Chemotherapie, VEGF- und EGFR-gerichtete Therapien – Therapie des metastasierten Kolorektalkarzinoms

Chemotherapie

Verbesserung der Lebensqualität, Lebenszeitgewinn: Die wirksamsten Chemotherapien sind 5-Fluorouracil (5-FU), das bereits seit mehr als 30 Jahren im Einsatz steht, sowie die neueren Substanzen Irinotecan (CPT-11), Oxaliplatin und Capecitabin, ein oral verfügbares 5-FU.

5-Fluorouracil

Studien aus den 1990er Jahren zeigen einen deutlichen Vorteil für eine chemotherapeutische Behandlung (5-FU) gegenüber alleiniger supportiver Therapie sowohl im Sinne einer Lebenszeitverlängerung als auch einer verbesserten Lebensqualität1. Dies ist insbesondere bei Patienten mit Therapieansprechen nachgewiesen. 5-FU fungiert heute als Basiskombinationspartner jeglicher Erstlinien- Chemotherapie beim metastasierten Kolorektalkarzinom. Folinsäure wird der intravenösen Gabe von 5-FU vorangestellt, da dadurch eine wirkungsverstärkende Biomodulation von 5-FU erzielt wird. Das früher häufiger verwendete Bolusregime (z. B. Mayo-Schema) wurde aufgrund vermehrt beobachteter Nebenwirkungen wie Mukositis und Knochenmarkdepression zusehends durch kontinuierlich intravenös verabreichtes 5-FU abgelöst. Damit wurden bei identer Wirksamkeit deutlich weniger Nebenwirkungen hervorgerufen. Für kontinuierlich zu applizierendes 5-FU ist jedoch die Anlage eines Port-a-Cath-Systems Voraussetzung.

Orale 5-FU-Prodrugs

Eine Weiterentwicklung stellen Capecitabin und UFT als orale Prodrugs von 5-FU dar, die nach oraler Einnahme präferentiell in die Tumorzellen aufgenommen und dort zum aktiven Wirkstoff umgewandelt werden. Capecitabin besitzt im Vergleich zum intravenös verabreichten 5-FU (Bolus) die gleiche Wirkstärke und kann mit allen anderen aktiven Substanzen kombiniert werden. Die Verträglichkeit ist mit signifikant weniger Stomatitiden, Diarrhoen, Nausea, Alopezie und febrilen Neutropenien deutlich besser. Capecitabin verursacht als Hauptnebenwirkung das sog. Hand-Fuß-Syndrom und Diarrhoen2.
UFT ist eine Kombination aus Tegafur, Uracil und oraler Folinsäure und stellt ebenfalls eine 5-FU-Prodrug dar. In zwei randomisierten Phase-III-Studien3, 4. zeigte sich bezüglich des Gesamtüberlebens und des Ansprechens kein Unterschied zwischen UFT und infusionalem 5-FU.

Irinotecan

Irinotecan (CPT-11) ist ein semisynthetisch hergestelltes Camptothecin-Derivat, dessen Zytotoxizität auf der Inhibition des Enzyms Topoisomerase I basiert. In drei Vergleichsstudien von FU/LV mit oder ohne Irinotecan fanden sich Ansprechraten zwischen 39 und 54 % und mediane Überlebenszeiten von 14,8– 20,1 Monaten, jeweils eindeutig zugunsten der Irinotecan-Kombination5. Therapieassoziierte Nebenwirkungen wie die protrahierte Diarrhoe erwiesen sich bei der Verwendung von Irinotecan in Kombination mit einer kontinuierlichen FU/LV-Therapie weitgehend unproblematischer als in der Kombination mit FU/LVBolus. Im direkten Vergleich mit Oxaliplatin zeigte sich In einer randomisierten Phase-III-Studie, dass die Sequenzen FOLFIRI gefolgt von FOLFOX (bei Progredienz der Erkrankung) bzw. umgekehrt FOLFOX gefolgt von FOLFIRI (bei Progredienz der Erkrankung) idente Ergebnisse im Gesamt- und krankheitsfreien Überleben erreichen6.

