Tumorstammzellforschung: Wenige sind mehr …

“Stammzellen“ haben etwas Zwielichtiges an sich: Einerseits sind sie die Basis für die Entwicklung aller mehrzelligen Lebewesen und die Quelle der Regeneration unseres Organismus, andererseits werden Stammzellen auch für die Entstehung und Persistenz maligner Erkrankungen verantwortlich gemacht. Bei der Betrachtung von in vitro kultivierten Tumorzellen, die jahrzehntelang nach dem Tod einer Patientin proliferieren, kann sich schon auch der Vergleich mit „Untoten“ aufdrängen. Neue Erkenntnisse, denen zufolge sich nicht nur unreife Stammzellen, sondern Zellen jeglichen Differenzierungsgrades in Tumorstammzellen umformen können, sich immer wieder in Nischen verstecken und die raffiniertesten Mechanismen entwickeln, ihrer Vernichtung zu entkommen, machen die Tumorstammzellforschung zu einem der spannendsten Forschungsgebiete unserer Zeit.

In der vorliegenden Ausgabe von SPECTRUM ONKOLOGIE machen wir über 10 Stationen eine abenteuerliche Reise von der „Geisterjagd“ im Labor und am Computer bis zu Konzepten, mit denen es immer besser gelingen wird, auch die bösartigsten Erkrankungen erfolgreich zu heilen.

Natürlich kann man mit diesem Themenkreis Bücher füllen – in heutigen Zeiten vielleicht eher E-Books –, die täglich um das eine oder andere Kapitel erweitert werden, aber möglicherweise reichen ja die „Gucklöcher“ in diesem Heft schon aus, um einen Einblick in die geheimnisvolle Welt der Tumorstammzellforschung zu vermitteln.
Nicht von ungefähr spielt das Blut in der Welt der (Tumor-)Stammzellforscher eine zentrale Rolle: Im Rahmen der Erforschung der blutbildenden Zellen wurden erstmals echte Stammzellen entdeckt, sowohl gutartige, die nach einer Transplantation einen ganzen Organismus gesunden lassen können, als auch bösartige Leukämie-Stammzellen, welche die Macht haben, einen Menschen in kürzester Zeit zu Grunde zu richten.
Das komplexe Nischensystem im trabekulären Knochen dient dabei sowohl als „Geburtsstätte“ als auch als mögliches Versteck für maligne (Stamm-)Zellen, die aus diversen Organen einwandern können.
Doch wie wird eine normale Körperzelle zur Tumorstammzelle? Aktuelle Forschungsergebnisse weisen darauf hin, dass uns embryonale Stammzellen am ehesten Aufschluss über die letzten Geheimnisse der Stammzellentstehung geben können. Das ist sicher richtig: Zahlreiche wichtige Entdeckungen wurden und werden mit diesem Modell gemacht. Alle Phänomene der Entstehung und Entwicklung von Tumorstammzellen werden uns embryonale Stammzellen jedoch nie erklären, besonders nicht die Mechanismen, die dafür verantwortlich sind, wie sich differenziertere Zellen in Tumorstammzellen verwandeln. In einem Tumor können nämlich älter und/ oder jünger aussehende „Zombie“-Zellen herumgeistern. Der Kampf gegen die Biester ist schwierig, aber nicht unmöglich. Besonders viel versprechend ist es, deren Kommunikationssysteme (Signalübertragung) zu unterbrechen. Auch die „Hardware“ (Genom) und deren Reparatursysteme, die „Software“ (Transkriptom) sowie die diversen Steuerungssysteme im Epigenom sind Angriffsziele sowohl für „bad guys“ als auch für therapeutische und präventive Wirkstoffe, die uns nicht nur von der pharmazeutischen Industrie, sondern auch von der Natur geliefert werden: Schwefelhaltige Wirkstoffe aus dem Knoblauch helfen also offenbar nicht nur gegen große, sondern auch gegen kleine „Vampire“, denn als solche könnte man so manche Tumoroder Leukämiestammzellen durchaus bezeichnen. Eine effiziente Vernichtung maligner Zellen ist jedoch nach wie vor nur mit starken – und leider auch sehr teuren – Medikamenten möglich, und in vielen Fällen bietet die Transplantation gesunder Stammzellen die einzige Chance auf Heilung.
„Last, but not least“ muss aber auf dieser abenteuerlichen Stammzell-Forschungsreise auch an die Opfer, nämlich die Patienten, gedacht werden. Analog wie im interzellulären Raum spielt auch hier die Informationsvermittlung, in diesem Fall zwischen Facharzt/Fachärztin, Hausarzt/ Hausärztin und den Patienten mit ihren Angehörigen eine entscheidende Rolle. Seelische Unterstützung und sehr viel Mut sind unverzichtbar für den erfolgreichen Kampf gegen Tumorstammzellen.