Start-up | Ein Job wie kein anderer

Raus aus der Komfortzone und hinein in Aufgaben, die man sich zum großen Teil selbst erarbeiten muss und bei denen man jede Menge Pioniergeist an den Tag legen kann. Ständige Veränderung ist Alltag und nicht Ausnahme. Zugegeben, nicht jeder ist für derartige Aufgaben geeignet, aber wer Selbstverwirklichung vor Arbeitszeit stellt, der ist in einem Start-up gut aufgehoben. Wenn es dann noch ein Unternehmen in der Medizinprodukte-Branche ist, kommen gleich weitere spannende Aspekte dazu: Aufgaben an einer herausfordernden Schnittstelle zwischen Wissenschaft und Praxis, zwischen Medizin und Technik, zwischen Anwender und Patienten.

Realistische Businesspläne

Österreich hat in einigen Schwerpunktregionen eine sehr lebendige Start-up-Szene: „Für die Biotechnologie ist das Wien und Umgebung, für Technik rund um Medizinprodukte sind es Oberösterreich und die Steiermark“, beschreibt DI Dr. Johann Harer, CEO des steirischen Humantechnologie-Clusters Human.technology Styria (HTS), und ergänzt: „Meist sind es jüngere Männer, die gründen. Die einen haben einen Hang zu Technik, die anderen kommen aus der Medizin. Praktisch alle haben vorher an einer Uni oder in einer Forschungseinrichtung gearbeitet und gründen dann von dort aus mit ihrer eigenen Idee ein Unternehmen.“ Erfolgreiche Spin-offs sind zum Beispiel aus bekannten Einrichtungen­ wie der JOANNEUM RESEARCH Forschungsgesellschaft, dem Austrian Institute of Technology oder den sogenannten COMET-Zentren – Competence Centers for Excellent Technologies, einem zentralen Förderungsprogramm der österreichischen Technologiepolitik, hervorgegangen.
Die aufkeimende Euphorie bremst Harer aber rasch: „Im Bereich Medizin bzw. Life-Science ist es in Österreich deutlich schwieriger, ein Produkt von der Idee bis zur Marktreife zu entwickeln als in vielen anderen Sektoren.“ Realistische Businesspläne werden angesichts zunehmend strengerer Vorgaben, wie etwa der neuen EU-Verordnung für Medizinprodukte und In-vitro Diagnostika (MDR und IVDR), nicht einfacher: „Die Anforderungen an klinische Prüfungen, Dokumentation oder Post-Market-Surveillance sowie die fehlenden Kapazitäten bei den Zulassungsstellen bedeuten, dass es viele Monate, wenn nicht sogar Jahre an Mehrarbeit in der Vorbereitung benötigt, bis man an eine Markteinführung denken kann. Auch wenn ich mit einem einfachen Medizinprodukt reüssieren will, braucht es rund 100.000 Euro mehr Startkapital, um über die Ziellinie zu kommen“, sagt der Experte. Kein Wunder, dass viele Betriebe zuerst gar nicht im Gesundheitssektor um Zulassung ansuchen, sondern als ersten Schritt in den klassischen Consumer-Markt gehen. Erst wenn sich das Produkt dort etabliert hat, wird es um das erforderliche Extraplus aufgewertet und als Medizinprodukt aufgepeppt. Als Beispiel bringt Harer die Temperaturmesslösungen von Steady Sense. Ein Hautpflaster mit Sensor kann über eine App kontinuierliche Messwerte der Körpertemperatur aufzeichnen. „Zuerst war die Lösung im Consumer-Sektor zur Erfassung des Fruchtbarkeitszyklus von Frauen am Markt. Mit dem identen Produkt wird jetzt umgekehrt – als Verhütungsmittel – um Zulassung als Medizinprodukt angesucht.“ Das Produkt ist unverändert, der Mehraufwand bis zur Marktreife: bis zu zwei Jahre.

