Gelenksersatz zwischen Skepsis und Versorgungsqualität

Die Orthopädie besteht aus der Kombination von konservativer Versorgung und operativer Behandlung der Erkrankungen des Bewegungsapparates. Ihr Hauptgebiet liegt aber in den degenerativen Gelenkerkrankungen wie der Arthrose und dazugehörigen schmerzdominierten Mobilitäts- und Funktionsstörungen. Bei vielen Krankheiten wie zum Beispiel Infektionen oder Tumoren muss oft rasch operiert werden. Anders ist es bei den degenerativen Gelenkerkrankungen, wo operative und konservative Therapien zu Verfügung stehen.
Generell wird bei Arthrose der Behandlungsduktus von der konservativen Therapie zur arthroskopischen Operation und von gelenkerhaltenden Maßnahmen bis zum Gelenksersatz verfolgt. Die Frage „konservativ oder operativ“ ist aber stets eine Nutzen-­Risikoabschätzung, die vor dem „Hintergrund evidenzbasierter Medizin getroffen werden muss“, meint Univ.-Prof. Dr. Stefan Nehrer, Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Ortho­pädie (ÖGO). „Selbstverständlich gibt es Kriterien und Parameter, die einkalkuliert gehören. So hängt die Entscheidung zur Operation von mehreren Faktoren ab, etwa von Alter, Mobilität, Schmerzgeschichte und muskulärem Zustand, aber auch von der Prognose und Progredienz der Abnützung: Ist ein Gelenk bereits komplett kaputt, sollte möglichst bald operiert werden. Bei milderen ­Stadien der Gelenkdegeneration sollte zumindest versucht werden, die konservativen Möglichkeiten auszunutzen, schließlich ist der Gelenkersatz ein großer chirurgischer Eingriff und es kommt bei jeder Wechseloperation zu Funktionsverlusten,“ so der Experte weiter.
Jede Intervention ist im ganzheitlichen Kontext zu sehen und der Schnittpunkt konservativ-operativ zugleich Schlüsselstelle in der orthopädischen Behandlung als auch Spannungsfeld, das Diskussionsstoff bietet – auch innerhalb des Fachs. Bei der 31. ÖGO-Jahrestagung werden sich die bis zu 500 Besucher unter anderem mit dieser Thematik intensiv auseinandersetzen.

Frage der Versorgungsqualität

Im europäischen Durchschnitt werden pro 100.000 Einwohner etwa 150 Prothesen eingesetzt. In Österreich sind es mit rund 280 beinahe doppelt soviel, in Deutschland sogar über 300. Während dies von den einen mit zunehmender Skepsis beobachtet wird, sprechen andere von Versorgungsqualität. Insbesondere bei der Versorgung jüngerer Patienten muss der funktionelle Aspekt im Vordergrund stehen, ist Nehrer überzeugt: „Um dies zu gewährleisten, werden immer öfter Teilprothesen eingesetzt. Das hat den Vorteil, dass die Funktionalität wesentlich höher ist und der Großteil des Gelenks normal erhalten bleibt. Außerdem kann bei der Revision immer noch die Totale operiert werden.“ Besonderen Stellenwert hat hier auch die Knorpelzelltransplantation, die beim jüngeren Patienten Knorpeldefekte wiederherstellen kann und damit vorbeugend gegen die Entwicklung einer Arthrose wirkt.

Stichwort „Fächerzusammenlegung“

Weiteren Diskussionsstoff bietet die geplante Fächerzusammenlegung von Orthopädie und Unfallchirurgie. Gespräche und Verhandlungen laufen bereits, dennoch warnt Nehrer vor einer voreiligen Zusammenführung bzw. einer reinen Übernahme der Fächer: „Wir brauchen ein neues Fach, das sich rund um den Bewegungsapparat aufbaut und von einer ganzheitlichen Sicht geprägt ist. Die Operation kann immer nur ein Teil des Ganzen sein.“ Zudem brauche es Erfahrung: „Beispielsweise auch im Hinblick auf konservative Therapien dauert es einige Zeit, bis man Patienten richtig untersucht und behandelt, besonders wenn hier Therapien aus der Osteopathie oder Manuellen Medizin angewendet werden.“
Übrigens: In Deutschland wurden die Fächer Orthopädie und Unfallchirurgie bereits zusammengeführt – und dabei einige Fehler begangen, was unter anderem in der Ausbildung zu unklaren Ausbildungsinhalten und Kompetenzproblemen geführt hat. „Die gesamte Breite von Unfallchirurgie und Orthopädie zu beherrschen, ist unmöglich“, meint der Experte. Bei der Jahrestagung spricht dazu der ehemalige Präsident der Deutschen Gesellschaft für Unfallchirurgie, Prof. Dr. Dieter Kohn. Geht es nach Nehrer, soll es in Österreich eine Basisausbildung geben, mit anschließender Möglichkeit zur Spezialisierung. In jedem Fall aber brauche es eine gute Versorgung, schließlich geht der Gesundheitsplan davon aus, dass der Bedarf an orthopädischer Leistung in den kommenden Jahren um bis zu 15 % ansteigen wird.