Oxaliplatin

Oxaliplatin ist ein Diaminocyclohexan- Platinum-Komplex, der seine zytotoxische Wirkung als Alkylans entfaltet. Besonders attraktiv erscheint diese Substanz aufgrund ihres offensichtlichen Wirkungssynergismus mit FU/LV. In einer großen Phase-III-Studie (Goldberg et al., JCO 20047) wurden Patienten mit FOLFOX (5-FU als Infusion, Folinsäure, Oxaliplatin), IFL (Irinotecan, Bolus-5-FU, Folinsäure) oder IROX (Bolus-Irinotecan, Oxaliplatin) als Erstlinientherapie behandelt. Das mediane Gesamtüberleben und die mediane Dauer bis zur Krankheitsprogression waren mit FOLFOX (19,5 Monate bzw. 8,7 Monate) jeweils signifikant besser als mit IFL (15,0 Monate bzw. 6,9 Monate: p < 0,001 für beide Parameter) oder IROX (17,4 Monate bzw. 6,5 Monate; p < 0,001 für beide Parameter). Die Frage, ob in der Erstlinientherapie des metastasierten Kolorektalkarzinoms die Oxaliplatin- oder die Irinotecan- Kombination mit 5-FU/LV bevorzugt werden sollte, wurde, wie bereits oben erwähnt, von Tournigand et al.6 untersucht. Ob die Primärtherapie mit 5- FU/LV/CPT-11 oder 5-FU/LV/Oxaliplatin begonnen wird, scheint unerheblich zu sein. Um die größtmögliche Wirksamkeit zu erzielen, ist es vielmehr entscheidend, dass alle drei chemotherapeutischen Säulen (5-FU, CPT-11, Oxaliplatin) – unabhängig von deren Sequenz – zum Einsatz kommen.

Antikörpertherapie

Durch verbesserte Kenntnisse der Stimulation von Wachstumsprozessen und neue Ergebnisse der Zellzyklusregulation in Tumorzellen ist es gelungen, zielgerichtete Substanzen als zusätzliche Therapieform neben der Chemotherapie einzusetzen. Zwei Prinzipien sind heute so weit erforscht, dass sie in der klinischen Praxis Einzug gehalten haben: die Hemmung der Angiogenese sowie die Hemmung des epidermalem Wachtstumsfaktor- Rezeptors (EGFR).

Hemmung der Angiogenese

Für das Tumorwachstum ist die Rekrutierung neuer Blutgefäße (Angiogenese) wichtig. Angiogenese wird durch den Tumor selbst hervorgerufen, indem dieser angiogenetisch wirksame Substanzen wie VEGF (vascular endothelial growth factor) oder bFGF (basic fibroblast growth factor) ausschüttet. Die bestuntersuchte angiogenetisch wirksame Substanz beim CRC ist VEGF. VEGF entfaltet seine Wirksamkeit durch Bindung an den VEGF-Rezeptor. Der monoklonale Antikörper Bevacizumab bindet spezifisch an VEGF, so dass keine weitere Bindung von VEGF an den VEGF-Rezeptor stattfinden kann und die Angiogenese damit blockiert bleibt. Beim metastasierten CRC konnte gezeigt werden, dass Bevacizumab die Wirksamkeit der verschiedenen etablierten Chemotherapien deutlich steigern kann.

Studien mit Bevacizumab: In einer internationalen Phase-III-Studie wurde Bevacizumab mit dem sog. „Saltz-Regime“, bestehend aus Irinotecan und Bolus 5- FU/LV (IFL) kombiniert und gegen IFL plus Placebo randomisiert. In der Bevacizumab- Gruppe zeigte sich sowohl eine bessere Ansprechrate (45 % vs. 35 %) als auch eine Verlängerung des progressionsfreien (10,6 Monate vs. 6,2 Monate) und des Gesamtüberlebens (20,3 Monate vs. 15,6 Monate)8. Im Gegensatz zu vorangegangenen Phase-I/II-Studien fand sich in dieser Studie keine signifikante Zunahme von Blutungen und/oder thromboembolischen Ereignissen; lediglich hypertone Blutdruckdysregulationen traten mit 10,8 vs. 2,3 % im Placeboarm gehäuft auf. Weitere Phase- III-Studien bestätigten den Vorteil der Kombination von Bevacizumab mit 5-FU und Oxaliplatin und auch der Kombination mit 5FU und Irinotecan. Auch in der Zweitlinientherapie zeigte sich für die Kombination aus Bevacizumab und FOLFOX ein verlängertes PFS gegenüber alleiniger FOLFOX-Chemotherapie. In dieser Indikation wird Bevacizumab mit 10 mg/kg KG dosiert. Bevacizumab wird routinemäßig in der Erstlinien- oder Zweitlinientherapie des metastasierten CRC eingesetzt. Als Nebenwirkungen dieses Antikörpers sind Hypertonie, allergische Reaktionen und Darmperforationen (selten) zu beobachten. Durch entsprechenden zeitlichen Abstand von 4–6 Wochen zur Antikörpergabe können Wundheilungsstörungen und Komplikationen nach chirurgischen Eingriffen gering gehalten werden.

