Endokrine Therapie

Die endokrine Therapie, die ausschließlich bei Patientinnen mit einem hormonrezeptorpositiven Mammakarzinom indiziert ist, ist eine der effektivsten syste – mischen Therapiemöglichkeiten von Brustkrebs bei gleichzeitig relativ günstigem Nebenwirkungsprofil. Obwohl bei dem diesjährigen St.-Gallen-Treffen an den ersten 3 Tagen kaum über Fortschritte oder Veränderungen der endokrinen Therapie gesprochen wurde, diskutierte das Experten-Panel am letzten Tag der Veranstaltung eine Reihe praxis relevanter Fragen. Die für die tägliche Routine wichtigsten Entscheidungen des Panels sollen im Folgenden näher vorgestellt werden.

Mammakarzinom in der Prämenopause

Tamoxifen: Fünf Jahre Tamoxifen ist derzeit als Standard der endokrinen Therapie prämenopausaler, hormonrezeptorpositiver Brustkrebspatientinnen anzu – sehen. Gemäß dem im Lancet 2005 erschienen EBCTCG-Overview reduziert der Einsatz von Tamoxifen das Wiederauftreten von Brustkrebs bei Frauen im Alter unter 50 Jahren um absolute 9,7 %. Brustkrebspatientinnen unter Tamo – xifen-Therapie vor dem 40. Lebensjahr haben ein halb so hohes Risiko für ein Rezidiv und ein um 40 % geringeres Risiko, an der Erkrankung zu versterben, als Patientinnen ohne endokrine Therapie.

  • Die Frage an das Panel, ob Tamoxifen alleine als endokrine Therapie bei prämenopausalen Frauen zulässig ist, wurde folglich mit einem deutlichen „Ja“ beantwortet.

GnRH-Analoga: Für die tägliche Routine sicherlich besonders interessant ist die Frage nach dem Einsatz von GnRHAnaloga (z. B. Goserelin) in der Therapie prämenopausaler Patientinnen. In der ZIPP-Studie, die Ende letzten Jahres beim SABCS mit einer neuen Auswertung vorgestellt wurde, konnte gezeigt werden, dass Goserelin alleine ähnlich effektiv ist wie Tamoxifen alleine.
Die Kombination beider Therapieformen brachte keinen weiteren Benefit. Dies wird auch durch eine im Lancet 2007 veröffentlichten Metaanalyse bestätigt. Die Kombination von Tamoxifen + Goserelin ist der alleinigen Therapie mit Tamoxifen nicht überlegen. Bei Frauen vor dem 40. Lebensjahr konnte allerdings ein signifikanter Vorteil für den Kombinationsarm festgestellt werden. Das Ex – perten-Panel fasst diese Situation so zusammen, dass sowohl die Kombinationstherapie aus Tamoxifen + ovarieller Suppression als auch die alleinige Therapie durch ovarielle Suppression – unter besonderen Umständen – als denkbare endokrine Therapieformen prämenopausaler Brustkrebspatientinnen anzusehen sind.

ABCSG-Studie 12: Selten besteht eine Kontraindikation für Tamoxifen – z. B. bei Thrombose in der Anamnese. Die ABCSG-12-Studie, die 2009 im New England Journal of Medicine publiziert wurde, hat Tamoxifen + Goserelin vs. Anastrozol + Goserelin bei prämenopausalen Brustkrebspatientinnen untersucht. Es konnte kein Unterschied im krankheitsfreien Überleben bzw. Gesamtüberleben zwischen beiden Therapiearmen beobachtet werden.

  •  Auf die Frage an das Experten-Panel, ob ein Aromatasehemmer in Kombination mit ovarieller Suppression eine mögliche Option bei Patientinnen mit Kontraindikation für Tamoxifen sei, stimmten über 75 % mit „Ja“.

Mammakarzinom in der Postmenopause

Therapeutischer Stellenwert des Menopausenstatus: Bei keiner anderen Therapie des Mammakarzinoms ist der Menopausenstatus so entscheidend wie bei der endokrinen Therapie. So sind Aromatasehemmer, die aufgrund mehrer Phase-IIIStudien (ATAC, BIG 1-98, TEAM) und einer Metaanalyse dem Tamoxifen in der postmenopausalen Situation vor zuziehen sind, bei prämenopausalen Brustkrebspatientinnen ohne zusätzliche ovarielle Suppression absolut kontraindiziert. Es ist folglich von höchster Bedeutung bei der Entscheidung der endokrinen Therapie, ob die Patientin prä- oder postmenopausal ist. Die International Menopause Society (IMS) hat klinische und laborchemische Parameter festgelegt und publiziert, anhand derer man den Menopausenstatus festmachen kann. Wichtig zu wissen ist, dass trotz fehlender Menstruation über 12 Monate (klinisches Kriterium für Postmenopause) eine ovarielle Restfunktion vorhanden sein kann, die zu prämenopausalen Östrogenwerten führt. In diesem Fall wäre somit ein Aromatasehemmer trotz klinisch verifizierter Postmenopause kontraindiziert. Der Autor empfiehlt in jedem Fall eine vermeintliche postmenopausale Situation durch einen Hormonstatus zu verifizieren.

