Erkrankungen in der Regel 5-Jahres-Überlebensraten von über 99 % zeigen.4 Im Gegensatz dazu stellt das metastasierte Prostatakarzinom nach wie vor eine große Herausforderung in der Behandlung dar, wobei dieses Setting fast ein Drittel der Patienten betrifft. Dies erklärt sich in erster Linie durch die erst relativ spät auftretenden Symptome (wie Miktionsbeschwerden), weshalb eine gezielte Früherkennung besonders wichtig ist. Momentan wird der Allgemeinbevölkerung in Anlehnung an die Richtlinien in Deutschland eine Früherkennung ab dem 45. Lebensjahr empfohlen.5, 6 Allerdings führt die derzeit standardmäßig durchgeführte Untersuchung mit PSA-Wert- Messung und digital rektalem Tastbefund auch häufig zu falsch positiven Ergebnissen, die in weiterer Folge mittels Biopsien und der damit verbundenen Belastung für die Patienten abgeklärt werden müssen. Daher ist es von großer Wichtigkeit, sowohl die Spezifität der Früherkennungsmaßnahmen zu verbessern als auch Risikogruppen in der Allgemeinbevölkerung zu identifizieren, um diese im Rahmen eines intensivierten Früherkennungsprogramms zu betreuen.
Prostatakarzinom-Risikoerhöhung durch familiäre Häufung: Ursächlich für das Prostatakarzinom ist in der Mehrzahl der Fälle ein multifaktorielles Geschehen, bestehend aus Umweltfaktoren und genetischen Einflüssen, wobei das zunehmende Alter eine große Rolle spielt.7 Zudem ist auch schon lange bekannt, dass zum Teil eine familiäre Häufung beobachtet wird und dies zu einer relevanten Risikoerhöhung führt, vor allem wenn erstgradig Verwandte betroffen sind.8–12 Daher kann es, auch unabhängig von genetischen Untersuchungen, sinnvoll sein, in diesen Fällen ein intensiviertes Früherkennungsschema anzuwenden.
Mutationen in (Hoch-)Risikogenen relevant für Betroffene und Familie
Prostatakarzinome, die auf Basis einer einzelnen Veränderung in einem (Hoch-)Risikogen auftreten, machen etwa 10 % der Erkrankungsfälle aus13, wobei in erster Linie die Gene BRCA1, BRCA2 und HOXB13 betroffen sind und zusammen etwa 40 % der genetisch bedingten Prostatakarzinome erklären. Weitere möglicherweise mit dem Prostatakarzinom assoziierte Gene sind beispielsweise die so genannten „Lynch-Syndrom-Gene“, ATM und CHEK2. Die Vererbung von Mutationen in den genannten Genen erfolgt autosomal- dominant. Das bedeutet: Liegt bei einem Betroffenen eine Veränderung auf einem seiner beiden elterlichen Allele (Genkopien) vor, wird diese mit 50%iger Wahrscheinlichkeit geschlechtsunabhängig an die Nachkommen weitervererbt.
Dementsprechend ist die Identifizierung einer zugrundeliegenden Mutation nicht nur für den Betroffenen selbst von (mittlerweile auch therapeutischer) Relevanz, sondern hat auch große Bedeutung für die Familie, da Veränderungen in diesen Genen, abgesehen von HOXB13, mit familiären Tumorprädispositionssyndromen mit breiten Tumorspektren für beide Geschlechter verbunden sind und mutationsträgerspezifische Früherkennungsmaßnahmen und zum Teil auch prophylaktische Operationen angeboten werden.