Träges System

Das österreichische Gesundheitswesen kann durchaus als träge bezeichnet werden, wenn es darum geht, innovative Produkte in die Regelversorgung zu bekommen. „Der Strukturkonservativismus erfordert oft fünf bis zehn Jahre, manche Themen verenden in Pilotprojekten“, sagt Harer.
Kein Wunder, dass viele Forscher daher ihren Output lieber in anderen Ländern zur Marktreife bringen. Dennoch: Österreich hat gute Basisförderungen zu bieten. „Mit Preseed- oder Seedförderungen, dem Austria Wirtschaftsservice oder den Wirtschaftsförderungsagenturen haben wir paradiesische Zustände“, bringt es der HTS-Chef auf den Punkt. Danach wird es aber rasch eng, denn private Investoren und Risikokapital fehlen.
Einer, der gegenläufig zu diesem Trend als Start-up-Partner aktiv ist, ist DI Josef Schabauer, AUSTROMED-Vorstand. „Im DACH-Raum besticht Österreich durch viele innovative Köpfe. Die Förderlandschaft ist einfach durchschaubar und man kommt rascher ans Ziel“, fasst der Business Angel die Vorteile zusammen. Warum er sich in der Szene engagiert, ist einfach erklärt: „Die Gründer haben hohe fachliche Expertise und beeindruckende Produkte, doch bei der Kommerzialisierung haben die meisten großen Nachholbedarf.“ Der erfahrene Experte kümmert sich daher vorrangig um den Go-to-Market-Prozess und die kaufmännischen Agenden. Als besonders interessant für Gründer stuft er derzeit den Bereich der künstlichen Intelligenz ein: „Die Corona-Krise hat gezeigt, dass die Digitalisierung noch viele Marktchancen bietet, das sind vorrangig Produkte, die einen direkten Kontakt zum Patienten schaffen und Mehrwert bei der Prozessoptimierung bieten“, sagt Schabauer. Die größten Hürden ortet er nicht bei den Rahmenbedingungen, sondern nach wie vor bei der Tatsache, dass sich die wenigsten Forscher rechtzeitig die ökonomische Expertise ins Haus holen und schwer „führbar“ sind. „Viele gute Ideen scheitern, weil niemand weiß, wie die Produkte am besten kommerzialisiert werden. Ein Steuerberater allein reicht nicht! Gründer sind leider oft beratungsresistent“, bringt es der Experte auf den Punkt. Für Start-ups stehen in der Phase der Forschung und Entwicklung relativ mehr Fördergelder zur Verfügung als später, im wesentlich wichtigeren Teil, nämlich der Kommerzialisierung. Daher überstehen sie häufig nicht die frühe Vertriebsphase, das so genannte ‚Valley of Death‘. Großartige Innovationen schaffen es daher oft nicht bis zum Endkunden.

Attraktiver Arbeitsplatz

Einig sind sich Harer und Schabauer, dass die Start-up-Szene überaus spannende Herausforderungen für Berufseinsteiger und Profis bereithält: „Risikobewusstsein braucht es auf jeden Fall.“ Mitunter sind die Gehälter nicht so attraktiv und auch die Arbeitszeiten weniger reguliert als in Konzernen, doch die hochmotivierten Teams und die breiten Gestaltungsmöglichkeiten machen vieles davon wett. Selbstständiges Arbeiten, ein flexibler Handlungsspielraum, Unternehmergeist und Flexibilität kommen zu den eingangs erwähnten Attributen jedenfalls dazu. Kein Wunder, dass die typisch österreichische „Gemütlichkeit“ im Gesundheitswesen diesem Spirit manchmal zuwiderläuft.

 


Beschäftigung sichern
Innerhalb und außerhalb von Krisenzeiten gilt es, die Produktion im eigenen Land zu halten und damit Arbeitsplätze zu sichern.
Die Medizinprodukte-Branche hat in der Corona-Krise bewiesen, dass sich ihre Unternehmen für die Versorgung in Österreich weit über das wirtschaftlich erforderliche Maß hinaus engagieren. Sie haben ihr klares Commitment zum Standort Österreich abgegeben. Auch von politischer Seite wurde der Wert der lokalen Versorgung im Zuge der Corona-Krise erkannt – nun muss diese Erkenntnis in eine aktive Förderung des Standortes Österreich übergehen!
Hier gibt es eine Reihe von Schrauben, an denen der Gesetzgeber drehen kann: Verbesserung der Rahmenbedingungen für die Produktion in Österreich, ein innovationsfreundlicheres Umfeld mit einer entsprechenden Förderlandschaft, die Unterstützung von digitalen Lösungen im Gesundheitsbereich und vieles mehr. Gerade im Pandemiefall ist es wichtig, nicht nur Produktion und Handel, sondern auch die dazugehörigen Dienstleistungen im Land zu haben. Daher muss in Österreich angestelltes Personal der Medizinprodukte-Branche als Mehrwert anerkannt werden.

 

Dr. Margarete Schramböck
Bundesministerin für Digitalisierung und Wirtschaftsstandort
Foto: BMDW/Christian Lendl

»Medizinprodukte helfen im Kampf gegen die aktuelle Corona-Krise. (…) Es ist wichtig, dass wir diesen Faktor stärken, hier in Österreich mehr produzieren und in Österreich auch die Forschung weiter vorantreiben. (…)«

 

Im Weißbuch Medizinprodukte hat die AUSTROMED einen Diskurs zu zentralen Forderungen eröffnet. Mehr dazu auf www.austromed.org