EHA 2012: Stammzelltransplantation

Komorbidität und allogene Stammzelltransplantation

In den Abstracts der Arbeitsgruppe von Sorror M. aus Seattle bestätigte sich, dass der HCT-CI (Hämatopoetic Cell Transplantation-Comorbidity Index) eine hohe Aussagekraft bezüglich „treatment-related mortality“ (TRM) und Inzidienz der Graft-versus-Host-Erkrankung (GVHD) bei allogener Stammzelltransplantation hat (Abb. 1 und 2). Beim HCT-CI werden vor allem die kardialen, pulmonalen und hepatalen Komorbiditäten hoch bewertet. Dies ist plausibel, da die pulmonalen und hepatalen Toxizitäten besonders nach allogener Stammzelltransplantation hauptverantwortlich für die TRM sind. In einer Analyse von 3000 Patienten war der HCT-CI für alle Altersgruppen bezüglich TRM signifikant prädiktiv. Auch erkrankten Patienten mit einem erhöhten HCT-CI häufiger an einer Grad-III/IV-GVHD, und die GVHD-assoziierte Mortalität war bei diesen Patienten signifikant erhöht. Der Wert des HCT-CI-Scores wurde auch am EHA-Kongress diskutiert. In einer retrospektiven Analyse von 165 Patienten mit myeloischen Neoplasien und 50 mit lymphoiden Neoplasien zeigte sich, dass Patienten mit einer dosisreduzierten Konditionierung mit Alemtuzumab auch in einem Alter von über 60 Jahren transplantiert werden können (Nikolousis E at al., Abstr. #0439). Das 2-Jahres-Überleben lag bei Patienten mit einem niedrigen Komorbiditäts-Score (HCT-CI 0–1) bei 59 %, währenddessen Patienten mit einem höheren Score ein 2-Jahres-Überleben von nur 7 % zeigten.

 

 

Indikationen und Art der SCT weltweit

Bei 140.000 Stammzelltransplantationen (SCT), welche zwischen 2006 und 2008 analysiert wurden, zeigte sich, dass in Europa 60 % autologe Stammzelltransplantationen und jeweils 20 % allogen mit HLA-gematchten Verwandtenspendern bzw. mit nichtverwandten Spendern durchgeführt werden.
Bei der Indikation für allogene Stammzelltransplantationen sind die akuten Leukämien mit insgesamt 52 % führend. Jeweils 11 % der Patienten werden mit MDS bzw. mit NHL transplantiert. Bei den autologen Stammzelltransplantationen werden 40 % der Patienten mit multiplem Myelom und 40 % mit Non-Hodgkin- sowie Hodgkin-Lymphom trans­plantiert. Stammzellen werden in Europa zu 71 % aus dem peripheren Blut entnommen (Abb. 3 und 4; Niederwieser et al.).

 

Allogene und autologe SCT bei CLL, FCL und DLBCL

Mortensen at al. zeigten in einem Abstract (Abstr. #0450), dass Patienten mit refraktärer oder Hochrisiko-CLL (chronisch lymphatische Leukämie) oder FCL (Follikelzentrum-Lymphom) nach nichtmyeloablativer Konditionierung stabile anhaltende Remissionen erzielen können.
Nach 5 Jahren waren 40 % der Patienten mit CLL und 76 % der Patienten mit follikulären Lymphomen krankheitsfrei. Die allogene SCT ist eine valide therapeutische Option besonders bei CLL mit del(17p), da die klinischen Ergebnisse mit konservativer Therapie in dieser Indikation sehr unbefriedigend sind. Hier ist der Graft-versus-Leukämie-Effekt für eine anhaltende stabile Remission wohl essenziell. Dies war auch Konsens in einer Panneldiskussion am EHA-Kongress.
In einer randomisierten Studie mit allerdings nur 42 Patienten wurden Z-BEAM und BEAM als myeloablative Schemata vor autologer SCT bei diffus großzelligem B-Zell-Lymphom (DLBCL) miteinander verglichen (Shimoni A et al., Abstr. #1118). Z-BEAM zeigte eine tendenziell bessere Effektivität. Diese Daten rechtfertigen eine größere Phase-III-Studie, können aber wegen der geringen Patientenzahl eine Überlegenheit von Z-BEAM nicht belegen.

