ASCO 2011: Ausgewählte Daten zum Nierenzellkarzinom

SPECTRUM Urologie: Wie beurteilen Sie die Ergebnisse der AXIS-Studie: Axitinib vs. Sorafenib als Second-Line-Therapie?

Univ.-Prof. Dr. Richard Zigeuner: In der Studie, mit dem primären Endpunkt progressionsfreies Überleben (PFS), wurden 723 Patienten mit klarzelligem, metastasiertem Nierenzellkarzinom 1 : 1 in die Behandlung mit Axitinib oder Sorafenib randomisiert. Stratifiziert wurde nach Allgemeinstatus und Art der Vortherapie (Zytokine, Sunitinib, Temsirolimus, Bevacizumab). Die Therapie erfolgte mit Sorafenib 2-mal 400 mg/Tag oder Axitinib 2-mal 5 mg/Tag, mit der Option bei guter Verträglichkeit bis auf 2-mal 10 mg/Tag zu steigern. Für die Gesamtgruppe lag das PFS bei 6,7 Monaten im Axitinib-Arm vs. 4,7 Monate im Sorafenib-Arm (HR: 0,665; p < 0,0001). Aufgeschlüsselt nach Vortherapie waren für Zytokin- und Sunitinib-vorbehandelte Patienten die Ergebnisse signifikant. Zytokine: 12,1 Monate (Axitinib) vs. 6,6 Monate (Sorafenib). Sunitinib: 4,8 Monate (Axitinib) vs. 3,4 Monate (Sorafenib). Die deutlichste Verbesserung des PFS wurde bei Patienten beobachtet, die mit Zytokinen vorbehandelt wurden. Diese Erstlinientherapie entspricht allerdings nicht mehr der gängigen Praxis. Bei Sunitinib-vorbehandelten Patienten war hingegen die Verbesserung gegenüber Sorafenib klinisch kaum bedeutsam. Die Nebenwirkungsrate von Axitinib war dabei vergleichbar jener anderer VEGF-Inhibitoren. Bei denselben Patienten wurde auch eine Erhebung der Lebensqualität vorgenommen. Alle 4 Wochen wurde die Lebensqualität anhand standardisierter Fragebögen evaluiert. Diese bezogen sich auf für diese Patienten charakteristische Beschwerden und die Leistungsfähigkeit. Aus den Antworten wurden Scores gebildet, der “functional assessment of cancer therapy kidney symptom index 15” (FSKI-15) und “disease-related symptoms” (DRS). Höhere Werte in den Scores entsprechen einer höheren Lebensqualität. Während der Therapie gab es sowohl zwischen den Behandlungsarmen als auch zu den verschiedenen Zeitpunkten keine signifikanten Unterschiede in den Scores. Es kam demnach weder zu einer Verbesserung noch zu einer Verschlechterung der Lebensqualität. Der Stellenwert von Axitinib in den derzeitigen Therapiealgorithmen, z.B. Erstlinie Sunitinib, Zweitlinie Everolimus, bleibt abzuwarten.

Zum mTOR-Inhibitor Everolimus wurde eine Interimsanalyse der CHANGE-Studie beim fortgeschrittenen Nierenzellkarzinom präsentiert. Zu welchem Ergebnis kommt diese verglichen mit der zulassungsrelevanten Phase-III-Studie RECORD-1?


In der RECORD-1-Studie mit einer relativ inhomogenen Patientengruppe (viele Patienten, die Everolimus erst in Dritt- oder Viertlinie erhielten) wurde eine mediane Zeit bis zum Fortschreiten der Erkrankung von 4,9 Monaten ermittelt. Es zeigte sich in der Subgruppenauswertung der RECORD-1-Studie, dass das PFS – beim Einsatz von Everolimus als tatsächliche Zeitlinientherapie – 5,4 Monate betrug. In der Interimsanalyse der prospektiven, nichtinterventionellen Studie CHANGE (CHarakterisierung von Afinitor Nach Gezielter Ersttherapie) wurde nun bei Patienten mit einer Everolimus-Zweitlinien-Therapie (d. h. nach Progress unter VEGF-Therapie) eine Zeit bis zum Progress von 9,7 Monaten beobachtet. Somit zeigt sich im Praxisalltag eine deutlich längere Zeit bis zur Progression als in der Zulassungsstudie.

