Medikamentöse Therapie des metastasierten Nierenzellkarzinoms 2011

Sorafenib, Sunitinib, Temsirolimus: Im Jahre 2006 wurden auf dem Kongress der „American Society of Clinical Oncology“ (ASCO) gleich 3 Phase-III-Studien zum metastasierten Nierenzellkarzinom präsentiert. Einerseits konnte bei 903 Patienten in der TARGET-Studie von Tim Eisen et al. für Sorafenib (Nexavar®) eine Verdoppelung des progressionsfreien Überlebens (PFS) im Vergleich zu Placebo von 12 auf 24 Wochen nach vorangegangener Immuntherapie nachgewiesen werden. Andererseits wurden von Motzer et al. für Sunitinib (Sutent®) im First-Line-Ansatz im Vergleich zu Interferonalpha an 750 Patienten ebenfalls eine Verdoppelung des PFS, diesmal von 5 auf 11 Monate, gezeigt. Dieser Vorteil war quer durch alle 3 vom Memorial Sloan Kettering Cancer Center (MSKCC) definierten Risikogruppen nachweisbar. Dieses Risikoprofil, das sich ausschließlich auf bereits metastasierte Patienten bezieht, beinhaltet Parameter wie Zeit von der Erstdiagnose bis zur Therapie der metastasierten Erkrankung von unter einem Jahr, reduzierter Allgemeinzustand (gemessen mittels Karnofsky-Index oder ECOG Performance Status), erniedrigtes Hämoglobin, erhöhtes korrigiertes Serum-Kalzium und erhöhte Laktatdehydrogenase (LDH). Aus diesen wird ein Score aus 0–5 Punkten errechnet, wonach eine Einteilung in favorable, intermediate und poor risk getroffen wird. Beide Substanzen, Sunitinib und Sorafenib, sind Multi-Tyrosinkinase-Inhibitoren, die in die Signaltransduktionskaskade der Angiogenese eingreifen. Handelt es sich bei den beiden oben genannten Substanzen um orale Therapieformen, so ist der Dritte im Bunde, Temsirolimus (Torisel®), ein parenteral zu applizierendes Medikament, das von Hudes et al. in der prognostisch besonders schlechten Poor-Risk-Gruppe an über 600 Patienten im Vergleich zu Interferonalpha erprobt wurde. Dabei zeigt sich eine Verbesserung des medianen Gesamtüberlebens von 7 auf 11 Monate durch Temsirolimus. Im Gegensatz zu den zuvor beschriebenen Substanzen handelt es sich bei Temsirolimus um einen mTOR-Inhibitor.

Bevacizumab, Everolimus, Pazopanib: Auf dem ASCO-Kongress 2007 kam eine vierte Substanz ins Spiel, die in einer großen Phase-III-Studie einen positiven Effekt zeigte: Bevacizumab (Avastin®), ein Antikörper gegen den VEGF-Rezeptor und daher parenteral zu applizieren, wurde von Escudier et al. in Kombination mit Interferon-alpha versus Placebo plus Interferon-alpha als First-Line-Therapie im Rahmen der AVOREN-Studie evaluiert. 649 Patienten wurden eingebracht, es zeigte sich eine Verbesserung des medianen PFS von 7,6 auf 12,9 Monate in der Favorable-Risk- und von 4,5 auf 10 Monate in der Intermediate-Risk-Gruppe zugunsten der Avastin-Interferon-Kombination. Lediglich die Poor-Risk-Gruppe konnte von der Avastin-Therapie nicht profitieren.
Der nächste Schritt in der Entwicklung war die Etablierung des oralen mTOR-Inhibitors Everolimus (Afinitor®), der in einer Phase-III-Studie mit insgesamt 410 Patienten placebokontrolliert als Second-Line-Option nach Versagen von antiangiogenetischen Therapien platziert werden konnte. Im Vergleich zu Placebo betrug das PFS 4 Monate gegen 2 Monate. Derzeit ist Everolimus die einzige in eine Phase-III-Studie etablierte Second-Line-Therapie nach Versagen anderer Targeted Therapies.
Die 6. und bislang letzte Substanz, die es in die Zulassung geschafft hat, ist wiederum ein Tyrosinkinaseinhibitor: Pazopanib (Votrient®) wurde in einer Phase-III-Studie im Vergleich zu Placebo getestet. Pazopanib zeigte ein PFS von 9 Monaten, verglichen mit 4 Monaten in der Placebo-Gruppe. Die Studie beinhaltete sowohl unbehandelte First-Line-Patienten als auch Zytokin-Versager.
Somit stehen zusammengefasst derzeit sechs zugelassene Substanzen bzw. Therapieoptionen zur Verfügung. In der First- Line-Therapie haben Patienten mit gutem und intermediärem Risikoprofil, die zusammen etwa 90 % der metastasierten Nierenzellkarzinompatienten umfassen, drei Optionen: Sunitinib, Bevacizumab kombiniert mit Interferon-alpha sowie Pazopanib. Für die kleine Gruppe der Poor-Risk-Patienten, also die verbleibenden etwa 10 %, ist Temsirolimus die etablierte Therapie. In der Second-Line-Therapie stehen Sorafenib – allerdings nur nach vorangegangenem Zytokin-Versagen – sowie Everolimus nach Versagen einer antiangiogenetischen Therapie zur Verfügung.

