Der Mann als psychoonkologischer Patient

KONTEXT: In der Österreichischen Krebshilfe werden jährlich ca. 22.000 Beratungen durchgeführt. Mag. Karin Isak hat sich bereits in sehr frühen Jahren – u. a. bedingt durch das familiäre Umfeld – für den Umgang mit Menschen mit Krebserkrankungen interessiert. Eine glückliche Fügung, als die Klinische Psychologin vor 20 Jahren auf ein Stelleninserat der Österreichischen Krebshilfe Wien stieß. Seitdem unterstützt Karin Isak gemeinsam mit ihrem 5-köpfigen Team Krebspatienten und Angehörige auf ihrem Weg durch die Erkrankung. Die kostenlosen Beratungen werden zu 2/3 von Frauen und zu 1/3 von Männern wahrgenommen. Selbige Aufteilung gilt für Patienten und Angehörige: 2/3 : 1/3. Der Anteil der hilfesuchenden Angehörigen steigt, ebenso wie der Männeranteil. Aus diesem Grund wurde in Wien im Februar 2018 eine eigene Männergruppe (Leitung: Mag. Stefan Haslinger, Klinischer Psychologe, Krebshilfe Wien) gegründet.

 

SPECTRUM Urologie: Sie sind seit nunmehr 20 Jahren Leiterin der Beratungsstellen der Krebshilfe Wien. Was bringt ein Beratungsgespräch allgemein und im Speziellen eine psychoonkologische Beratung (bei krebserkrankten Männern)?

Mag. Karin Isak: Mit einer unvoreingenommenen Person außerhalb des familiären Rahmens zu sprechen kann erfahrungsgemäß große Erleichterung bringen. Ein professionelles Gegenüber ist ein guter Menschenkenner und emotional nicht so stark involviert wie ein Familienmitglied. Das kann sehr hilfreich sein. Es besteht ein sicherer Rahmen, in dem alles an- und ausgesprochen werden kann. Empathie beruhigt und bringt Sicherheit in Zeiten von Unsicherheit zurück. Bei Männern kann das Auflösen von belastenden Klischees wie „Ich muss stark sein“, „Ich muss meinen Mann stehen“ sehr erleichternd sein. Männer stehen oft unter großem Druck und leiden häufig unter großen Erwartungshaltungen. Im Zuge einer Beratung werden Ressourcen gefunden und gestärkt, z. B.: „Was hat mir früher in schwierigen Situationen geholfen?“, „Welche Energiequellen kann ich aktivieren?“

Können Sie sich noch erinnern, wann der erste männliche Patient eine Beratung der Krebshilfe wahrgenommen hat?

Damals nahmen Männer generell eine psychoonkologische Beratung äußerst selten in Anspruch. Als kurz nach Beginn meiner Tätigkeit der erste männliche Patient in der Beratungsstelle eintraf, war das einzig auf Drängen seiner Frau, die ihn schickte. Es war ihr Wunsch – nicht seiner. Gegen die drei Buchstaben „Psy“ gab es Vorbehalte, und so meinte auch dieser reizende ältere Patient, dass er „doch ganz normal und nicht verrückt“ sei; also wozu brauche er einen Seelenklempner? Ich erklärte folglich, was der Unterschied zu einem Psychiater – was gern mit einem Psychologen verwechselt wurde –, ist und dass es ganz normal wäre, wenn man sich bei einer Krebserkrankung Unterstützung hole. Beruhigt nahm dieser Patient noch einige Termine wahr. Wir arbeiteten mit Entspannungstechniken (autogenes Training über 8 Wochen) an seiner Angst vor den Untersuchungen. Mein zweiter männlicher Patient war ein rund 42-jähriger Hodenkrebspatient. Er war sehr interessiert, über seine Ängste und Sorgen zu sprechen.

2/3 der Beratungsgespräche werden mit Frauen und nur 1/3 mit Männern geführt. Warum ist der Männeranteil deutlich geringer?

Der Weg in die Beratung ist nach wie vor schwer. Männer betrachten sich als weniger hilflos und unterstützungsbedürftig und wissen auch weniger über Unterstützungsangebote Bescheid als Frauen. Oft motivieren sie Frauen, eine Beratung wahrzunehmen, denn sich zu „zeigen“ ist meist eine Hürde. Das wissen wir von unseren Anfängen, als Beratungen mit Männern eher über das Telefon stattfanden. Männer gehen lieber zu Seminaren, zu Coaches oder zu Fortbildungen zum Thema Zeitmanagement und Leistungsoptimierung.