Therapie bis zur Progression: Neuere Studienergebnisse legen den Schluss nahe, dass eine Bevacizumab-Therapie bis zur Krankheitsprogression fortgesetzt werden kann, um ein möglichst optimales Therapieansprechen (progressionsfreies Überleben > 12 Monate, Gesamtüberleben > 20 Monate) zu gewähr – leisten. Dies steht im Gegensatz zur gängigen Praxis des Absetzens der Chemotherapie nach ca. 6 Monaten bei Erreichen einer Remission. Die randomisierte Phase-III-Studie MACRO9 zeigte, dass eine Bevacizumab-Erhaltungstherapie nach Induktion eines Ansprechens auf Chemotherapie in Kombination mit Bevacizumab eine valide Behandlungsoption darstellt.

Antikörper gegen Rezeptormoleküle

Die monoklonalen Antikörper Cetuximab und Panitumumab binden beide an den extrazellulären Anteil des EGFR-Rezeptors, verhindern dadurch das Andocken des Liganden und damit in weiterer Folge die Signaltransduktion an den Zellkern. Beim CRC ist EGFR in 80–90 % überexprimiert. Die monoklonalen Antikörper Cetuximab und Panitumumab blockieren diesen Rezeptor und führen bei einem Teil der Patienten, selbst bei Versagen aller sonstigen Therapiemaßnahmen, für eine bestimmte Zeit zu einer Tumorkontrolle.

CRYSTAL-Studie mit Cetuximab: In der randomisierten CRYSTAL-Studie wurden 1270 nicht vorbehandelte Patienten mit mCRC entweder mit FOLFIRI plus Cetuximab im Vergleich zu einer FOLFIRIStandardtherapie behandelt10. Im Cetuximab- Arm zeigte sich ein statistisch signifikanter Vorteil für das progressionsfreie Überleben (PFS) im Vergleich zum FOLFIRI- Arm (medianes PFS 8,9 versus 8,0 Monate; p = 0,048). Nach einem Jahr lebten noch 34 % der mit Cetuximab/ FOLFIRI behandelten Patienten vs. 23 % im FOLFIRI-Arm progressionsfrei. Auch der sekundäre Endpunkt der Studie, die Erhöhung der Ansprechrate, wurde erreicht. In der Cetuximab-Gruppe wurde eine Tumorverkleinerung in 46,9 % der Fälle, im Kontrollarm in 38,7 % der Fälle beobachtet (p = 0,038). In einem späteren Follow-up der Studie lag das Gesamtüberleben der mit Cetuximab behandelten Patienten bei 23,5 Monaten im Vergleich zu 20,0 Monaten bei Patienten, die eine alleinige Chemotherapie erhielten (Hazard Ratio [HR] 0,796; p = 0,0094).
In der CRYSTAL-Studie10 zeigte sich der Nutzen einer Kombination von Cetuximab mit Standardchemotherapie bereits in der Gesamtpopulation. Seitdem wiesen die Ergebnisse mehrerer retrospektiver Phase-II-Studien bei vorbehandelten Patienten darauf hin, dass der K-ras-Status des Tumors einen Einfluss auf den therapeutischen Nutzen von Cetuximab in der Behandlung von mCRC-Patienten hat. Die aktuell vorgestellten Daten bestätigen, dass Cetuximab in Kombination mit Standardchemotherapien bei Patienten mit K-ras-Wildtyp-Tumoren in der Erstlinienbehandlung eine gesteigerte Wirksamkeit hat. Als Nebenwirkungen dieser Antikörper sind (selten) allergische Reaktionen und Diarrhö sowie regelmäßig akneiforme Hautreaktionen zu beobachten, die mit Fortdauer in chronifizierende Schädigungen wie Fissurenbildung und Paronychien übergehen. Das Auftreten der Hautreaktion korreliert mit dem Tumoransprechen.

