Social Media im Pharma-Kommunikationsmix

Nach einem eher zögerlichen Beginn sind Social Media nun auch im Kommunikationsmix der Pharmaunternehmen angekommen. Schließlich werden Social Media mittlerweile von rund 7 Millionen Menschen in Österreich genutzt, dabei von vielen täglich bzw. sogar mehrmals täglich. Zudem sind Social Media für eine breite Palette an ­Kommunikationsthemen einsetzbar, u.a. für Unternehmensinformation, Reputationsmanagement, Awareness und Prävention, allgemeine Gesundheitsinformationen und – im rezeptfreien Bereich – auch für Produktinformationen. „Prinzipiell können alle Social-­Media-Plattformen für jede Art von Gesundheitskommunikation genutzt werden. Wichtig ist, dass man sich vor Augen hält, dass jede ihre eigenen Regeln und eigenen Zielgruppen hat. Gesundheitskommunikation auf TikTok boomt seit 2019/2020, speziell im asiatischen Raum“, erläutert Mag. Wolfgang Kühnelt, Institut für Journalismus und Digitale Medien, FH JOANNEUM in Graz. Dort plant man einen „Masterlehrgang für Digitale Gesundheitskommunikation“ ab Herbst 2024.

Zielgruppe entscheidend für Plattformwahl

„Trotz allem sollte man Social Media und ihre Bedeutung im Kommunikationsmix aber nicht überschätzen. Die klassischen Medien sind nach wie vor sehr stark“, unterstreicht Michael Mehler, Geschäftsführer der ghost.company, einer Werbeagentur, die schon viele Kampagnen für Pharmaunternehmen umgesetzt hat. „Markenaufbau rein über Social Media funktioniert beispielsweise nicht, dafür brauchen wir nach wie vor auch Print, Rundfunk, Bewegtbild inkl. TV, Plakat und Direct Marketing. Allerdings darf man nicht vergessen, dass die jüngeren Zielgruppen fast nur noch auf Social Media unterwegs sind und die klassischen Medien deutlicher weniger nutzen als ältere Personen. Das heißt, die Wahl der Kanäle im Kommunikationsmix ist klar zielgruppenabhängig“, so Mehler weiter.

Auch Markus Zimmer, Geschäftsführer von BuzzValue – New Media Research, einem auf Social-Media-Marktforschung spezialisierten Unternehmen, hält Social Media für ein zielführendes und kosteneffizientes Kommunikationswerkzeug. Er betont, dass jede Social-Media-Plattform unterschiedlich funktioniere, andere Zielgruppen erreiche und daher eine individuelle Strategie erfordere.

Die Benefits der verschiedenen Social-Media-Plattformen

Social Media haben also bereits einen festen Platz im Kommunikationsmix, ersetzen die alten Kanäle aber keineswegs, sondern stellen eine Erweiterung dar. Zudem tickt nicht jede Social-Media-Plattform gleich. Doch wie wählt man aus, welches soziale Medium genutzt werden soll? „Als Sender muss man als Erstes überlegen, welche Zielgruppe mich interessiert und auf welchen Social Media diese unterwegs ist. Dann gilt es, sinnvollen Content für diese Zielgruppe und den jeweiligen Social-Media-Kanal zu produzieren“, so Kühnelt. Natürlich könne man Content auch je nach Plattform adaptieren, erklärt er weiter, doch eine plattformspezifische Aufbereitung brauche es trotzdem: „1:1 zu übernehmen ist keine gute Idee, das mögen die Algorithmen nicht und die User:innen meistens auch nicht.“

Auch Zimmer ist davon überzeugt, dass die Wahl der Social-Media-Plattform der Zielgruppe und dem Thema entsprechend er­folgen sollte. „Die erste Frage ist, wen ich ­erreichen möchte. Die zweite, was ich kommunizieren möchte. Und dann muss ich mir noch überlegen, welche Ressourcen und Kompetenzen ich habe.“

Wo ist meine Zielgruppe unterwegs?

Bei der Entscheidung, welche Social-Media-Plattform man auswählt, ist das Alter ein wichtiges Kriterium. „Die Altersgruppe der unter 38-Jährigen findet man eher weniger auf Facebook; LinkedIn ist mehr für Menschen mit akademischem Background und ab 20 Jahren interessant. Für unter 25-Jährige sind Instagram, TikTok, Snapchat etc. von Bedeutung. Auch Pinterest kann für eine bestimmte Zielgruppe relevant sein, hier findet allerdings eher weniger Dialog statt“, erklärt Kühnelt. Um sich in seine Zielgruppe hineinzuversetzen, empfiehlt er als ersten Schritt, beispielsweise Persona zu bilden. „Anschließend muss ich mich fragen: Was ist meine Botschaft? Dies führt zu der Entscheidung, welche Social-Media-Plattform die passende ist“, so Kühnelt.