Wurden aktuelle Ergebnisse zum oralen VEGF-1,2,3-Inhibitor Tivozanib präsentiert, und wie würden Sie diese kommentieren?

Es wurden zum einen Phase-II-Daten zu Tivozanib vs. Placebo bei Patienten mit fortgeschrittenem Nierenzell-Ca ohne vorangegangene VEGF-Therapie präsentiert; zum anderen Phase-I-Daten zur Kombinationstherapie Tivozanib + Temsirolimus.
Die Phase-II-Daten (n = 272; 83% klarzelliges RCC, 73 nephrektomiert, 46% Vortherapie) ergaben, dass in der Gesamt-Population die objektive Ansprechrate (ORR) 30%, die Krankheitskontrollrate (DCR) 85% und das mediane PFS 11,7 Monate betrugen. Patienten mit klarzelliger Tumorhistologie und vorangegangener Nephrektomie profitierten am meisten von der Therapie, mit einer ORR von 36%, einer DCR von 88 % und einem medianen PFS von 14,8 Monate. Bluthochdruck (45%) und Dysphonie (22%) waren die häufigsten Nebenwirkungen, Grad-3/4-Nebenwirkungen waren selten. Aufgrund dieser viel versprechenden Daten wird Tivozanib bei nephrektomierten Patienten mit fortgeschrittenem klarzelligem Nierenzell-Ca in einer weltweiten Phase-III-Studie (TIVO-1) evaluiert: Tivozanib vs. Sorafenib.
Die Ergebnisse werden vermutlich auf dem ASCO 2012 präsentiert. Bei der Phase-Ib-Open-Label-Dosiseskalationsstudie handelt es sich um eine Studie zur Beurteilung der Sicherheit, Verträglichkeit und maximal verträglichen Dosis (MTD) der Kombination von einmal täglich Tivozanib mit einer Dosierung von 1,5 mg/Tag (= MTD) ( 3 Wochen Therapie, 1 Woche off) + Temsirolimus (1-mal wöchentlich 25 mg i. v.). Gemäß den Studiendaten können beide Substanzen sicher in deren maximalen Dosierungen kombiniert werden. Die Kombination wurde gut vertragen. Die Häufigkeit der ungünstigen Wirkungen in der Kombination entsprach jener der Einzelverabreichung, was für eine geringe additive Toxizität spricht.

Im Rahmen des ASCO 2011 wurde eine Interimsanalyse der Phase-II-Studie BEVLiN zur Sicherheit und Wirksamkeit von Bevazicumab First-Line + niedrig dosiertes Inteferon alpha 2a bei Patienten mit metastasiertem RCC vorgestellt. Welche Erkenntnisse liefert die Studie?