PRIME-Studie mit Panitumumab: Die randomisierte Phase-III-Studie 203, genannt PRIME (Panitumumab Randomised Trial In Combination With Chemotherapy for Metastatic Colorectal Cancer to Determine Efficacy), untersuchte im First-Line-Setting die Zugabe von Panitumumab zu einer Chemotherapie mit FOLFOX 4 (5-Fluorouracil, Folinsäure und Oxaliplatin) versus alleinigem FOLFOX 4 bei 1183 Patienten mit mCRC11. Der Behandlungseffekt wurde in dieser Studie prospektiv für alle randomisierten Patienten und prospektiv erstmals auch für die Patientengruppe mit K-ras-Wildtyp erhoben.
Die Zugabe von Panitumumab zu FOLFOX bewirkte bei Patienten ohne K-ras- Mutationen ein statistisch signifikant längeres progressionsfreies Überleben (primärer Endpunkt) als die alleinige FOLFOX-Chemotherapie (9,6 Monate vs. 8,0 Monate; p = 0,0234). Die Gesamtansprechrate bei diesen Patienten konnte durch die Zugabe von Panitumumab ebenfalls gesteigert werden, sie betrug 55 % im Panitumumab-haltigen Arm versus 48 % im reinen Chemotherapie- Arm. Das mediane Gesamtüberleben war bei Stand der Auswertung im Panitumumab- Arm noch gar nicht erreicht, im Chemotherapie-Arm betrug es median 18,9 Monate. Der K-ras-Mutationsstatus ist für die Therapieauswahl entscheidend: Bei Patienten mit K-ras-Mutation lag das PFS Im Panitumumab-Arm bei 7,3 Monaten vs. 8,8 Monate im Chemotherapie- Arm (p = 0,0227).
Die Phase-III-Studie 181, die als Second- Line-Chemotherapie FOLFIRI (5- Fluorouracil, Leucovorin und Irinotecan) mit oder ohne Panitumumab bei 1186 Patienten mit metastasiertem kolorektalen Karzinom untersuchte, hat ihren primären Zielpunkt ebenfalls erreicht12. Die Zugabe von Panitumumab zu FOLFIRI führte zu einem statistisch signifikant verlängertem PFS bei Patienten mit K-ras- Wildtyp von 5,9 Monaten vs. 3,9 Monaten für FOLFIRI alleine (p = 0,004). Die Gesamtansprechrate war im Panitumumab- Arm mit 35 % höher als im Chemotherapie- Arm (10 %). Bei Patienten mit K-ras-Mutation hingegen bestand zwischen beiden Therapiearmen nur ein vernachlässigbarer Unterschied. Die Nebenwirkungen waren in beiden Therapiearmen vergleichbar, wiederum mit der Ausnahme der EGFR-bezogenen Toxizitäten im Panitumumab-Arm.

Zusammenfassung

Für die palliative Therapie des metastasierten Kolorektalkarzinoms steht heute eine Reihe von Optionen zur Verfügung. Die besten Ergebnisse in der Primärtherapie wurden durch eine Kombinationstherapie mit FU/LV/Irinotecan (FOLFIRI) oder FU/LV/Oxaliplatin (FOLFOX) kombiniert mit dem Antikörper Bevacizumab oder Cetuximab gezeigt. Eine Monotherapie kommt bei zu hohem Risikoprofil für eine Kombination, bei striktem Patientenwunsch oder bei langsam progredienter Erkrankung in Frage. Für die Zweit- oder folgenden Therapien steht dann die jeweils andere Kombination, bei Irinotecan-Versagen zusätzlich der Antikörper Cetuximab zur Verfügung. Damit kann heute ein mittleres Überleben von ≥ 2 Jahren mit akzeptabler Lebensqualität erreicht werden:

FACT-BOX

  • Eine kurative Therapie ist bei einem kleinen Teil der Patienten mit metastasiertem Kolorektalkarzinom möglich. Für den Großteil der Patienten ist die Lebenszeitverlängerung und Lebensqualitätverbesserung mittels einer palliativen Chemotherapie das Ziel.
  • Durch die Kombination wirksamer Zytostatika mit Antikörpern gegen Angiogenese bzw. gegen den epidermalen Wachstumsfaktor- Rezeptor ist ein mittleres Überleben von über 2 Jahren erreichbar.
  • Die Erstellung des Therapieplans von Patienten mit metastasiertem Kolorektalkarzinom soll in einem interdisziplinär besetzten Tumorboard erfolgen.

 

1 Scheithauer W et al., Br Med J 1993; 1306:752–755
2 Twelves C et al., Eur J Cancer 2002; 38:15–20
3 Douillard JY et al., J Clin Oncol 2002 ;20:3605–16
4 Carmichael J et al., J Clin Oncol 2002; 20:3617–27
5 Folprecht G et al., J Clin Oncol 2008; 26:1443–51
6 Tournigand C et al., J Clin Oncol 2004 ;22: 229–37
7 Goldberg RM et al., J Clin Oncol 2004; 22:23–30
8 Hurwitz H et al., N Engl J Med 2004; 350:2335–42
9 Tabernero J et al., J Clin Oncol 2010; 28:15s (2501)
10 Van Cutsem E et al., N Engl J Med 2009; 360:1408–17
11 Douillard JY et al., J Clin Oncol 2010 ;28:4697–4705
12 Peeters M et al., J Clin Oncol 2010; 28:4706–4713