Auch Mehler hält nach der jeweiligen Zielgruppe das Thema für das ausschlaggebende Kriterium bei der Entscheidung: „Generell sind Facebook und Instagram immer eine gute Mischung, mit der ich eine breite Zielgruppe erreiche. Wenn eher die junge Generation erreicht werden soll, kann TikTok relevant sein. YouTube geht eigentlich immer und sollte bei der Social-Media-Auswahl nicht vergessen werden.“

Besonderheiten der verschiedenen Plattformen

Facebook: Diese Plattform wurde oft schon totgeredet, aber „Facebook ist lebendiger und aktiver, als man meint. Schließlich ist es nach wie vor das mit Abstand größte Social-Media-Netzwerk mit über 5 Millionen User:innen in Österreich“, so Zimmer. Altersmäßig findet man auf Facebook vor allem Personen über 30 Jahren. Jüngere User:innen kommen hier weniger nach, dafür sind aber auch ältere Zielgruppen stark auf Facebook vertreten. „Ein Spezifikum dieser Plattform ist, dass Facebook mehr und mehr werbegetrieben ist. Meta will Geld verdienen, daher ist organische Reichweite kaum noch möglich. Nur rund 5–10% meiner ,Fans‘ sehen meine Facebook-Beiträge überhaupt noch. Das heißt, wer mehr Menschen erreichen will, muss zahlen“, ergänzt Zimmer.

Instagram: knapp 4 Millionen User:innen in Österreich, eher jüngeres Publikum. „Die jungen Erwachsenen ab 25 Jahren sind hier gut zu erreichen, jüngere eher auf TikTok“, so Zimmer.

TikTok: über 2,1 Millionen User:innen in Österreich, sehr junge Zielgruppe, aber: „Auf TikTok sind längst nicht mehr nur Teenager unterwegs, sondern auch zunehmend junge Erwachsene“, berichtet Zimmer.

YouTube: 5,5 Millionen User:innen in Österreich. Besonderheit: „YouTube ist wenig Social, aber sehr viel Media“, so Zimmer weiter. Soll heißen: Interaktion findet hier wenig statt, aber Videos punkten nach wie vor auf dieser Plattform. Zimmer: „Videospots auf YouTube zu schalten macht daher absolut Sinn. Aber Viralität erreicht man dort nicht mehr, daher ziehen sich auch manche Unternehmen aus YouTube zurück.“

LinkedIn: 2,2 Millionen User:innen in Österreich. „LinkedIn ist mittlerweile mehr als ein reines Businessnetzwerk, auch wenn typische Berufsthemen – z.B. Networking und Recruiting – dort nach wie vor stark vertreten sind. Auch Corporate Communication und die Information der eigenen Mitarbeiter:innen funktionieren gut über LinkedIn. Corporate Influencer sind dort aktuell ein großes Thema, denn auch auf LinkedIn gilt: Faces before places, d.h. Menschen vor Unternehmen! Daher kann ein Corporate Influencer mit seinem LinkedIn-Profil teilweise eine größere Reichweite als die Unternehmensseite erreichen“, erklärt Zimmer. Klassische Produktthemen sieht man auf Linked­In hingegen weniger.

X (vormals Twitter): Mit 150.000 aktiven User:innen in Österreich eine eher kleine Social-Media-Plattform. „X ist sehr journalistisch aufgebaut. Es hat zwar selbst eine geringere Reichweite, streut aber seine Informationen in andere Kanäle hinein. Das heißt, was heute auf X steht, kann morgen in der Kronenzeitung stehen. Die Zukunft von X ist aber – speziell seit der Übernahme durch Elon Musk – ungewiss und hängt auch davon ab, w
ie dieser die Plattform weiter verändern wird“, erläutert Zimmer.