Stellenwert der „Brustkrebsgene“
Einen besonderen Stellenwert beim genetisch bedingten Prostatakarzinom haben die sogenannten „Brustkrebsgene“ BRCA1 und BRCA2. Vor allem Veränderungen in BRCA2 führen zu einer starken Erhöhung des Risikos für Prostatakarzinome14– 19, zu einem jüngeren Auftreten der Erkrankung und auch zu einem aggressiveren Verlauf mit früher Metastasierung und dementsprechend schlechterer Prognose.18, 20–24 Das Lebenszeitrisiko für Träger einer Mutation im BRCA1-Gen beträgt etwa 30 %, im BRCA2-Gen etwa 40 %.14–19 Männliche Anlageträger einer solchen Mutation haben zudem noch ein erhöhtes Risiko für Brustkrebs (etwa 1 % bei BRCA1 und 10 % bei BRCA2). Für Frauen steht vor allem ein gesteigertes Brust- und Eierstockkrebsrisiko im Vordergrund. Auf Grund des schnelleren Wachstums dieser Prostatakarzinome ist bei diesen Patienten von einer aktiven Überwachung („active surveillance“) eher abzuraten und ein primär radikaleres Vorgehen anzudenken.25 Des Weiteren gibt es Hinweise auf ein möglicherweise gutes Ansprechen dieser Tumoren auf platin basierte Therapien26 und PARP-Inhibitoren.27, 28 Durch die Untersuchung von Tumormaterial können neben Keimbahnmutationen zusätzlich auch noch somatische (nichtvererbbare) BRCA-Mutationen entdeckt werden, die ebenfalls von dem Einsatz von PARP-Inhibitoren profitieren können. Dementsprechend sollte bei Prostatakarzinompatienten auch Tumormaterial untersucht werden, insbesondere wenn man bedenkt, dass etwa die Hälfte der im Tumor auffindbaren BRCA-Mutationen somatisch sind.29
HOXB13-Mutation
Ein weiteres wichtiges Gen, welches erst vor kurzem als Risikogen für Prostatakarzinome identifiziert wurde, ist HOXB13.30 Dieses Gen scheint nach derzeitigem Wissensstand ausschließlich mit Prostatakarzinomen assoziiert zu sein, auch wenn manche Studien einen möglichen Zusammenhang mit anderen Krebserkrankungen ins Spiel bringen.31, 32 Das Lebenszeitrisiko für Träger einer Mutation im HOXB13-Gen ist ähnlich jenem für das BRCA2-Gen und beträgt etwa 30–60 %.33–37 Im Gegensatz zu BRCA1 und BRCA2 liegt für HOXB13-Mutationen allerdings bislang kein Nachweis eines Zusammenhangs mit Metastasierung oder Gleason Score vor.31, 35, 38 Die mit Abstand am häufigsten in Zusammenhang mit Prostatakarzinom berichtete HOXB13-Mutation ist die Missense-Mutation c.251G>A (p.Gly84Glu), kurz G84E genannt. Die G84E-Mutation findet sich bei etwa 1,4 % der Prostatakarzinompatienten30, wobei vor allem eine Assoziation mit jungem Alter (< 55 Jahre) und einer positiven Familienanamnese beschrieben ist.30, 31, 33, 38 Ein deutlich erhöhtes Auftreten der G84E-Mutation zeigt sich vor allem in der nordeuropäischen Bevölkerung.33
ATM- und CHEK2-Mutationen
Für die übrigen mit Prostatakarzinom assoziierten Gene ist das Risiko für Prostatakarzinom häufig nicht genau bekannt. Bei den beiden Genen ATM und CHEK2 wird in etwa von einer Verdoppelung des Basisrisikos ausgegangen. Abgesehen von Prostatakarzinomen ist für diese Gene zudem auch ein erhöhtes Risiko für Brustkrebs und andere Krebserkrankungen, wie z. B. Pankreaskarzinome, bekannt. Ähnlich wie für BRCA-Mutationen wurde auch für ATM- und CHEK2-Mutationen ein Zusammenhang mit metastasiertem Prostatakarzinom beschrieben.29, 39 Bei ATM-Mutationen scheint auch eine Therapie mit PARP-Inhibitoren gute Ansprechraten zu erzielen, während für CHEK2-Mutationen kein solcher Effekt beobachtet werden konnte.28
Testung
Bislang existieren in Österreich keine einheitlichen Kriterien, wann eine Testung auf Keimbahnmutationen erfolgen soll. Man kann sich hierfür jedoch an internationalen Guidelines, wie jenen der National Comprehensive Cancer Network (NCCN) aus den USA40, orientieren. Diese sehen eine genetische Abklärung für alle Patienten mit einem metastasierten Prostatakarzinom oder einem hohen Gleason Score (≥ 7) in Kombination mit positiver Familienanamnese (auf Prostata, Brust-, Eierstock- oder Pankreaskarzinom) oder Aschkenasim-Abstammung vor. Diese Empfehlungen sind insbesondere auf die Identifizierung von BRCA1- und BRCA2-Mutationen ausgelegt, können jedoch auch für die Abklärung anderer mit Prostatakarzinom assoziierter Gene herangezogen werden. Hierzu kann es jedoch, je nach Gen, auch empfehlenswert sein, andere Faktoren für die Entscheidung heranzuziehen. So empfiehlt es sich, zum Beispiel im Hinblick auf HOXB13-Mutationen, auch das Alter der Patienten (< 55 Jahre) zu beachten. Zur besseren Orientierung sind die Kriterien für die Indikation zur Durchführung einer molekulargenetischen Diagnostik in der Abbildung, angelehnt an die NCCN-Leitlinien, Version 2.2019, zusammengefasst.
Molekulargenetische Diagnostik
Für die Zukunft ist absehbar, dass die molekulargenetische Diagnostik für Prostatakarzinompatienten noch wesentlich an Bedeutung zunehmen wird. Dementsprechend wichtig ist es für den behandelnden Arzt, die Indikation zur diagnostischen Abklärung zu erkennen und allenfalls eine Diagnostik zu veranlassen. Eine umfassende humangenetische Beratung durch einen Facharzt für medizinische Genetik oder einen in diesem Bereich bewanderten Urologen ist jedenfalls vor jeder genetischen Abklärung durchzuführen.