Ergebnisse einer österreichischen Studie – Systemische Hormondistribution unter dem levonogestrelhaltigen Intrauterinsystem

Die Mirena®-Spirale besitzt ein Reservoir mit 52 mg Levonorgestrel (LNG), aus dem täglich 15 bis 20 μg abgegeben werden. Die In-vivo-Freisetzungsrate beträgt dabei initial 20 μg/24 Stunden in das Cavum uteri und nimmt nach 5 Jahren auf ca. 11 μg/24 Stunden ab. Der vom Hersteller angegebene Anwendungszeitraum zur Kontrazeption beträgt bekanntermaßen 5 Jahre.6
Das enthaltene Steroidhormon Levonorgestrel ist ein synthetisches Gestagen der 2. Generation. Als Nortestosteron-Abkömmling besitzt es eine stark gestagene und antiöstrogene sowie eine schwach androgene Wirkung.

Studienhintergrund: Das levonorgestrelhaltige Intrauterinsys – tem (Mirena® IUS) hat sich in der Praxis aufgrund der einfachen Anwendung und des guten Nebenwirkungsprofils als zuverlässiges Kontrazeptionsmittel bewährt.1, 2 Neben der kontrazeptiven Anwendung haben sich in den letzten Jahren auch weitere Anwendungsmöglichkeiten für die Mirena® IUS eröffnet: Die Wirkungsweise von Mirena® IUS ist die lokale Suppression der Endometriumproliferation.3, 4 Dadurch können insbesondere bei idiopathischer Hypermenorrhö gute Therapieerfolge erzielt werden. Auch etwa bei Patientinnen unter reiner Östrogensubstitution findet die Mirena® Anwendung als Schutz vor Endometriumhyperplasie.
Trotz der postulierten lokalen Wirkung des IUS berichten Patientinnen mit applizierter Mirena® fallweise von systemischen Nebenwirkungen. Vor allem Akne und Hirsutismus, aber auch Depressio und Kopfschmerz zählen zu den bekannten Nebenwirkungen.5 Es ist daher anzunehmen, dass es unter applizierter Mirena® IUS auch zu einer systemischen Distribution von Levonorgestrel kommt.
Zur Klärung dieser Fragestellung wurde eine Zweicenter-Studie an der Universitätsfrauenklinik Innsbruck sowie der Abteilung für Gynäkologie und Geburtshilfe des Landeskrankenhauses Bregenz durchgeführt.

Methoden: Bei 110 Patientinnen wurden unter Mirena® LNGPlasmaspiegelmessungen zu unterschiedlichen Zeitpunkten der Mirena®-Anwendung durchgeführt. Neben Spiegelbestimmungen bei Patientinnen mit normaler Anwendungsdauer wurden auch Messungen bei Patientinnen mit prolongierter Mirena®- Anwendung vorgenommen. Der Anwendungszeitraum der Mirena® IUS im Patientenkollektiv reichte von 20 Tagen bis 11,1 Jahren.
Die quantitativen LNG-Plasmaspiegelbestimmungen wurden mit einem Flüssigkeitschromatographie/Tandemmassenspektrometrie- Assay durchgeführt. Dabei handelt es sich um einen Forschungsassay, welcher in Zusammenarbeit mit dem Zentralinstitut für medizinische und chemische Labordiagnostik der Universitätsklinik Innsbruck entwickelt wurde.7 Es ist anzumerken, dass dieser Assay intensiv validiert wurde, aber derzeit für die klinische Anwendung derzeit noch nicht zugelassen ist.

Ergebnisse: Es konnten bei allen Patientinnen mit applizierter Mirena® IUS relevante LNG-Spiegel im Blut nachgewiesen werden. Der mittlere LNG-Plasmaspiegel über das gesamte Patientenkollektiv betrug dabei 147 ± 59 pg/ml.
Des Weiteren konnte eine Abhängigkeit der Distribution vom Zeitraum der Mirena®-Anwendung demonstriert werden: Der LNG-Plasmaspiegel korreliert hochsignifikant mit der Mirena®- Liegedauer: Während im 1. Anwendungsjahr der LNG-Spiegel im Mittel noch 191 ± 71 pg/ml beträgt, sinkt dieser im weiteren Verlauf ab. Der LNG-Plasmaspiegel beträgt im 2. Jahr noch 157 ± 68 pg/ml und 134 ± 41 pg/ml im 3. Jahr. Ab dem 4. Jahr scheint sich gewissermaßen ein „steady state“ einzustellen: Im 4. und 5. Anwendungsjahr beträgt der LNG-Spiegel 150 (± 47) pg/ml respektive 141 (± 5 9) pg/ml.
Auch über den normalen Anwendungszeitraum von 5 Jahren hinaus konnten systemische LNG-Spiegel nachgewiesen werden: Im 6. Jahr beträgt der LNG-Spiegel noch 133 ± 38 pg/ml. Auch im 7. Jahr bleibt der Spiegel mit 133 ± 48 pg/ml auf einem konstanten Niveau. Selbst im 8. und den nachfolgenden Jahren besteht eine LNG-Distribution fort (117 ± 45 pg/ml). Neben der Abhängigkeit von der Mirena®-Liegedauer hängt der LNG-Plasmaspiegel noch von einem weiterem Faktor ab – dem Body Mass Index. Auch hier konnte eine hochsignifikante negative Korrelation gezeigt werden: Je größer der BMI, desto niedriger resultiert der LNG-Spiegel im Blut.

