Update der Diagnostik und der Therapie der Enuresis

Definition und Ursachen

Unter Enuresis versteht man das Einnässen im Schlaf in mindestens zwei Nächten pro Monat nach dem 5. Lebensjahr. Die ICCS (International Children’s Continence Society) definiert die monosymptomatische Enuresis (MNE), wenn das Miktionsverhalten tagsüber unauffällig ist. Mehr als die Hälfte der Kinder haben zusätzlich eine Tagessymptomatik wie Drangsymptome, Harninkontinenz, Pollakisurie oder Haltemanöver, in diesem Fall handelt es sich um eine nichtmonosymptomatische Enuresis (NMNE). Weiterhin unterscheidet man die primäre Enuresis von der sekundären, bei der das Kind nach einer zumindest sechsmonatigen trockenen Phase erneut nächtlich einnässt.
Aufgrund einer vermutlich hohen Dunkelziffer sind keine exakten Angaben zur Prävalenz der Enuresis möglich. Das Problem ist jedoch unverändert häufig: Im Alter von 5 Jahren nässen 15 bis 20% aller Kinder ein, zu Schulbeginn 7 bis 10%. Bei einer mittleren spontanen Remissionsrate von 15% verbleiben noch 1 bis 2% Enuretiker postpubertär.
Genetische bzw. familiäre Faktoren dürften eine erhebliche Rolle für das Erkrankungsrisiko spielen. Wenn ein Elternteil Bettnässer war, liegt das Risiko der Enuresis des Kindes bei 43%. Waren beide Elternteile betroffen, so erhöht sich das Risiko auf 77%.
Epidemiologische und klinische Studien zeigen, dass 20 bis 40% der Kinder mit Enuresis klinisch relevante psychische Störungen zeigen. Das höchste Risiko dieser Störungen zeigen Kinder mit einer sekundären Enuresis, die häufig seelische Ursachen hat.
Die moderne Enuresisforschung kennt 3 wichtige Theorien:

  • nächtliche Polyurie: aufgrund eines gestörten Tag-Nacht-Rhythmus der Harnausscheidung durch eine verminderte nächtliche Vasopressinausscheidung (ADH-Mangel).
  • Detrusorüberaktivität insbesondere bei Kindern mit NMNE als Ausdruck einer Reifungsstörung der Blasensteuerung.
  • verminderte Weckbarkeit: das Unvermögen, Harndrang bzw. Harnabgang als ausreichenden Weckreiz wahrzunehmen (arousal failure). Ein ungewöhnlich tiefer Schlaf oder ein auffälliges Schlafmuster scheinen nicht vorzuliegen. Kinder nässen meistens während der oberflächlichen Schlafphase (REM: rapid eye movement) ein.

Füllt sich die Blase während der Nacht vorzeitig durch eine Polyurie oder reduzierte Blasenkapazität, und das Kind wacht selbstständig auf und sucht die Toilette, so resultiert eine nicht therapiebedürftige Nykturie. Wenn das Kind diese aber nicht wahrnimmt und ins Bett einnässt, sprechen wir von einer Enuresis (Abb.).

