Gemeinsam für eine sichere Versorgung

Die Regelungen der Medizinprodukte-Verordnung (EU) 2017/745 sind sogar für damit befasste Experten überaus komplex, mitunter widersprüchlich oder nicht eindeutig formuliert. In einigen Fällen erfordert die Umsetzung der Vorgaben einen großen und manchmal auch unverhältnismäßigen Aufwand von den Unternehmen. Daher haben sich Vertreter der ­Medizinprodukte-Branche im D-A-CH-Raum – darunter auch die AUSTROMED – zu­sammen­geschlossen und ein Zehn-Punkte-Papier erar­beitet, das aus Sicht der Industrie die Standpunkte und Lösungsansätze für eine gesicherte Umsetzung der Medizinprodukte-Verordnung zusammenfasst.1

Hersteller werden sich zurückziehen müssen

Bei einem Verfahren zur Konformitätsbewertung muss der Nachweis erbracht werden, dass grundlegende Sicherheits- und Leistungsanforderungen erfüllt sind. Dieser Nachweis muss von Herstellern für ihre ­Medizinprodukte erbracht werden, gleichzeitig müssen aber auch die Benannten Stellen, die diese Konformitätsbewertung durchführen, als solche ernannt und anerkannt werden. Viele stecken daher noch immer im Benennungs- und Notifizierungsverfahren fest. Der ­Engpass bei der Zulassung potenziert sich, da durch die neuen Verordnungen mehr Produkte als bisher überhaupt ein Zulassungsverfahren durchlaufen müssen. Unternehmen müssen daher mehr Zeit und Geld investieren, um ihre Produkte auf den Markt zu bringen. Für manche innovative Produkte ist sogar zu ­befürchten, dass sie durch die geänderte Klassifizierung und die Suche nach einer Benannten Stelle den Weg auf den Markt gar nicht finden ­werden. Wenn sich europäische Hersteller dann aus dem Markt zurückziehen müssen, wird Billigprodukten aus internationalen Märkten Tür und Tor geöffnet. Dass die Verdrängung innovativer Produkte auch keine Verbesserung für ­Patienten bringt, liegt auf der Hand.
Ein Bündel an Lösungen soll aus Sicht der Industrie die Missstände beseitigen. „Dazu zählt nicht nur die Beschleunigung von Be­­nennungs- und Zertifizierungsverfahren der Be­nannten Stellen, sondern auch eine zentrale Anlaufstelle für Unternehmen, die nachweislich keine Benannte Stelle gefunden haben“, sagt Philipp Lindinger, AUSTROMED-Geschäftsführer. Gerald Gschlössl, AUSTROMED-Präsident betont, dass es für bestehende Produkte pragmatische Lösungen braucht: „Für die hier geforderten klinischen Studien finden sich kaum passende Probanden oder interessierte Prüfärzte. Förderprogramme sollen vor allem KMU bei der Durchführung klinischer Studien unterstützen und marktbegleitende Studien sollen möglich werden. Für Nischenprodukte, die nur für eine kleine Zahl an Patienten relevant sind, müssen Ausnahmeregeln gefunden werden.“

Unsicherheiten und Unklarheiten

EUDAMED, die europäische Datenbank für Medizinprodukte, wird frühestens im kommenden Jahr in Betrieb gehen. Dadurch sind ­aktuell nationale Lösungen möglich und auf lange Sicht unnötige Doppelstrukturen die Folge. Unsicherheiten und Unklarheiten aufseiten der Wirtschaftsakteure sind vorprogrammiert.
Die Pandemiejahre haben Remote-Work etabliert – ein Umstand, der auch bei künftigen Coronawellen das Weiterarbeiten möglich machen wird. Die Durchführung von Audits wurde in einem virtuellen Modus aktuell für Überwachungs-, Rezertifizierungs- und Änderungs-Audits erlaubt. Auch hier gibt es derzeit Ungleichheiten bei der Umsetzung und Auslegung in den Mitgliedsstaaten, was zu Wettbewerbsverzerrung führt.
Auch die Bereitstellung elektronischer Ge­­brauchs­anweisungen, die derzeit sehr be­grenzt möglich ist, sollte in Zeiten der fortschreitenden Digitalisierung und Nachhaltigkeitsdebatten außer Frage stehen. Fachkräfte, aber auch Verbraucher sind zu einem hohen Prozentsatz internetaffin, sodass elektronische Gebrauchsanweisungen leicht aktualisiert, rasch verfügbar und in hohem Maße anwenderfreundlich sind.
„Hersteller von Medizinprodukten können mit Freihandelszertifikaten in vielen Ländern ihre Produkte vermarkten, wenn sie schon im europäischen Markt zugelassen sind. Hersteller müssen nun für alle Produkte, die unter die MDR fallen, diese Freihandelszertifikate neu beantragen. Gerade bei Betrieben mit einem großen Produktportfolio, aber auch bei den ausstellenden Behörden führt das zu einem enormen administrativen Mehraufwand“, gibt Gschlössl Einblick in ein weiteres Detail. Auch hier ist eine rasche und transparente Lösung gefragt, die eine einheitliche Vorgehensweise und standardisierte Prozesse umfasst, um Unsicherheiten abzubauen.

Rasche Lösungen gefordert

Die vielfältigen offenen Punkte bei der Umsetzung der EU-Medizinprodukte-Verordnung (MDR) standen auch auf der offiziellen Agenda der Sitzung der Minister für Beschäftigung, Soziales, Gesundheit und Verbraucherschutz der EU-Mitgliedsstaaten Mitte Juni. „Oberstes Ziel dieser und wohl noch weiterer Bemühungen muss es sein, die medizinische Versorgung der Menschen mit sicheren und modernen Medizinprodukten kontinuierlich zu gewährleisten und den Medizinprodukte-Unter­nehmen in Europa rasch ein stabiles und wettbewerbsfähiges Umfeld zu bieten“, sind sich Gschlössl und Lindinger einig.

Die Medical Device Regulation (MDR) und die In-vitro Diagnostic Devices Regulation (IVDR) regeln das Inverkehrbringen, die Marktbereitstellung sowie die Inbetriebnahme von medizinischen Produkten und Zubehör sowie In-vitro Diagnostika.