SCHLUSSFOLGERUNGEN: Zusammenfassend kann aufgrund der vorliegenden Ergebnisse gesagt werden, dass bei allen Patientinnen mit applizierter Mirena® von einer systemischen LNG-Distribution ausgegangen werden kann, auch bei jenen Patientinnen mit einer Applikationsdauer von über 5 Jahren hinaus. Diese systemische LNG-Distribution kann mitunter eine Erklärung für die bekannten systemischen Nebenwirkungen wie etwa Akne, Hirsutismus oder Depressio darstellen. Daher sollte bei Patientinnen mit bereits vorbestehender Symptomatik eine klare Risiko-Nutzen-Abwägung vor Applikation einer Mirena® IUS durchgeführt werden.
Es ist aber ganz klar festzuhalten, dass die LNG-Plasmakonzentrationen deutlich niedriger als nach anderen Applikationsformen von LNG resultieren: Die orale Einnahme einer levonorgestrelhaltigen Pille etwa resultiert in um das etwa 5–10-Fache höheren LNG-Plasmaspiegeln als unter Mirena®. Ähnliches gilt für andere Applikationsarten wie etwa das LNG-haltige Stäbchen. Nochmals wesentlich höher resultieren die Spiegel dabei nach Einnahme einer hochdosierten levonorgestrelhaltigen Notfallkontrazeption.8–10
Die vorliegenden Daten verdeutlichen zudem, dass eine systemische Wirkung der Mirena® über den kontrazeptiven Anwendungszeitraum von 5 Jahren hinaus besteht. In welchem Zusammenhang dies allerdings mit einer ausreichenden kontrazeptiven Wirkung steht, lässt sich anhand dieser Daten nicht beantworten. Daher gilt weiterhin die Empfehlung eines regelmäßigen Wechsels der Mirena® nach dem empfohlenen Zeitraum von 5 Jahren.

 

1 Andersson K., Odlind V., Rybo G.: Levonorgestrel-releasing and copper-releasing (Nova T) IUDs during five years of use: a randomized comparative trial. Contraception 1994 Jan; 49 (1):56-72

2 Sivin I., Stern J., Coutinho E., Mattos C.E. el Mahgoub S., Diaz S. et al.: Prolonged intrauterine contraception: a seven-year randomized study of the levonorgestrel 20 mcg/day (LNg 20) and the Copper T380 Ag IUDS. Contraception 1991 Nov; 44 (5):473-80

3 Xiao B.L., Zhou L.Y., Zhang X.L., Jia M.C., Luukkainen T., Allonen H.: Pharmacokinetic and pharmacodynamic studies of levonorgestrel-releasing intrauterine device. Contraception 1990 Apr; 41 (4):353-62

4 Nilsson C.G., Haukkamaa M., Vierola H., Luukkainen T.: Tissue concentrations of levonorgestrel in women using a levonorgestrel-releasing IUD. Clin Endocrinol (Oxf) 1982 Dec; 17 (6):529-36

5 Toivonen J., Luukkainen T., Allonen H.: Protective effect of intrauterine release of levonorgestrel on pelvic infection: three years’ comparative experience of levonorgestrel- and copper-releasing intrauterine devices. Obstet Gynecol 1991 Feb; 77 (2):261-4

6 arznei-telegramm Nr. 11:112`; 1997

7 Moser C., Gschliesser A., Mattle V., Wildt L., Griesmacher A., Seger C.: An ultra-sensitive online SPE-LC-MS/MS method for the quantification of levonorgestrel released from intrauterine devices. Anal Bioanal Chem 2011 Jun; 400 (8):2655-62

8 Westhoff C.L., Torgal A.H., Mayeda E.R., Pike M.C., Stanczyk F.Z.: Pharmacokinetics of a combined oral contraceptive in obese and normal-weight women. Contraception 2010 Jun; 81 (6):474-80

9 Lahteenmaki P., Suhonen S., Elomaa K.: Use of post-coital contraception in Finland is increasing. Plan Parent Eur 1995 Aug; 24 (2):13-4

10 Sivin I., Viegas O., Campodonico I., Diaz S., Pavez M., Wan L., et al.: Clinical performance of a new two-rod levonorgestrel contraceptive implant: a three-year randomized study with Norplant implants as controls. Contraception 1997 Feb; 55 (2):73-80