Warum PFS und nicht Gesamt-Überleben?

Das Grundproblem trotz aller Fortschritte besteht darin, dass das Nierenzellkarzinom auch in der Ära der Targeted Therapies weiterhin eine unheilbare Erkrankung bleibt. Aus oben genannten Daten ergibt sich, dass es nach Ablauf des PFS folgerichtig zur Progression kommen muss. Ein evidenzbasierter Einsatz der genannten Substanzen ist, wie oben ersichtlich, nur in der ersten und zweiten Therapielinie möglich. Ab der dritten Linie bewegt man sich abseits der Evidenz, die jedoch für die Betroffenen nicht im Vordergrund steht.
Sie werden sich fragen, warum immer nur vom PFS die Rede ist, und nicht vom Gesamtüberleben, das letztlich für die betroffenen Patienten das einzig Entscheidende ist? Dies hat verschiedene Ursachen: Zum einen muss heute jede prospektiv randomisierte Studie eines onkologischen Präparates ein Cross-over-Design aufweisen. Das bedeutet, dass jeder Patient, der in der Kontrollgruppe einen Progress erleidet, automatisch die zu erprobende Therapie erhält. Zum anderen werden Patienten, die in der Verum-Gruppe progredient werden, dann aus der Studie genommen und anschließend oftmals mit einer anderen Substanz außerhalb von Studien und abseits evidenzbasierter Datenlage weiterbehandelt, weil einfach ein verständlicher Therapiewunsch vorhanden ist. Diese multiplen sequenziellen Therapieansätze beeinflussen additiv das Gesamtüberleben so, dass dieses letztlich keiner Einzelsubstanz mehr zugeordnet werden kann, sondern aus der Summe der multimodalen Therapie resultiert. Aus oben genannten Gründen ergibt sich, dass ein Überlebensvorteil nur durch indirekte Vergleiche mit historischen Kollektiven vor Einführung der neuen Therapien möglich, aber eben darum nur bedingt interpretierbar ist. Lag das mediane Überleben von Patienten mit metastasiertem Nierenzellkarzinom historisch bei unter einem Jahr, konnte es durch die Immuntherapie um bescheidene 3 Monate auf 14–15 Monate gehoben werden. Hierzu trägt allerdings auch bei, dass in 2 großen randomisierten Studien noch zur Zeit der Zytokin-Ära alleine die Resektion des Primärtumors bei bereits metastasierten Patienten bereits eine Verbesserung des Überlebens von einigen Monaten gezeigt werden konnte. Seit Einführung der neuen Substanzen dürfte nach vorsichtigen Schätzungen und unter Berücksichtigung oben genannter Faktoren auch unter Zuhilfenahme sequenzieller und multimodaler Therapieansätze das mediane Gesamtüberleben in einem Bereich von 2 Jahren, vielleicht auch darüber liegen. Subgruppenanalysen aus der AVORENStudie konnten zeigen, dass Patienten, die nach Versagen von Avastin/Interferon weitere Therapien mit Sunitinib oder Sorafenib erhielten, ein medianes Gesamtüberleben von 30 bis 43 Monaten, je nach Subgruppe, aufwiesen. Dies ist zwar von der Vision einer Heilung oder auch Überführung in eine chronische, nicht tödliche Erkrankung noch weit entfernt, aber immerhin ein Fortschritt, der noch vor wenigen Jahren undenkbar schien. Einschränkend zu diesen Daten muss gesagt werden, dass bei diesen Analysen die prognostisch günstigsten Patienten herausselektioniert werden, da diejenigen, die es nicht über die erste Therapielinie hinaus schaffen, hier nicht mehr dabei sind.

