Lebensgeschichten, geschlechtsspezifische Unterschiede und chronische Autoimmunerkrankungen

Funktionsfähigkeit im Alltag ist eine der wichtigsten Ergebnismessgrößen in der Rheumatologie. Allerdings gibt es hinsichtlich Funktionsfähigkeit im Alltag wenige Vergleiche zwischen verschiedenen rheumatischen Erkrankungen und kaum Vergleiche zwischen Frauen und Männern.

Ziel unserer Studie

Das Ziel unserer qualitativen Studie war es daher, die Funktionsfähigkeit und damit verbundene Probleme im Alltag bei verschiedenen chronischen Autoimmunerkrankungen sowie zwischen Frauen und Männern zu untersuchen und zu vergleichen. Außerdem haben wir eine so genannte „gesunde“ Kontrollgruppe befragt, die keine chronische Autoimmunerkrankung hatte.

Methode

Insgesamt wurden 75 Personen mit einer chronischen Autoimmunerkrankung, die nach entsprechenden Standardkriterien diagnostiziert wurde, zweimal befragt. Davon hatten 15 Personen rheumatoide Arthritis (RA), 15 systemische Sklerose (SSc), 15 systemischen Lupus erythematodes (SLE), 15 Morbus Crohn (CD) und 15 Diabetes Typ 1 (D). Zusätzlich haben wir 15 so genannte „gesunde“ Personen ohne chronische Autoimmunerkrankung in derselben Art und Weise befragt. Die Teilnehmer wurden gebeten, ihre Lebensgeschichte zu erzählen. Alle Interviews wurden digital aufgezeichnet, wortwörtlich transkribiert und mittels qualitativer narrativer biografischer Analyse ausgewertet. Um die Nachvollziehbarkeit der Resultate zu gewährleisten, wurden reflexive Forschungstagebücher geführt und ein großer Teil der Analyse wurde von zwei bis drei Forscherinnen gemeinsam durchgeführt.

Resultate

Funktionsfähigkeit wurde immer dann als positiv erlebt, wenn eine Balance besteht zwischen

  • herausfordernden Aktivitäten
  • Aktivitäten, die zu (sozialer) Anerkennung führen
  • körperlicher Bewegung
  • Ruhe

Diese Wahrnehmung ist nicht davon abhängig, ob jemand eine chronische Autoimmunerkrankung hat oder nicht, galt also auch für unsere gesunden Teilnehmer.

Geschlechtsspezifische Unterschiede. Dagegen wurde das populäre Konzept der „Work-Life-Balance“ nur von 9% der Teilnehmer als bedeutungsvoll erlebt. Das kann daran liegen, dass speziell Frauen, deren Aktivitäten nicht ausschließlich aus „work“ oder „life“ bestehen, Aktivitäten durchführen, die sich hier eben nicht zuordnen lassen, z.B. sich um andere Personen zu kümmern. Hier bestehen große Unterschiede zwischen Frauen und Männern, wobei Männer arbeitsbezogene Aktivitäten oft mit höchster Priorität versehen.

Resultate einer qualitativen Studie – andere Probleme. Außerdem erleben Personen mit chronischer Autoimmunerkrankung eine große Zahl an Problemen, die nicht in den üblichen Ergebnismessgrößen, wie z.B. in Fragebögen zu Alltagsfunktionen abgebildet sind. Beispiele für solche Probleme sind Schwierigkeiten bei der Kinderbetreuung, schlechtere Karrierechancen durch die Erkrankung oder Probleme durch Überkompensation, wie z.B. um zu zeigen, dass eine berufliche Karriere auch trotz der Erkrankung erfolgreich sein kann.