Was ist in der Männer-Beratung zu berücksichtigen?

Der Einstieg in das Gespräch ist oft anders. Wir als Berater müssen uns verdeutlichen, dass Männer meist anders „ticken“ und reagieren als Frauen. Es gilt, hier etliche Aspekte zu berücksichtigen. Es gibt männertypische Verhaltensweisen (Tab.) Vielleicht, um ein paar herauszugreifen: Männer sind es nicht gewohnt, so offen wie Frauen über ihre Gefühle zu sprechen. Das gilt es, in der Beratung zu berücksichtigen, sprich, Männer nicht mit zu vielen persönlichen Fragen von Beginn weg zu konfrontieren. Männer reden gern über ihren Beruf oder Sport, und über Fragen wie „Erzählen Sie von Ihrer Arbeit!“ oder „Was machen Sie in Ihrer Freizeit?“ finden wir einen guten Gesprächseinstieg. Es dauert dann ein wenig länger, zu den Gefühlen vorzudringen. Männer sind meist lösungs- und handlungsorientiert, formulieren ein Ziel, das sie erreichen möchten. Ist etwas erlernt, wie z. B. eine Entspannungstechnik vor anstrengenden Untersuchungen, nehmen sie keine weitere Beratung mehr wahr – sie sind am Ziel. Aus unserer Sicht würde es manchmal auch mehr brauchen, aber „Mann“ lässt sich nicht auf zu viel Tiefe ein. Männer nehmen gern die Beratung zur Bewegungstherapie wahr und besuchen gern Vorträge zu allgemeineren Themen wie z. B. zur Immuntherapie.

 

 

Gilt es, zwischen älteren und jüngeren männlichen Patienten zu unterscheiden?

Ja, es gilt, auch zwischen älteren und jüngeren Männern zu unterscheiden, da gibt es große Unterschiede. Zwei Punkte müssen hierbei berichtsichtig werden. Erstens: Traumatisierte Kriegsheimkehrer wurden damals nicht von Krisenteams betreut – wie dies heute glücklicherweise der Fall ist, wenn Menschen ein Trauma oder einen Schicksalsschlag erleben. Daher ist das „Schweigen der Männer“ der älteren Generation nachvollziehbar, sie waren nicht gewohnt, über all das Furchtbare, das sie erleben und erleiden mussten, zu sprechen, aber natürlich ist es das Ziel, dies zu verändern. Zweitens: der Erziehungswandel. In der Generation unserer Väter und Großväter (ausgehend von einem eigenen Alter um die 55 Jahre) wurden Buben nicht dazu erzogen, über ihre Gefühle zu sprechen. Ältere Männer reden kaum über sexuelle Probleme oder Therapienebenwirkungen wie Inkontinenz und künstlichen Ausgang im Kontext der Krebserkrankung. Es kann mitunter sehr lange dauern, bis ein Mann seine diesbezüglichen Hemmungen ablegt. Jüngere Männer (Patienten und Angehörige) nehmen psychoonkologische Unterstützungsangebote eher in Anspruch als ältere Männer. Für jüngere Männer ist es wiederum normal, über sexuelle Probleme zu sprechen. Sie haben von klein auf von der Elterngeneration gelernt, die schon offener war und viel Wert darauf gelegt hat, Buben zu offenen Kindern zu erziehen. „Ein Indianer kennt keinen Schmerz“ ist heute überholt.

Wann und warum bzw. in welchen Bundesländern wurde eine eigene Männergruppe installiert?

Die Männergruppe wurde im Februar 2018 in Wien installiert, um gezielt die etwas „vernachlässigte“ Gruppe der Männer anzusprechen; vor allem weil Männer ja bekannterweise auch in der Vorsorge eher nicht so aktiv sind wie Frauen. Der Gang zum Urologen oder prinzipiell zum Arzt ist für Männer noch immer nicht selbstverständlich. Hier leistet die „Loose-Tie-Kampagne“ der Österreichischen Krebshilfe einen großen Beitrag zur Aufklärung und Ermutigung zur Vorsorgeuntersuchung. Aktuell besuchen 4–6 Männer die von einem Klinischen Psychologen geleitete und moderierte Männergruppe. Die Treffen finden 1-mal monatlich (Dauer 90 Min.) statt. Die Erfahrungen haben gezeigt, dass unmittelbar nach der Diagnose und Behandlung ein Einzelgespräch besser ist, somit soll es in Zukunft ein Vorgespräch geben, um zu beurteilen, ob der richtige Zeitpunkt für den Eintritt in die Gruppe schon gegeben ist. Eine Männergruppe ist in Salzburg (Oktober 2019) gestartet.