Gemäß der retrospektiven Subgruppenanalyse der AVOREN-Daten profitierten Patienten, bei denen die IFN-Dosis aufgrund von zytokinbedingten Toxizitäten von initial 9 Mio. I. E. auf 6 bzw. 3 Mio. I. E. reduziert wurde, von einer deutlichen Verringerung der IFN-assoziierten Nebenwirkungen. Die Wirksamkeit der Bevacizumab+IFN-Therapie blieb dagegen erhalten. Patienten, die eine reduzierte IFN-Dosis plus Bevacizumab erhalten hatten, erzielten verglichen mit Patienten ohne Dosisreduktion ein vergleichbares PFS (12,4 Monate) und ein vergleichbares Gesamtüberleben (26 Monate). Vor diesem Hintergrund wurden in der multinationalen, einarmigen Phase-II-Studie BEVLiN der Nutzen und die Verträglichkeit einer Therapie mit Bevacizumab und initial niedrig dosiertem IFN nun erstmals prospektiv untersucht.
147 nicht vorbehandelte Patienten mit einem klarzelligen, fortgeschrittenen RCC und gutem bis mittlerem Risikoscore nach Motzer-Kriterien erhielten Bevacizumab (10 mg/kg alle 2 Wochen) + IFN in einer Dosierung von 3 Mio. I. E. dreimal wöchentlich. Die Patientencharakteristika des BEVLiN-Kollektivs waren mit denen der AVOREN-Subgruppe vergleichbar. Das Studiendesign war auf einen Cross-Trial-Vergleich mit der AVOREN-Patientensubgruppe ausgelegt, die Bevacizumab plus IFN in der vollen Dosierung von 9 Mio. I. E. erhalten hatte und ebenfalls ein niedriges bis mittleres Risiko aufwies (n = 283). Primäre Endpunkte der Studie waren das Sicherheitsprofil (IFN-assoziierte Grad-3-Nebenwirkungen) und das PFS. Gemäß der Interimsanalyse traten IFN-assoziierte Grad-3-Nebenwirkungen unter der reduzierten IFN-Dosis im BEVLiN-Kollektiv seltener auf als in der AVOREN-Kontrollgruppe. Patienten in der BEVLiN-Studie blieben im Median 14,8 Monate (vs. 10,5 Monate in der AVOREN-Subgruppe) progressionsfrei. Die Daten bestätigen damit die Ergebnisse einer früheren retrospektiven Subgruppenanalyse der AVOREN-Studie, die bereits auf einen Verträglichkeitsgewinn durch eine IFN-Dosisreduktion bei Erhalt der Wirksamkeit der Bevacizumab+IFN-Therapie hingewiesen hatte.

Wurden neue Daten zu Kombinationsstudien präsentiert?

Von der Kombination Bevacizumab + niedrig dosiertes IFN abgesehen, wurden kleinere Serien zu Kombinationsstudien mit den neueren Therapien präsentiert. Diese haben allerdings eines gemeinsam, als diese Kombinationstherapien die Kosten addieren und sich die Toxizitäten überproportional summieren, die therapeutischen Effekte aber nicht im gleichen Maß Schritt halten können. Ich denke, die Zukunft wird daher eher in der sequenziellen Therapie liegen.

War die Krebsimpfung ein Thema?

Meines Erachtens wird die Krebsimpfung in Zukunft ein Thema sein, und es laufen auch einige Studien wie etwa IMPRINT, eine globale Phase-III-Studie mit dem Impfstoff IMA901 zur Behandlung von Patienten mit metastasiertem bzw. lokal fortgeschrittenem RCC, die für eine standardmäßige Erstlinientherapie mit Sunitinib in Frage kommen. In den USA und Europa werden rund 330 Patienten an der Untersuchung teilnehmen. Der primäre Endpunkt der Phase-III-Studie ist das Gesamtüberleben von Patienten, die IMA901 in Kombination mit Sunitinib erhalten, verglichen mit der ausschließlichen Behandlung mit Sunitinib. Zudem wird in einer weiteren Analyse das Gesamtüberleben von Patienten untersucht werden, die positiv für eine vordefinierte Biomarker-Signatur sein werden. Weitere sekundäre Endpunkte beinhalten das progressionsfreie Überleben sowie die Sicherheit und Verträglichkeit. Die ersten Überlebensdaten der Studie werden voraussichtlich Ende 2013 vorliegen.
Die Vakzine wird dabei aus dem jeweiligen Nierentumorgewebe (dient als Antigen) hergestellt und dann dem Patienten verabreicht, um das Immunsystem gegen diese Tumor-Antigene zu sensibilisieren. Die Impfung ist für den jeweiligen Tumor maßgeschneidert, insofern ist es wichtig, natives Tumorgewebe zum Zeitpunkt der Operation für zukünftige Verwendungen einzufrieren. In Graz wird dies routinemäßig so gehandhabt.