Aus Sicht einer Ärztin

PHARMAustria: Wie ist es Ihrer Erfahrung nach um die Gesundheitskompetenz der Menschen in Österreich bestellt?

Dr.in Susanne Steindl: Es gibt vermehrt Patient:innen, denen ich eine gute Gesundheitskompetenz attestieren würde. Informationsquellen sind insbesondere das Internet und Social Media. Für Betroffene ist es schwierig, diese (vielen und oft unterschiedlichen) Informationen richtig einzuordnen. Es gibt auch große Unterschiede zwischen den einzelnen Menschen, sowohl was die bereits vorhandene Kompetenz als auch das Interesse daran, sich Wissen anzueignen, betrifft. Der Großteil der Menschen kümmert sich meiner Ansicht nach zu wenig um ihre eigene Gesundheit, gerade im Hinblick auf Vorsorgemaßnahmen. Klarerweise kann die eigene Gesundheitskompetenz niemals die ärztliche Aufklärungspflicht oder sonstige Informationen ersetzen. Gesundheitskompetenz hängt mehr mit einer grundsätzlichen Haltung zur Information zusammen: Es ist letztlich die Zusammenschau zwischen einem guten Gesundheitsbewusstsein und der ärztlichen Aufklärung und/oder Therapie, die zu besseren Ergebnissen für die Patient:innen führt.

Warum ist aus Ihrer Sicht eine Stärkung der Gesundheitskompetenz von Bedeutung?

Wir brauchen viel mehr Prävention in Österreich, um das Voranschreiten der sogenannten Zivilisationskrankheiten aufzuhalten und die Menschen dabei zu unterstützen, gesund alt zu werden. Das würde auch das Gesundheitswesen entlasten. Daher ist die Stärkung der individuellen Gesundheitskompetenz so wichtig – nicht nur für die und den Einzelne:n, sondern auch für das gesamte System, für die ganze Gesellschaft.

Welche Maßnahmen würden Sie sich für ein „Empowern“ der Patient:innen wünschen?

Ein wesentliches Beispiel sehe ich im Bereich Lebensmittel: Hier würde ich mir wünschen, dass der Gesetzgeber verstärkt eingreift und anordnet, dass Lebensmittel (allen voran Zucker) in Bezug auf ihre gesundheitsschädigenden Auswirkungen noch klarer gekennzeichnet werden müssen. Das würde Awareness schaffen und die Menschen dabei unterstützen, mehr Eigenverantwortung zu übernehmen. Auch die Kassen sollten die Vorsorgeuntersuchungen ausweiten, das würde ebenfalls Bewusstsein schaffen. Ein kostengünstiger Punkt wäre, mehr Blutparameter in die Gesundenuntersuchung mit aufzunehmen. Ein gutes Beispiel dafür sind Mikronährstoffe (z.B. Fettsäuren), denn aus diesen Werten sind sehr viele Rückschlüsse möglich – und man könnte den Menschen anhand dieser Befunde viel über ihre Gesundheit erklären und so wiede­rum eine bessere Gesundheitskompetenz schaffen. Hier sieht man bereits einen weiteren wesentlichen Punkt, wenn wir für mehr Gesundheitskompetenz der Bevölkerung sorgen wollen: Wir Ärzt:innen brauchen mehr Zeit, um unsere Patient:innen aufklären und ausführlich informieren zu können! Auch in den Gesundheitszentren sollten kostenlose Beratungen, z.B. zu den Themen Ernährung, Bewegung etc., angeboten werden. Und selbstverständlich sollte die Stärkung der Gesundheitskompetenz bereits im Kindergarten beginnen und in der Schule fortgesetzt werden.

Was kann die Pharmaindustrie Ihrer Meinung nach zur Gesundheitskompetenz der Menschen beitragen?

Ich glaube, es geht vor allem darum, die Sichtbarkeit von Gesundheitsthemen zu verstärken, vor allem darum, sichtbar zu machen, was die Menschen selbst tun können. Dazu können alle beitragen – Gesundheitsberufe, die Politik/Gesetzgebung, Medien und auch die Pharmaindustrie. Die Patient:innen sollten sich auch bewusst sein, dass sie die Verantwortung für die eigene Gesundheit nicht an Ärzt:innen „abgeben“ können, sondern diese mithilfe der Ärzt:innen selbst in die Hand nehmen. Doch diese Selbstverantwortung kann man nicht einfach erwarten, sondern man muss Bewusstsein und Wissen erst aufbauen. Und das möglichst schnell, denn z.B. Diabetes Typ 2 ist bereits jetzt vergleichbar mit einer Pandemie. Daher brauchen wir als Gesellschaft eine Strategie, wie wir eine Selbstermächtigung der Menschen im Hinblick auf ihre eigene Gesundheit erreichen können, damit in der Folge jede:r Einzelne eine eigene Strategie für seine bzw. ihre Gesundheit entwickeln und umsetzen kann.

Vielen Dank für das Gespräch!