Blasenfunktionsstörung beim vesikoureteralen Reflux – Diagnose und Therapie

Pathologische Veränderungen der Niere durch vesikoureteralen Reflux beim Kind sind zum einen angeboren und zum anderen erworben. Der genaue Entstehungsmechanismus des Reflux oder der Refluxnephropathie ist nach wie vor nicht genau geklärt. Zum einen führen fokale embryonale Dysplasien und zum anderen fieberhafte Harnwegsinfekte zum Verlust funktionierenden renalen Parenchyms. Wesentlich ist aber ebenso eine intakte Einheit des Detrusor-Sphinkter- Komplexes, eine Blasendysfunktion verringert die Wahrscheinlichkeit einer Refluxmaturation und disponiert zu rezidivierenden Infekten.

Entwicklungsanomalien im Bereich des Trigonums: Embryologisch wird das Trigonum durch den von der Ureterknospe kaudalwärts wandernden mesonephritischen Gang gebildet, sodass jede Interaktionsstörung bei der Entstehung der Ureterknospe, des metanephrogenen Blastems und des mesonephritischen Gangs zu einer Fehlpositionierung der vesikoureteralen Verbindungsstelle und damit zu Veränderungen im Bereich des Trigonums und der glatten intertrigonalen Muskelschicht führt. Die fetale Entwicklung des Trigonums und die muskuläre Anordnung des Blasenhalses bilden die Basis für eine funktionierende vesikoureterale Verbindung (Oswald et al.). Frühembryonale Störungen in der Ausbildung der Einheit Uretermündung-Trigonum-Blasenhals können in weiterer Folge Auswirkungen auf die koordinierte Zusammenarbeit von Detrusor und Sphinkter bei der Miktion und zu Blasenentleerungsstörungen führen, die in Kombination mit vesikoureteralem Reflux (VUR) auftreten.
Diese Entwicklungsanomalien im Bereich des Trigonums als Teil des Fehlbildungskomplexes bei VUR könnten erklären, warum Blasenentleerungsstörungen häufig mit Reflux kombiniert auftreten (Godley et al.). Eine pathologische Funktion der Blase konnte bereits von Yeung et al. in 57% der Kinder mit mittel- bis hochgradigem Reflux nachgewiesen werden, sodass die Kombination aus VUR und Blasenentleerungsstörung auch einen zusätzlichen Aspekt der Fehlentwicklung des Urogenitaltraktes darstellt (Tanagho et al.).

Blasendysfunktion: Es wird postuliert, dass unterschiedliche Formen der Blasenentleerungsstörung mit verschiedenen Ausprägungsformen des vesikoureteralen Refluxes einhergehen. So scheint eine instabile Blase mit Detrusorüberaktivität als Minimalform einer Blasenfunktionsstörung eher mit unilateralem Reflux und einem normalen oberen Harntrakt kombiniert zu sein. Im Gegensatz dazu kann eine hypokontraktile, hyposensitive Blase mit funktionell erhöhtem Blasenauslasswiderstand eher mit Schädigungen des oberen Harntraktes einhergehen, der Reflux tritt hier auch häufiger bilateral auf (Griffiths et al.) Einen rezenten Beitrag zu der Wertigkeit der Blasendysfunktion liefert auch die schwedische Refluxstudie 2010. Ein Fünftel der Kinder mit VUR Grad III-IV zeigten am Beginn der Studie eine Erkrankung der unteren Harnwege (LUTD) im Sinne einer erhöhten Blasenkapazität mit inkompletter Blasenentleerung. Im Follow-up zeigt sich, dass bei Kindern mit LUTD die spontane Besserungsrate des VUR geringer ist als bei Kindern mit normaler Funktion des unteren Harn traktes. Weiters scheinen Nierenschäden in der Gruppe mit LUTD häufiger zu sein. Zusätzlich sind Störungen der Blasenentleerung ein Risikofaktor für rezidivierende Harnwegsinfekte.