Aspergillusinfektionen nach allogener SCT

Neue therapeutische Ansätze: Eine T-Zell-­spezifische Immunität gegen Aspergillus-Proteine (CAF-1 und Katalase 1) kann sich bei einer vorbestehenden Pilzinfektionen nach erfolgreicher allogener Stamm­zelltransplantation mit Etablierung eines Spender-T-Zell-Chimärismus entwickeln (Jolink H et al., Abstr. #0561). Diese spezifische Immunität war in CD4-positiven T-Zellen des Spenders nachweisbar. Da zunehmend ältere Patienten mit einer erheblichen Vorbelastung einer allogenen SCT zugeführt werden, ist bei diesen Patienten das Risiko einer Aspergillusinfektion während der Vorbehandlungen häufig erhöht. Eine T-Zell-Therapie gegen invasive Aspergillosen wäre klinisch relevant

Wert der Prophylaxe mit Azolen: Marks et al. (Abstr. #1006) untersuchten die Effektivität der Voriconazol-Prophylaxe bezüglich invasiver Mykosen bei allogen transplantierten Patienten. Eine Analyse zeigt, dass Itraconazol in der Pilzprophylaxe bezüglich Kosteneffektivität günstiger war als der Einsatz von anderen Azolen. Gerade die oral besser verträgliche Applikation von Itraconazol-Suspension wäre hier eine valide Option. Allerdings war unter Volcanozol-Prophylaxe immer noch die niedrigste Anzahl von Durchbruchinfektionen zu beobachten. Die durchschnittlichen Kosten inklusive Pilzscreening und eventuelle empirische antifungale Therapie betrugen in aufsteigender Reihenfolge bei Itraconazol € 15,210,908, Fluconazol € 17,636,100, Voriconazol € 19,443,320 und Posa­cona­zol € 23,615,334. Um einen Todesfall zu verhindern, müssen 36 Patienten mit Voriconazol, 59 mit Itraconazol und 57 mit Posaconazol behandelt werden.

Allogene Stammzelltransplantation und Myelodysplasie

Cutler et al. publizierten bereits 2004 in Blood, dass Patienten unter 60 Jahren mit einem Niedrigrisiko-MDS (IPSS low und intermediate-I) ein besseres Überleben nach einer myeloablativen SCT hatten. Park et al. (Abstr. #0558) analysierten retrospektiv die Ergebnisse der Stammzelltransplantation mit reduzierter Konditionierung (RIC) von 73 konsekutiven CMML-Patienten (chronisch myelomonozytäre Leukämie). Diese zeigte ein krankheitsfreies 3-Jahres-Überleben von 30 %. Interessanterweise waren weder IPSS-Status noch der Krankheitsstatus zum Zeitpunkt der allogenen Stammzelltransplantation prognostisch relevant. Alleine eine Vergrößerung der Milz hatte einen negativ prognostischen Einfluss auf das 2-Jahres-Überleben (52 % versus 28 %) Die allogene Stammzelltransplantation ist somit eine valide Behandlungsoption für CMML-Patienten. Hier scheint eine Vorbehandlung mit Azacitidin nicht von Nachteil zu sein. In Zukunft könnte eine Kombination dieser Therapie mit allogener SCT eine vielversprechende Therapieoption sein.
Ähnliche Daten präsentierten Damaj et al. beim ASH 2011 bei 470 Patienten mit myelodysplastischem Syndrom (MDS), die einer SCT zugeführt wurden. Diese hatten mit einer Azacitidin-Monotherapie in der Vorbehandlung keine erhöhte therapieassoziierte Mortalität. Patienten mit einer Vorbehandlung von Azacitidin und Chemotherapie hatten jedoch ein signifikant schlechteres Outcome.
Die Risikostratifizierung der MDS mittels IPSS und die Indikation zur Stammzelltransplantation auch im Hinblick auf den HCT-CI-Score bleiben auch nach der Präsentation dieser Daten eine klinische Herausforderung.

Autologe Stammzelltransplantation: To PET or not to PET?