Erfahrungsbericht einer ­Gesundheitsinfluencerin

Influencer spielen auf Social Media ebenfalls eine wichtige Rolle, auch im Gesundheitsbereich. Samira Mousa ist eine deutsche Influencerin und Bloggerin, die im Bereich Multi­ple Sklerose aktiv ist. Sie hat auch schon mit Pharmaunternehmen zusammengearbeitet. Unter anderem betreibt sie den Blog „Chronisch fabelhaft“ und ist zudem natürlich auf Social Media unterwegs: „Am aktivsten bin ich derzeit auf Instagram, wo ich täglich poste. Außerdem nutze ich YouTube und Facebook. TikTok ist für mich zwar immer wieder ein Thema, aber bisher bin ich dort noch nicht vertreten. Dabei ist mir durchaus bewusst, dass Gesundheitscontent nicht nur auf Instagram, sondern auch auf TikTok immer weiter zunimmt. Aber derzeit erreiche ich meine jüngere Zielgruppe noch sehr gut über Instagram, für die über 50-Jährigen ist Facebook die passende Plattform.“

Der Content ihrer Posts hat sich in den letzten Jahren durchaus verändert: „Auf Instagram poste ich zunehmend mehr Videos, nicht mehr nur Fotos und Text. Daher ist auch das Zeitvolumen, das ich für die Content-Produktion einsetze, größer geworden, denn ansprechende Videos sind gar nicht so einfach zu produzieren. Wichtig ist, aktuelle Trends zu berücksichtigen und Themen aufzugreifen, die für meine Zielgruppe gerade besonders interessant sind. Bei mir geht es viel um mentale Gesundheit bei MS, um Resilienz und darum, seinen Frieden zu finden, auch wenn man eine chronische Erkrankung hat. Ich denke, genau das ist es, was die Menschen auf Social Media suchen: eine Stimme, die ihnen aus der Seele spricht“, so Mousa.

Damit die Beiträge auf den Social-Media-Plattformen erfolgreich sind, ist es wichtig, dass viel Dialog stattfindet – das liebt der Algorithmus, weiß die Influencerin aus der Praxis: „Also ‚posten und ghosten‘ ist das Schlimmste, was man machen kann. Daher verwende ich viele Stunden pro Woche für die Interaktion mit den User:innen auf Social Media.“

Ein wichtiges Thema für Pharmaunternehmen auf Social Media sind die Information von ­Patient:innen bzw. entsprechende Präventions- und Awarenesskampagnen. Mousa, selbst MS-Betroffene, rät Pharmaunternehmen, sich vorher mit Betroffenen auszutauschen: „Ich stelle immer noch fest, dass Pharmaunternehmen oft nicht so viel Verständnis für Patient:innen mitbringen, wie wir Betroffene uns das wünschen würden. Gesunde Menschen machen dann Kommunikation für kranke Menschen – das hat manchmal einen unangenehmen Beigeschmack. Daher halte ich es für extrem wichtig, dass die Betroffenen zunächst selbst gehört werden und Inputs einbringen können – das führt zu einer authentischeren Kommunikation und zeugt auch von mehr Wertschätzung.“

Aus ärztlicher Sicht

Dr.in Tandis Parvizi ist Neurologin an der Universitätsklinik für Neurologie der MedUni Wien. Sie beobachtet, dass einige Pharmaunternehmen bereits Social Media als Kommunikationskanal zu Patient:innen einsetzen, um über Themeninhalte wie Gesundheitsförderung und Prävention zu informieren. Eigentlich ein fast logischer Schritt aufgrund der hohen Präsenz von Social Media in unserem täglichen Leben, findet sie. „Und natürlich erreichen diese Firmen über ihre Social-Media-Accounts, z.B. Facebook, Instagram oder LinkedIn, auch Ärzt:innen.“ Ob Unternehmen in Zukunft separate Gruppen bzw. Seiten speziell für Ärzt:innen auf diesen Plattformen anbieten werden, bleibt abzuwarten. Für die ältere Ärztegeneration hält Parvizi dies eher für weniger relevant, doch „vor allem für jüngere Generationen hat die Nutzung von Social Media bereits einen größeren Stellenwert eingenommen und dies wird sich in Zukunft noch weiter verändern. Die zukünftigen Ärzt:innen werden noch stärker auf Social Media aktiv sein, daher werden diese in der Ärztekommunikation an Bedeutung gewinnen.“

Für Parvizi sind die entscheidenden Aspekte bei der Kommunikation zwischen Pharmaunternehmen und Ärzt:innen über Social Media, was die Firmen erreichen möchten und welche Inhalte transportiert werden sollen. „Beiträge zu neuen Wirkstoffen und zu Studien, aber auch Informationen hinsichtlich Patientenschulungen sowie Ansprechpartner:innen für Patient:innen – das sind Themen, die meiner Ansicht nach über Social Media gut kommuniziert werden können. Wichtig ist dabei, dass die Inhalte kurz, prägnant, visuell übersichtlich sowie ansprechend aufbereitet werden“, betont sie abschließend.