Die neue „Blaulicht-Anästhesie“

Bereits 1939 wurde erstmals die anästhetische Wirkung von Xenon identifiziert. 1951 gelang die erste Operation unter Xenon. Gewonnen wird es im Linde-Verfahren durch fraktionierte Destillation von Luft. Der „Listenpreis“ liegt derzeit bei rund 20 Euro pro Liter. Die Barmherzigen Brüder in Wien haben bereits 2011 den ersten Eingriff unter Xenon-Narkose durchgeführt – eine Art anästhesiologische Tradition, da der Ordensbruder Dr. Coelestin Opitz im 19. Jahrhundert Österreichs erste Äther-Vollnarkose durchgeführt hatte. Mit dem Einsatz der hoch innovativen Methode setzt sich die Vorreitertradition fort. Ein Resümee nach rund einem Jahr Erfahrung zieht die Leiterin der Abteilung für Anästhesiologie und Schmerzmedizin, Univ.-Prof. Dr. Astrid Chiari.

Warum ist Xenon als Narkosegas besonders geeignet?

Es ist ein farb- und geruchloses Gas, nicht brennbar, ungiftig, schwerer als Luft und völlig umweltfreundlich, da es ja ein natürlich vorkommendes Gas ist. Somit gibt es keinen Treibhauseffekt oder dergleichen. Es handelt sich eher um eine teure Methode. Um Kosten zu sparen, wird Xenon allerdings aus der Ausatemluft des Patienten wieder zurückgewonnen und rezirkuliert.

Wo liegt der Nutzen auf der Patientenseite?

Xenon ist extrem gut steuerbar, es kommt so gut wie zu keinem Nachschlaf. Die Patienten sind unmittelbar nach Ende der Narkose sofort wieder ansprechbar. Beeindruckend ist auch das hohe Maß an hämodynamischer Stabilität während der Operation. Es kommt praktisch zu keiner negativen Beeinflussung der linksventrikulären Herzleistung, also des Blutflusses in Richtung Organismus. Damit verbunden ist eine auffällig hohe Stabilität des Blutdruckes. Nicht selten kommt es während einer herkömmlichen Narkose in Bezug auf den Blutdruck zu einer Art „Hochschaubahnfahrt“ der Blutdruckwerte. Das ist unter Xenon nicht der Fall.

Ist das nicht besonders nützlich für Patienten mit Herzvorerkrankungen?

Da ist das letzte Wort sicher noch nicht gesprochen und es laufen unzählige Studien. Faktum ist, dass Deutschland den Einsatz 2005 an Patienten mit ASA-Klasse I-III zugelassen hat. Österreich ­erlaubt das – analog zur EMEA-Registrierung 2007 – nur bis Klasse II. Im Zuge wissenschaftlicher Untersuchungen ist es uns aber möglich, auch ASA-III-Patienten mit Xenon zu narkotisieren.

Wann entscheiden Sie sich für eine Xenon-Anästhesie?

In unserem Haus definieren wir als Mindestanforderung eine Schnitt-Naht-Zeit von 2,5 bis 3 Stunden. Es wurden insgesamt bisher 80 Eingriffe durchgeführt. Im Schnitt sind es in den letzten Monaten zwei pro Woche. Derzeit vorwiegend urologische Patienten, an denen eine roboterassistierte Prostatektomie durchgeführt wird. Immer häufiger aber auch klassisch chirurgische Patienten.

Und diese Narkoseform wird allgemein gut vertragen?

Ja, sehr gut, und ich persönlich habe den Eindruck, dass das postoperative neurokognitive Defizit weniger deutlich ausgeprägt ist als bei herkömmlichen Narkosemethoden. Allerdings konnte das in Studien durch harte Daten noch nicht eindeutig belegt werden. Lediglich die postoperative Übelkeit durch die Narkose ist für jene, die dazu neigen, auch unter Xenon leider noch immer nicht Geschichte.

Bei welchen Patienten sollte man auf Xenon verzichten oder wo ist zumindest Zurückhaltung angezeigt?

Da wären zunächst qualitative Lungenfunktionsstörungen, bei denen ein hoher Sauerstoffanteil in der Luft benötigt wird. Unter Xenon-Narkose beträgt der Sauerstoffanteil 30 bis 40 %. Das ist für Menschen etwa mit schwerer respiratorischer Insuffizienz zu gering. Xenon benötigt ein anteiliges Volumen von 60 bis 70 % des inspiratorischen Gasgemisches. Hinzu kommt noch die Tatsache, dass die Dichte von Xenon höher als jene von Luft ist. Das kann bei verschiedenen Erkrankungen der Lunge durch verminderten Gasaustausch eine erschwerende Rolle spielen. Zurückhaltung würde ich weiters bei Kindern üben, da es hier ausreichend andere Optionen gibt und ich derzeit keinen zwingenden Nutzen erkenne. Keine ausreichende Zahl an Publikationen gibt es in Zusammenhang mit rechtsventrikulären Störungen, also jenen Erkrankungen, bei denen der pulmonale Widerstand eine Rolle spielt.