Nun, bekanntlich gibt es kein Licht ohne Schatten: Wo eine Wirkung, da auch Nebenwirkungen. Die Angiogenese, von Metastasen aufgrund des eigenen Bedarfs hochreguliert, um die proliferierenden Tumorzellen ernähren zu können, spielt auch unter physiologischen Bedingungen im Organismus eine Rolle, woraus sich zum Teil das Nebenwirkungsprofil erklärt. Eine Grad-3–4-Toxizität, die zu stationärer Behandlung oder gar zu Dauerschäden oder Tod durch die Therapie führt, ist zwar bei den genannten Substanzen selten, jedoch gibt es eine nicht unerhebliche Toxizität, die die Lebensqualität nicht selten auch beeinträchtigt. Das Hand-Fuß-Syndrom, charakterisiert durch mitunter auch schmerzhafte Blasenbildungen an Handflächen und Fußsohlen, zwingt nicht selten zu Dosisreduktion oder vorübergehender Therapiepause. Hypertonie und Diarrhoe sowie auch Verschlechterung bestehender kardiovaskulärer Erkrankungen werden ebenfalls typischerweise beobachtet. Daher sollten diese Therapien bei Patienten mit ausgeprägter kardiovaskulärer Komorbidität nicht angewandt werden. Generell sollte vor Therapiebeginn eine kardiologische Abklärung erfolgen, da es auch bei bisher kardial asymptomatischen Patienten zu koronaren Komplikationen kommen kann. Ebenso ist bei Gerinnungsstörungen sowie unter oraler Antikoagulation aufgrund des erhöhten Blutungsrisikos Vorsicht geboten. Eine für Sunitinib typische Nebenwirkung ist die Entwicklung einer Hypothyreose. Diese hat sich allerdings als Surrogatmarker für das Ansprechen auf die Therapie etabliert: Es konnte in mehreren Serien gezeigt werden, dass Patienten, die unter Sunitinib eine Hypothyreose entwickeln, ein besseres Überleben aufweisen. Aus den genannten Gründen erfordern diese neuen Therapien engmaschige interdisziplinäre Kontrollen, speziell in der Initialphase der Behandlung.

Weiterentwicklung

Nun ist die Entwicklung keineswegs abgeschlossen: Mehrere Phase-III-Studien zu verschiedenen sequenziellen Therapien, Zweit- und Drittlinientherapien sowie auch zur adjuvanten Therapie rekrutieren gerade bzw. sind auch zum Teil bereits geschlossen. Die nächste Substanz, die mutmaßlich den Weg in die Zulassung schaffen wird, ist Axitinib, ein Tyrosinkinaseinhibitor, der in der Zweitlinie nach Versagen von Sunitinib im Vergleich zu Sorafenib getestet wurde. Eine Pressemitteilung wurde kolportiert, wonach das Ergebnis der Studie positiv sei, genaue Daten werden auf dem ASCOKongress 2011 vorgestellt.
In Summe ist für die Zukunft noch eine Fülle an Daten zu erwarten. Ob diese mehr Klarheit bringen oder die Datenlage ob der Fülle immer unübersichtlicher wird, bleibt abzuwarten.