Diagnostik

Vor einer Therapieempfehlung muss eine Basisdiagnostik erfolgen. Diese dient zum Ausschluss organischer Erkrankungen und zur Festlegung, ob weitere Abklärungen notwendig sind. Kinder mit rezidivierenden Harnwegsinfekten, urogenitalen Fehlbildungen oder neurologischen Auffälligkeiten bedürfen erweiterter diagnostischer Maßnahmen. An erster Stelle steht die Erhebung einer genauen Anamnese, bei der die Miktionsgewohnheiten (Miktionszeitpunkt, Miktionsvolumina, Einnässepisoden), Tagessymptome (Drangsymptome, Haltemanöver, Harninkontinenz, Miktionsaufschub etc.) detailliert erfragt werden. Harnwegsinfekte und Obstipation sind gerade bei Kindern mit NMNE mögliche Hinweise auf das Vorliegen einer behandlungsbedürftigen Funktionsstörung. Idealerweise sollte bei der Erstvorstellung ein Miktion-Trink- Stuhl-Protokoll über mindestens 48 Stunden mitgebracht werden. Miktionszeitpunkt, Miktionsvolumina, Nachtharnmenge, Einnässepisoden sowie Flüssigkeitszufuhr und Stuhlverhalten werden registriert. Die erwartete Blasenkapazität (Estimated Bladder Capacity; EBC) wird für Kinder zwischen 5 und 12 Jahren nach der Formel: EBC = (Alter +1) x 30 ml berechnet. Die erhobenen einzelnen Miktionsvolumina werden mit den altersentsprechenden Normwerten verglichen. Die Spontanharnmenge wird als klein oder groß bezeichnet, wenn sie 150% der EBC liegt. Zur Bestimmung der Nachtharnmenge muss das Kind jeweils einmal vor und nach Mitternacht geweckt werden. Die Summe diese beider Miktionen und die erste Morgenharnmenge ergeben die Nachtharnmenge. Von einer großen Nachtharnmenge spricht man, wenn sie > 130% der EBC liegt. Ein Einnässkalender kann zur Kontrolle des Erfolges der Therapie hilfreich sein. Die körperliche Untersuchung hilft bei nicht monosymptomatischer Enuresis beim Ausschluss urologischer oder neurologischer Erkrankungen. Hierbei wird der urogenitale Bereich, die Unterbauchregion sowie – v.a. bei neurologischen Ursachen – die lumbosakrale Region einschließlich der sakralen Reflexe mit einbezogen.
Eine Harnuntersuchung und ggf. Harnkultur sind zum Ausschluss eines Harnwegsinfektes indiziert. Bei Nachweis einer Glykosurie oder Proteinurie sind weitere Abklärungen notwendig. Die Sonographie der Nieren, der Blase einschließlich Restharnbestimmung sowie die Messung der Blasenwanddicke gehört ebenfalls zur Basisdiagnostik. Sonographische Auffälligkeiten finden sich fast ausschließlich bei Kindern mit NMNE und/oder Harnwegsinfekten. Ein Rektumdurchmesser über 3,5 cm spricht für das Vorliegen einer Obstipation. Bei auffälliger Basisdiagnostik oder Tagessymptomatik ist eine erweiterte Diagnostik indiziert. Das Flow-EMG hilft ein Dysfunctional Voiding (Detrusor-Sphinkter-Dyskoordination) festzustellen. Liegt der Verdacht auf eine Harnleiterektopie vor, ist eine MR-Urographie ggf. Endoskopie in Narkose sehr wichtig, um die Diagnose zu sichern. Ein Miktionszystourethrogramm wird bei Harnwegsinfekten zum Ausschluss eines vesikoureteralen Refluxes durchgeführt. Beim Hinweis auf neurogene Blasenfunktionsstörung erfolgt die Videourodynamik. Kinder mit neurologischen oder psychologischen Auffälligkeiten werden interdisziplinär abgeklärt.

Therapie

Die Behandlung des Bettnässens erfolgt ab dem 5. Geburtstag. Angestrebt ist ein trockenes Kind bis zum Schuleintritt. Voraussetzung für eine erfolgreiche Therapie ist nicht nur die Motivation der Eltern, sondern vor allem des Kindes selbst. Sie kann durch Einnässkalender und Belohnungsmaßnahmen positiv beeinflusst werden.

Allgemeine Verhaltensmaßnahmen

Die Verhaltensmaßnahmen werden unabhängig von der zusätzlichen Therapie durchgeführt. Die Haupttrinkmenge sollte zwischen dem Morgen und dem mittleren Nachmittag erfolgen. Die durchschnittliche Haupttrinkmenge beträgt 30 ml/kg KG/Tag. Zwei Stunden vor dem Zubettgehen sollte nicht mehr oder nur sehr wenig getrunken werden. Kinder sollen die Blase möglichst alle 2 bis 3 Stunden entleeren. Die Miktion sollte im Sitzen und bei entspanntem Beckenboden erfolgen. Das Weglassen der Windel kann die Weckschwelle senken. Die Behandlung der Obstipation zeigte in einer unkontrollierten Studie einen antienuretischen Effekt. Durch die allgemeinen Maßnahmen werden 15 bis 20% der Bettnässer trocken.

