HWI: Physikalische Therapiemöglichkeiten zur Unterstützung der Primärtherapie

Physikalische Anamnese und Diagnostik: In der physikalischen Anamnese wird neben dem Miktionsverhalten und der Exploration anhand des Miktionsprotokolls eine psychosoziale Anamnese durchgeführt, da bei PatientInnen mit rezidivierenden Harnwegsinfekten zu unterscheiden ist, ob diese PatientInnen mit krankheitsreaktiver psychischer Symptomatik zur Therapie kommen, oder ob darüber hinaus eine psychotherapeutische Behandlung indiziert erscheint. Es können Probleme mit der Krankheitsverarbeitung bestehen oder es ist eine psychische Symptomatik evident. Die physikalische Anamnese umfasst auch eine Sexualanamnese, da PatientInnen mit rezidivierenden Harnwegsinfekten durch die immer wieder auftretenden Harnwegsinfekte sehr häufig auch einen hohen Leidensdruck in der Paarbeziehung aufbauen. Anknüpfungspunkt für diesen Teil der Anamnese ist die Diagnostik mit Biofeedback, bei der im Regelfall sehr häufig eine Verspannung der Beckenbodenmuskulatur evident ist.

Miktionsprotokoll: Das Miktionsprotokoll, das vorzugsweise für 3 Tage durchgeführt wurde, ist für den Facharzt für physikalische Medizin ein wesentlicher Anknüpfungspunkt zur Erstellung des Therapieplans. Aus ihm erliest er Miktionsfrequenz, Ein- und Ausfuhr und erfährt im Gespräch meistens auch etwas über die psychosoziale Belastung der PatientInnen und über die Einnahme von Medikamenten, die auch Ursache für ein pathologisches Miktionsverhalten sein können. Das Miktionsprotokoll wird auch zur Überprüfung der erfolgten Therapie herangezogen.
Bei auffälliger psychosozialer Anamnese (Tab.) werden additive Entspannungsverfahren (progressive Muskelentspannung nach Jakobson, Atemtherapie, autogenes Training) in Kombination mit Biofeedback angeboten. Der Vorteil dieser Kombination besteht in der Echtzeitdarstellung der unmittelbaren Wirkung dieser Entspannungsverfahren auf die Beckenbodenmuskulatur.

 

 

Biofeedback

Biofeedback ist eine Methode, bei der mittels intravaginaler (bei Männern intraanaler) Sonde die Beckenbodenmuskelaktivität auf einem Bildschirm visuell in Echtzeit dargestellt wird. Durch weitere Oberflächenelektroden können auch die Atmung bzw. weitere Muskeln in ihrem Zusammenspiel mit der Beckenbodenmuskulatur dargestellt werden. Biofeedback eignet sich daher sehr gut zur Diagnostik und Therapie bei:

1. Hypotonus der Beckenboden­muskulatur (Descensus)
2. Inkontinenz (anal, vaginal)
3. bei schmerzhaftem Geschlecht­verkehr (Vaginismus, Vulvodynien)

 

Diese Methode wird in spezialisierten physikalischen Instituten und Beckenbodenzentren angeboten.

Diagnostik mittels Biofeedback: In der Diagnostik werden der Ruhewert (in µV), die Kontraktion über einen Zeitraum von 5 Sekunden, die maximale Einmalkontraktionskraft (maximaler Tonus), Quickflicks (Evaluierung der Schnellfaserkomponente der Beckenbodenmuskulatur) sowie die Entspannungsfähigkeit der Beckenbodenmuskulatur in Ruhe und nach Aktivität erfasst. Wesentlich ist, dass zur besseren Reproduzierbarkeit die PatientInnen im Biofeedbacklabor eine entsprechende Ruhezeit und eine korrekte Lagerung vor der Messung erfahren, damit die Ergebnisse nicht zu Interpretationsschwierigkeiten führen.

Biofeedback in der Therapie: Je nach Befund aus der Erstdiagnostik wird in der Therapie

1. die Entspannung
2. das Zusammenspiel zwischen At­mung und Beckenboden­muskulatur
3. das Zusammenspiel von M. rectus abdominis, M. transversus ­abdo­minis, Adduktoren-, Gluteal- und Beckenbodenmuskulatur
4. Beckenbodenaktivität während Alltagsverrichtungen (Sitzen – ­Aufstehen, Niesen, …) und der
5. Einfluss von Entspannungstechniken auf die Beckenbodenmuskulatur geübt.

Leider wird Biofeedback noch nicht von den Kassen refundiert, nur in Kombination mit Heilgymnastik, die häufig als Hausübungen den PatientInnen mitgegeben werden, ist es möglich, den Heilgymnastikteil zu verrechnen.

 

Prim.a Dr. Eva Maria Uher bei der Anwendung von Biofeedback am Institut für physikalische und rehabilitative Medizin.

 

Heimtherapie (Elektrotherapie)

Auch Heimtherapiegeräte (Fa. Innocept, Fa. Tic) können zur Aktivierung der Beckenbodenmuskulatur eingesetzt werden und haben zum Teil auch Biofeedbackmodus. Eine Erstattung durch die Krankenkassen ist mit wechselnden Selbstbehalten möglich. Bei den reinen Biofeedbackgeräten wird derzeit in Österreich – im Gegensatz zu Deutschland – nichts erstattet. Diese Heimtherapiegeräte sind jedoch nur dann erfolgreich einsetzbar, wenn die Entspannung der Beckenbodenmuskulatur sichergestellt wurde und die Stimulationsparameter so gewählt werden, dass die Durchblutung der ­Beckenbodenmuskulatur sowie ihre schmerzfreie Aktivierung sichergestellt sind. In der Praxis ist es daher sinnvoll, dass diese Parameter von einem Facharzt individuell eingestellt werden, um eine effiziente Therapie auch zu erzielen.

 

 

Heilgymnastik – Beckenbodentraining

Auch das Beckenbodenmuskeltraining, vor allem wenn durch Biofeedback die korrekte Aktivierung der Beckenbodenmuskulatur sichergestellt wurde, kann eine Schmerzreduktion durch gezielte Entspannungsübungen, Lagerungstechniken und heilgymnastische Übungen erreichen. Faszientechniken und Triggerpunktbehandlungen, die durch den Facharzt bei Bedarf auch intravaginal durchgeführt werden, ergänzen die physiotherapeutischen Maßnahmen.

 

 

Weitere Informationen:
Biofeedback und Beckenbodentraining
www.beckenboden-im-zentrum.at,
Neustiftgasse 64, 1070 Wien,
Prim.a Dr. E. M. Uher,
Tel.: 0699/13 94 29 19

 

Take Home Message

In der Praxis bewährt sich, dass PatientInnen mit rezidivierenden Harnwegsinfekten einer diagnostischen Biofeedback-Untersuchung zugewiesen werden.
Insbesondere die individuell zusammengestellte Therapie aus den drei Therapiemodulen Biofeedback, Elektrotherapie und Heilgymnastik zeigt häufig den gewünschten Erfolg. In der Regel sind nicht mehr als fünf Behandlungen notwendig.