Personalisierte Medizin in der Hämatologie – die Zukunft hat schon begonnen, bringt aber auch neue Herausforderungen

Bislang wurde bei vielen onkologischen Erkrankungen des Blutes und der Lymphdrüsen eine komplette Heilung unter Anwendung von nebenwirkungsreichen Chemotherapien angestrebt. Heute werden innovative Therapien in Tablettenform zur Langzeitbehandlung von Krebserkrankungen entwickelt. Heilung durch diese neuen Therapien ist bei vielen Erkrankungen natürlich das wichtigste Ziel. Andererseits kann das Therapieziel für manche Erkrankungen mit einer primären Verbesserung der Lebensqualität und Erhaltung der Arbeitsfähigkeit bei gleichzeitiger guter Krankheitskontrolle neu definiert werden. Die Hämatologie hat gegenüber der Onkologie, dem breiten Spektrum solider Tumoren, den Vorteil, dass die Zellen des Blutes und des Knochenmarkes gut zugänglich sind. Daher wird die genetische und molekularbiologische Diagnostik besonders in der Hämatologie entwickelt und vorangetrieben. So wurde die erste Leukämie bereits im Jahr 2007 komplett durchsequenziert. Mittlerweile ist es schon wissenschaftliche Routine geworden, das Genom verschiedener Leukämien zu sequenzieren und daraus Informationen zu gewinnen, welche Subgruppen sich hinter der jeweiligen Leukämie tatsächlich verbergen. Diese verfeinerte Diagnostik wird zunehmend dazu dienen, die Auswahl der Therapie zu steuern. Denn parallel zu den wachsenden diagnostischen Erkenntnissen steigt auch die Zahl an Medikamenten, die jene genetischen Veränderungen (z. B. Mutationen), die mit den verschiedenen Subtypen von Leukämien und Lymphomen assoziiert sind, gezielt angreifen. Neben der Identifizierung der für das Tumorwachstum verantwortlichen Mutationen ist es notwendig herauszufinden, welche der vielen zielgerichteten Medikamente – in nächster Zukunft werden 50 bis 100 neue Präparate verfügbar sein – exakt gegen die jeweiligen Mutationen wirken, um diese entsprechend selektiv einzusetzen. Dafür ist die Entwicklung elektronischer Tools erforderlich, die die Vielzahl an Daten aus der Sequenzierung auswerten und dem Arzt die therapierelevanten Informationen für den individuellen Patienten liefern.

Höhere Studienstandards: Heute wird akzeptiert, dass ein Medikament bei einem Leukämierückfall eine Remissionsrate von 30 % erzeugt. Das heißt umgekehrt, dass 70 % der an einer solchen Studie teilnehmenden Patienten nicht ansprechen werden. Wenn man die Wirkung eines Medikaments besser vorhersagen kann, wird die Anforderung bezüglich der Ansprechrate steigen – vielleicht auf 60 %. Diese Entwicklung wird auf die Zulassung von Medikamenten massive Auswirkungen haben.

Ökonomische Auswirkungen: Vor dem Hintergrund, dass bereits eine einzelne zielgerichtete neue Therapie monatliche Kosten von ca. 4.000 Euro verursacht und möglicherweise mehrere Medikamente für einen Patienten erforderlich sein werden, wird eine solche Behandlung sicher teurer sein als jene mit Chemotherapie. Auf lange Sicht und gesamtökonomisch betrachtet könnte sich dies jedoch aus verschiedenen Gründen rechnen: Die zielgerichtete neue Therapie kann zu Hause in Tablettenform eingenommen werden, der Patient muß sich nicht mehr wie bei einem Chemotherapiezyklus jedes Mal bis zu drei Wochen im Krankenhaus aufhalten. Darüber hinaus können die Patienten rasch in den Arbeitsprozess eingegliedert werden und eine gute Lebensqualität haben, was mit Chemotherapie kaum zu erreichen ist. Um jeden Betroffenen diese neuen Medikamente zur Verfügung stellen zu können, werden alle im Gesundheitswesen beteiligten Partner aufeinander zugehen müssen. Die Politik ist hier gefordert, gemeinsam mit der Pharmaindustrie sinnvolle Verhandlungen und Kompromisse zu suchen.