Nikolousis E et al. (Abstr. #0403) analysierten den Wert des PET vor und nach autologer Stammzelltransplantation bei Patienten mit rezidivierten refraktären Hodgkin-Lymphomen. Patienten, die nach einer Rezidivtherapie bereits vor autologer Stammzelltransplantation im PET negativ waren, hatten ein signifikant besseres Überleben als Patienten, die vor bzw. nach Transplantation PET-positiv waren.
Wenig überraschend ist die Chemosensitivität vor autologer Stammzelltransplantation prognostisch von hoher Relevanz.
In der Marseiller-Gruppe um Devillier (ASH 2011) wurden Patienten mit Hodg­kin-Lymphom bei Rezidiv nach einer Induktionschemotherapie mit einem PET-CT untersucht. 77 % der Patienten wurden durch die konventionelle Rezidivtherapie vor autologer SCT PET-negativ und erreichten ein Gesamtüberleben von 99 % nach 5 Jahren, während bei der PET-positiven Gruppe ein 5-Jahres-Überleben von 55 % beobachtet wurde. Patienten, die nach konventioneller Chemo­therapie vor autologer SCT PET-positiv waren, profitierten nur von einer Tandem-ASCT.

Lebensqualität

Spezialisierte GvHD-Kliniken (Dignan L et al., Abstr. #100) mit einer interdisziplinäre Betreuung dieser Patienten können eine signifikante Besserung der GvHD sowie der Lebensqualität erreichen. Die häufigsten Aufnahmegründe waren die Behandlung von GvHD der Haut, Sicca-Symptomatik der Augen sowie durch Darm-GvHD bzw. durch CMV-Infektionen bedingte Ernährungsprobleme. Auch wurde auf funktionelle Rehabilitation, Physiotherapie, Ernährungstherapie und psychosoziale Reintegration großer Wert gelegt. Dies ist sicherlich ein sinnvolles Konzept, welches gut in die zunehmende Entwicklung von hämatoonkologischen Rehabilitationskonzepten passt. Speziell in der allogenen Stammzelltransplantation sind viele Patienten mit chronisch extensiver GvHD zwar progressionsfrei und am Leben, haben aber mit häufigen stationären Aufenthalten zu kämpfen und eine sehr schlechte Lebensqualität.
Die autologe SCT wird weiterhin ihre Rolle bei der Behandlung von Patienten mit multiplen Myelomen und Non-Hodgkin-Lymphomen im Rezidiv beibehalten. 72 Patienten, die einer autologen Stammzelltransplantation zugeführt wurden, wurden in einem Zeitraum von 12 Monaten einer Lebensqualitätsanalyse (QoL/36) unterzogen. Lebensqualität, physikalische Funktion, Schmerzen, genereller Gesundheitszustand und soziale Funktion waren im Vergleich zu einer gesunden Kontrollgruppe nicht eingeschränkt. Nur bei 7 % der transplantierten Patienten blieb die Lebensqualität im Vergleich zur Durchschnittsbevölkerung beeinträchtigt. (Ivanova N et al., Abstr. #1003)

ZUSAMMENFASSEND liegt der Fortschritt der allogenen SCT in den letzten Jahren in der Entwicklung von dosisreduzierten Konditionierungen, die die Etablierung einer stabilen Spenderhämatopoese ermöglichen und dadurch ebenfalls eine – wenn auch verzögerte – myeloablative Wirkung haben. Die Komorbiditäten und weniger das Alter sind trotz reduzierter Toxizitäten die limitierenden Faktoren. Die Gabe von Spenderleukozyten kann nach Transplantation den Spenderchimärismus stabilisieren und gezielt als Immuntherapie bei rezidiven bzw. gegen gewisse Infektionen eingesetzt werden. Die Spender-gegen-den-Wirt-Reaktion als GvHD ist aber weiterhin ein relevanter Faktor, der neben der Eradikation maligner Klone sowohl die Lebensqualität wie auch das Überleben negativ beeinflussen kann.
Die allogene SCT bleibt trotz ständiger Weiterentwicklungen der medikamentösen Therapie bei der CLL und dem MDS sowie bei den akuten Leukosen häufig die einzige kurative Option. Gerade hier bleiben die Sequenz und das Timing der SCT und der Einsatz neuer Substanzen ein relevantes Thema.