Können Sie sagen, warum sich Männer zur Teilnahme entschließen?

Sie suchen den Austausch mit anderen – vor allem bei gleicher Erkrankung. Die Themen sind vielfältig: Welche Therapieform? Was hilft bei Nebenwirkungen? Sehr häufig geht es um Krankheit und Beruf (Wiedereinstieg, langer Krankenstand, Arbeitsplatzverlust, Berufsunfähigkeitspension). Arbeit und Krebs ist ein Kernthema, da sich Männer – wie gesagt – stark und häufig über die Arbeit definieren. Auch die Angst vor Isolation ist ein Thema, und daher macht Gemeinsames Mut und Hoffnung. Junge Männer haben auch eine WhatsApp-Gruppe installiert und tauschen Informationen aus; bloggen, schreiben Bücher und Tagebücher.

Sie haben das Thema Arbeit und Krebs erwähnt. Hier gibt es mit „Unternehmen Leben!“ eine neue Initiative der Österreichischen Krebshilfe.

Die Österreichische Krebshilfe bietet auf Basis einer Initiative der Krebshilfe Wien Unternehmen maßgeschneidertes psychoonkologisches Coaching an, um Mitarbeiter mit einer Krebserkrankung nach ihrer Rückkehr aus dem Krankenstand bestmöglich ins Unternehmen zu integrieren. Im Rahmen von „Unternehmen Leben!“ werden lösungsorientierte Coachinggespräche mit allen Beteiligten geführt, und darüber hinaus ist eine allfällige Nachbetreuung Teil des professionellen Angebots. Es ist wichtig, auch Kollegen betroffener Mitarbeiter Unterstützung anzubieten: Wie umgehen, wie kommunizieren? Das Coaching erfolgt durch eigens geschulte Klinische und Gesundheitspsychologinnen/-psychologen mit Schwerpunkt Arbeitspsychologie. Die Krebshilfe hat auch sehr stark an der Einführung der sogenannten Wiedereingliederungsteilzeit mitgewirkt, die Menschen helfen soll, nach einer längeren Erkrankung schrittweise und langfristig in ihren Arbeitsprozess zurückzukehren.

Ich möchte auf eine Begleiterkrankung von Krebspatienten eingehen: die Depression.

Eine große Anzahl von Patienten, ca. 35 %, erlebt irgendwann im Laufe der Erkrankung eine behandlungsbedürfte Depression. Die Depression ist eine bekannte Begleiterkrankung, aber häufig im Krankenhaus unterdiagnostiziert, da sich die Symptome nicht immer eindeutig zuordnen lassen: Müdigkeit und Erschöpfung können auch Therapienebenwirkungen sein. Eine Depression muss behandelt werden, idealerweise umfasst das Betreuungskonzept eine medikamentöse Therapie und eine psychoonkologische Beratung. Männer lassen sich nicht gern als depressiv diagnostizieren, da sie dies als Versagen betrachten. Sie sehen sich eher wegen der vielen Arbeit ausgebrannt. Insbesondere bei Männern ist der Alkoholismus ein Thema, der mitunter auch schon vor der Krebserkrankung bestanden hat. Alkohol wird als Entspannungsmittel eingesetzt. Die Krebserkrankung ist häufig ein Verstärker der vorhandenen Persönlichkeitsmerkmale.

Der „googelnde“ Patient – besser informiert?

Nein, ich rate, nicht zu googeln. Man landet immer wieder einmal auch auf unseriösen Seiten. Broschüren, die in Kooperation mit Experten gestaltet werden, so wie die der Österreichischen Krebshilfe, sind seriös und informativ. Generell ist der Patient heute viel besser über seine Krankheit informiert, er will ein klares und offenes Gespräch. Ein Arzt will auch manchmal erreicht werden können.

Womit rechnen Sie in Zukunft in der Beratung?

Ich gehe davon aus, dass immer mehr Männer eine psychoonkologische Beratung wahrnehmen werden. Das Tabu „PSY“ wird fallen. Wünschenswert wäre, dass das Thema Patientenkommunikation in der Aus- und Weiterbildung verstärkt angeboten wird: „Wie überbringe ich dem Patienten eine Krebsdiagnose?“, „Wie lege ich ein Gespräch an?“