Aromatasehemmer upfront, oder Switch: Gemäß einer im JCO 2010 publizierten Metaanalyse führen Aromatasehemmer bei postmenopausalen Brustkrebspatientinnen zu einer Verbesserung des krankheitsfreien Überlebens um absolut 3 % nach 5 Jahren Therapie gegenüber Tamoxifen. 5 Jahre Aromatasehemmer (upfront) können allerdings das Überleben gegenüber 5 Jahren Tamoxifen nicht verbessern. Gemäß dieser Metaanalyse verbessert die Switch-Therapie (2–3 Jahre Tamoxifen gefolgt von 2–3 Jahren Aromatasehemmer) nicht nur das krankheitsfreie Überleben, sondern auch das Gesamtüberleben gegenüber einer alleinigen 5-Jahres-Therapie mit Tamoxifen. – Auf die Frage an das Experten-Panel, ob alle postmenopausalen Brustkrebspatientinnen einen Aromatasehemmer (entweder upfront oder als Switch-Therapie) erhalten sollen, ergab sich eine 50 : 50-Patt-Situation. Der Autor interpretiert dies so, dass es in Einzelfällen sicherlich gerechtfertigt ist, einer postmenopausalen Patientin eine alleinige Therapie mit Tamoxifen anzubieten – z. B. bei ausgeprägter Osteoporose, wenn man bedenkt, dass die Mortali – tät der osteoporotischen Hüftfraktur bei 70–90-Jährigen die Mortalität des Mammakarzinoms in dieser Altersgruppe deutlich übersteigt. Dies wurde insofern bestätigt, als das Panel mit beinahe 90 % dafür stimmte, dass gewisse Patientinnen eben nur mit Tamoxifen zu behandeln sind. Interessanterweise geht dies nicht mit der amerikanischen ASCOLeitlinie 2010 konform, die fordert, dass jeder postmenopausalen Patientin ein Aromatasehemmer angeboten werden soll. Das Experten-Panel von St. Gallen hat sich nicht festgelegt, ob – wenn ein Aromatasehemmer indiziert ist – dieser als Upfront-Therapie für 5 Jahre oder als Switch-Therapie nach 2–3 Jahren Tamoxifen zum Einsatz kommen soll.

Therapiedauer: Die Frage nach der Dauer der endokrinen Therapie ist sicherlich noch nicht endgültig beantwortet. Die Studien MA-17, ABCSG 6a sowie NSABP-33 zeigten, dass eine Fortführung der endokrinen Therapie mit einem Aromatasehemmer nach 5 Jahren Tamoxifen zu einer Verbesserung des krankheitsfreien Überlebens führt. Ob dies nach vorangegangener Therapie mit einem Aromatasehemmer auch zutrifft und ob weitere 3 Jahre oder 5 Jahre zu einer Verbesserung führen, ist unklar. Studien diesbezüglich sind am Laufen. Aufgrund der unklaren Situation entschied das Panel sehr deutlich, dass 5 Jahre endokrine Therapie derzeit als der Standard anzusehen ist.

CYP2D6-Polymorphismen als Selektionskriterium

In den letzten Jahren wurde vermehrt über die Metabolisierung der „Prodrug“ Tamoxifen zum eigentlichen Wirkstoff Endoxifen diskutiert. Es wurde die Hypothese aufgestellt, dass ca. 10 % der Patientinnen aufgrund eines Polymorphismus im für die Umwandlung entscheidenden CYP2D6-Enzym signifikant geringer von Tamoxifen profitieren, da vermindert Endoxifen „produziert“ wird. In der Tat wurde in einer Reihe von retrospektiven Analysen gezeigt, dass so genannte CYP2D6- „Poor-Metabolizer“ ein schlechteres Outcome bezüglich ihrer Erkrankung aufwiesen. Folglich wurde diskutiert, ob Patientinnen vor der Verabreichung von Tamoxifen auf einen CYP2D6-Polymorphismus untersucht werden sollen. Da die Re-Analysen der großen Phase-III-Studien (TEAM, ATAC und BIG 1-98) nicht zeigen konnten, dass ein Polymorphismus im CYP2D6-Gen Einfluss auf den Krankheitsverlauf unter Tamoxifen-Therapie nimmt, hat das Panel sich klar gegen eine solche Abklärung des CYP2D6-Status ausgesprochen.
Eigene Arbeiten, Re-Analysen der Studien ABCSG 12, 6 und 6a, die am ASCO 2010 sowie beim SABCS 2010 vorgestellt wurden, haben gezeigt, dass der Body Mass Index (BMI) Einfluss auf die Effektivität von Aromatasehemmern, nicht aber von Tamoxifen nimmt. Übergewichtige Patientinnen erfahren signifikant weniger Benefit von einem Aromatasehemmer als normalgewichtige Patientinnen. Dies wurde auch durch eine Re-Analyse der ATAC-Studie bestätigt. – Auf die Frage an das Panel, ob der BMI Einfluss auf die Entscheidung für oder gegen eine Aromatasehemmer nehmen soll, hat das Panel mit „nein“ abgestimmt. Der Autor geht mit dieser Abstimmung konform, meint aber, dass möglicherweise bei übergewichtigen Patientinnen eher die Switch-Therapie (2–3 Jahre Tamoxifen!) und bei normalgewichtigen Patientinnen eher die Upfront- Therapie mit einem Aromatasehemmer eine Lösung wäre, diese aktuellen Daten leitlinienkonform in die tägliche Praxis einzubauen.

Daten – Fakten – Konsequenzen

Prämenopausale Patientinnen: Tamoxifen 20 mg für 5 Jahre ist der Standard. Eine zusätzliche ovarielle Suppression ist möglich, unter Umständen sinnvoll – vor allem vor dem 40. Lebensjahr. Bei Kontraindikation für Tamoxifen ist eine Kombinationstherapie bestehend aus Aromatasehemmer + ovarieller Suppression eine gute Möglichkeit.

Postmenopausale Patientinnen: 5 Jahre Aromatasehemmer upfront oder die Switch-Therapie (2–3 Jahre Tamoxifen gefolgt von 2–3 Jahren Aromatasehemmer) sind als Standard anzusehen. Allerdings muss nicht jeder Patientin ein Aromatasehemmer angeboten werden, eine alleinige Therapie mit Tamoxifen für 5 Jahre ist zulässig.