Diagnose

Nach Blasenentleerungsstörungen muss gezielt gesucht werden (Tab.). In den meisten Fällen wird dies von den Eltern nicht wahrgenommen und geht zudem im Klinikalltag auch leicht unter. Bei Kindern ab dem Vorschulalter kann ein einfaches Miktionsprotokoll hilfreich sein, um ein pathologisches Blasenentleerungsmuster zu diagnostizieren. Gleichzeitig können auch die Stuhlgewohnheiten des Kindes evaluiert werden, um eine Obstipation auszuschließen. Aufschlussreich ist auch die bereits am Beginn durchgeführte Sonographie: Zusätzlich zum Ultraschall der Niere ergeben (wiederholte) Restharnmessungen ein Bild über die Vollständigkeit der Blasenentleerung, die Dicke des Detrusors liefert Hinweise über ein eventuell bestehendes subvesikales Hindernis. Bei der Beurteilung des Retrovesikalraums sollte auch eine Beschreibung des Füllungszustands des Rektums erfolgen, da ein Rektumdurchmesser von mehr als 3 cm beim Kind doch deutlich für ein Defäkationsproblem spricht.
Auch beim routinemäßig durchgeführten MCU kann auf Blasenfunktionsstörungen geachtet werden. Abgesehen von einer erniedrigten (als Hinweis für eine Überaktivität des Detrusors) oder erhöhten Füllmenge (bei hyposensiblen, großkapazitären Blasen) kann das Zusammenspiel von Detrusor, Blasenhals und Beckenboden beurteilt werden. Bei Auffälligkeiten, wie zum Beispiel einer amphorenartigen Dilatation der Urethra beim Mädchen, sollte ein Flow-EMG durchgeführt werden.

Tab.: Anamnestische Hinweise für Blasenfunktionsstörungen
• erniedrigte Miktionsfrequenz (< 3-mal täglich)
• erhöhte Miktionsfrequenz (>7-mal täglich)
• Obstipation/Enkopresis
• imperativer Harndrang
• Haltemanöver
• Stakkatomiktion
• Harninkontinenz

Therapie

Finden sich Blasenfunktionsstörungen, so sollten diese so selbstverständlich therapiert werden wie der Reflux selbst. Beim Säugling oder Kleinkind sind die Optionen naturgemäß eingeschränkt. Ab dem Kindergarten- und Vorschulalter können dann gezielt therapeutische Maßnahmen ergriffen werden. Wesentlich erscheint hier, die Therapie der Blasenfunktionsstörung von Anfang an mitzuplanen und – vor allem bei niedriggradigem Reflux – dann erst die sekundäre operative Sanierung des Reflux, denn die Beseitigung der dysfunktionellen Miktion kann zu einer Verbesserung des Refluxgrades führen.
Neben der Gabe von Anticholinergika bei anamnestischer Detrusorüberaktivität sind es vor allem auch verhaltenstherapeutische Maßnahmen, die mit dem Kind besprochen werden müssen. Um regelmäßige Blasenentleerungen zu gewährleisten, muss das Kind ausreichend trinken. Zusätzlich ist auch auf eine eventuell gleichzeitig bestehende chronische Obstipation zu achten, die permanente Überaktivität des Musculus ani externus kann zu einer Verstärkung der funktionellen subvesikalen Obstruktion führen. Hier ist eine unterstützende Therapie zur Stuhlregulierung notwendig. Ergibt das Flow-EMG eine Detrusor-Sphinkter-Dyskoordination (Abb. 2 und 3) so kann mittels Biofeedback das falsche Miktionsverhalten wieder rückgängig gemacht und die Koordination von M. detrusor vesicae und Beckenboden neu erlernt werden. Vorzugsweise wird das Biofeedback nach der Einschulungsphase zuhause durchgeführt und nur der Therapiefortschritt in der Ambulanz kontrolliert. Bei Kindern mit hyposensiblen, großkapazitären Blasen, die eine zu geringe Miktionsfrequenz aufweisen, müssen regelmäßige Intervalle eingeführt werden, bei denen das Kind – auch ohne Harndrang zu verspüren – das WC aufsucht und die Blase entleert (“Miktion nach der Uhr”). Um die Selbstständigkeit des Kindes nicht zu beschränken, verwendet man dazu am besten eine Digitaluhr, die das Kind regelmäßig erinnert.

Take Home Message

Blasenentleerungsstörungen sind gemeinsam mit höheren Refluxgraden und verzögerter antibiotischer Therapie Risikofaktoren für die Entstehung einer akuten Pyelonephritis und persistierender Narben des Nierenparenchyms. Im Sinne einer ganzheitlichen Betrachtung des Krankheitsbildes muss gezielt nach Blasenfunktionsstörungen gesucht werden, diese müssen in die Planung des Procedere miteinbezogen und gegebenenfalls therapiert werden.