Medikamentöse Therapie

Desmopressin: gilt als Mittel der ersten Wahl bei zu hoher Nachtharnmenge im Miktionsprotokoll. Desmopressin ist ein synthetisches Analogon des humanen antidiuretischen Hormons (ADH), Es bewirkt die Reduktion der nächtlichen Harnproduktion. Der therapeutische Effekt ist evidenzbasiert (Evidenzlevel 1a). Desmopressin-Tabletten (0,2 oder 0,4 mg) oder Desmopressin-Schmelztabletten (120 oder 240 μg) werden 30 bis 60 min vor den Schlaf eingenommen. Idealerweise wird eine Dosistitration durchgeführt, beginnend mit der niedrigsten Dosis, ansteigend, bis die effektive Dosis erreicht wird. Vor einer Dosisreduktion sollte das Kind 4 bis 6 Wochen lang durchgehend unter Medikation trocken sein. Beim Rezidiv wird auf die zuletzt wirksame Dosis erhöht. Vorzeitige Auslassversuche resultieren in einer hohen Rückfallquote. Bei korrekter Dosierung und Anwendung liegt die Erfolgsrate bei 70%. Die Betroffenen und die Eltern müssen auf die mögliche Nebenwirkung der Wasserintoxikation hingewiesen werden.

Anticholinergika: Kinder mit Überaktivität des Detrusors können von Anticholinergika profitieren. Sie kommen vorwiegend zur Behandlung der Tagessymptomatik zum Einsatz. Wenn die Enuresis auf Desmopressin allein nicht anspricht, kann bei überaktiver Blase die Kombination mit einem Anticholinergikum erfolgreich eingesetzt werden.

Imipramin: die Therapie mit Imipramin in einer Dosis von 1 mg/kg KG ist ebenfalls evidenzbasiert (Evidenzlevel 1a) und zeigt in 50% einen erfolgreichen Effekt. Aufgrund einer potenziellen kardiotoxischen Nebenwirkung mit beschriebenen Todesfällen bei Überdosierung wird Imipramin nur im Ausnahmefall, wenn alle anderen Optionen erfolglos blieben, eingesetzt.

Alarmtherapie

Der Ansatzpunkt der Alarmtherapie ist die Weckschwelle. Der Enuresisalarm gilt als Mittel der ersten Wahl, wenn im Miktionsprotokoll eine normale Nachtharnmenge mit geringer altersadäquater Blasenkapazität vorliegt. Voraussetzung für den Erfolg der Therapie ist die Bereitschaft und Motivation des Kindes und der Eltern. Durch Konditionierung lernen die Kinder, bei Eintritt des Harndranges die Miktion zu unterdrücken und weiterzuschlafen und/oder bereits vor dem Einnässen aufzuwachen. Die Alarmtherapie ist bis zur 60-70 % erfolgreich (Evidenzlevel 1a), muss jedoch über einen Zeitraum (3-6 Monate) eingesetzt werden. Bei einer hohen Nachtharnmenge und reduzierter EBC kann die Alarmtherapie mit Desmopressin erfolgreich kombiniert werden.

Therapieresistenz: Eine sorgfältige interdisziplinäre Reevaluation bei therapieresistenten eneuretischen Kindern erfolgt durch die Kinderurologen, Urotherapeuten und Kinderpsychologen. Eine selektive Kombinationstherapie nach genauer Diagnostik führt zum Erfolg und endlich zur Trockenheit.

Take Home Message Enuresis ist unverändert ein häufiges Symptom im Kindesalter. Die Basisdiagnostik ist unverzichtbar vor Beginn einer Therapie. Wegweisend für die Therapieentscheidung ist das Miktion-Trink-Stuhl-Protokoll. Eine Behandlung erfolgt ab dem 5. Geburtstag. Bei erhöhter Nachtharnmenge ist Desmopressin die Therapie der ersten Wahl, das Alarmsystem kommt bei normaler Nachtharnmenge mit geringer altersentsprechender Blasenkapazität zum Einsatz. Die Behandlung der Obstipation zeigt einen antienuretischen Effekt. Der Umgang mit Therapieresistenz bedarf einer sorgfältigen interdisziplinären Evaluation durch Kinderurologen, Urotherapeuten und Kinderpsychologen.