Wo Fachkräfte gemacht werden

Vieles hat uns die Pandemie gelehrt, unter anderem, dass Medizinprodukte unverzichtbar sind, um das Gesundheitssystem – nicht nur, aber ganz besonderes – in kritischen Zeiten aufrechtzuerhalten. Gesichtsmasken, Schutzanzüge oder Handschuhe bekamen selbst für Laien eine besondere Bedeutung. Das Interesse an Herkunft, Verfügbarkeit oder Qualität stieg und damit auch das Interesse an den Berufen, die sich damit beschäftigen. Ein Rundblick im Lande bestätigt, dass die heimischen Fachhochschulen aufmerksam die Marktentwicklungen evaluieren und in die Studienpläne integrieren. Auch die Fachhochschul-Forschung steht dabei im Fokus, bildet sie doch ein wichtiges Bindeglied zur Industrie.

 

 

 

Breites Angebot

An der FH Campus Wien beschäftigen sich drei Studiengänge unter anderem mit Medizinprodukten. Neben den Bachelorstudien Clinical Engineering und Radiologietechnologie gilt dies insbesondere für das Masterstudium Health Assisting Engineering, wo Studierende mit Know-how aus dem Gesundheitsbereich und der Technik aufeinandertreffen. Studiengangsleiter Dipl.-Ing. Mag. Dr. Franz Werner erklärt: „Das Bachelorstudium Clinical Engineering und das Masterstudium Health Assisting Engineering bereiten darauf vor, Medizinprodukte bzw. auch andere Gesundheitstechnologien zu entwickeln und in die Praxis zu implementieren.“
Der Bachelor Biomedical Engineering deckt das gesamte Spektrum der Medizintechnik ab. „Darauf aufbauend gibt es zwei Masterprogramme aus dem direkten Bereich der Medizintechnik: Medical Engineering & eHealth sowie Gesundheits- und Rehabilitationstechnik“, erzählt Studiengangsleiter FH-Prof. DI Dr. Johannes Martinek von der FH Technikum Wien, wo drei Studiengänge Medizinprodukte thematisieren.

 

 

An der FH Oberösterreich beschäftigen sich gleich zwei Bachelor- und drei Masterstudiengänge mit Medizintechnik: die Bachelor Medizintechnik sowie Medizin- und Bioinformatik und die Master Applied Technologies for Medical Diagnostics, Medical Engineering sowie Data Science and Engineering. Sie werden hinsichtlich Forschung und Entwicklung um das fakultätsübergreifende Center of Excellence für Technische Innovationen in der Medizin (TIMed CENTER) ergänzt, wie Prof.(FH) Dr. Martin Zauner, Leiter Department Medizintechnik und Vize-Dekan Lehre, FH Oberösterreich, zusammenfasst. Doch auch an vielen anderen heimischen Fachhochschulen nimmt das Thema Medizinprodukte längst einen wichtigen Stellenwert ein, wie etwa an der FH JOANNEUM: speziell im Masterstudium eHealth und im Bachelorstudium Radiologietechnologie.

Anpassungen an die Entwicklungen

Einig sind sich alle FH-Repräsentanten: Die Anforderungen an die Medizinprodukte wachsen – entsprechend oft auch jene der Studienangebote an den Fachhochschulen. „Die Studiengänge werden daher jährlich evaluiert“, sagt Prof. (FH) Mag. (FH) Dr. Manfred Pferzinger, Studiengangsleiter des Masterprogramms Management von Gesundheitsunternehmen an der IMC FH Krems. „Überarbeitungen erfolgen unter Berücksichtigung der Anforderungen der jeweiligen Branche alle drei bis fünf Jahre. Unsere Absolventen sind also bestens für die Herausforderungen der Medizinprodukte-Branche vorbereitet.“ Im Bachelorprogramm Betriebswirtschaft für das Gesundheitswesen von Studiengangsleiter Priv.-Doz. Mag. Dr. Markus Latzke nimmt eine eigene Lehrveranstaltung „Medizinprodukte und Medizintechnik“ Rücksicht auf die erhöhte Relevanz. Auch laut Johannes Martinek, FH Technikum Wien, werden jährlich die Feininhalte angepasst und alle fünf bis sechs Jahre die Grobinhalte: „Künstliche Intelligenz, als Beispiel, ist im Kommen, sie wird daher in Lehrveranstaltungen thematisiert. Eigene Lehrveranstaltungen dazu wird es aber wohl erst in zwei bis drei Jahren geben.“ Externe Lehrende liefern laufend aktuelle Informationen, die integriert werden.
Der Evaluierungsprozess soll ein aktuelles und innovatives Curriculum sicherstellen, sagt Martin Zauner von der FH OÖ: „Bei uns finden regelmäßig qualitätsgesicherte Feedback-, Evaluierungs- und Strategie-Runden statt, um unser originäres Ausbildungsziel nachhaltig zu erreichen und weiterzuentwickeln. Dabei binden wir unsere Stakeholder wie Studierende, Absolventen sowie Kooperationspartner wie Firmen, Gesundheitseinrichtungen, F&E-Einrichtungen und Behörden aktiv mit ein. So richten wir die Lehrinhalte am Stand der Technik und der Wissenschaft aus und verbinden bestmöglich Forschung und berufspraktische Erfordernisse.“ Auch DI Dr. Robert Mischak, MPH, Instituts- und Studiengangsleiter eHealth bestätigt, dass die FH JOANNEUM externe Experten heranzieht, um Lehrinhalte jährlich anzupassen. Zudem arbeiten Master-Studierende auch nebenberuflich bei Softwareherstellern, Krankenhausträgern oder Forschungseinrichtungen und bringen so aktuelle Themen ins Studium ein, die in der Lehre als Projekt- oder als Masterarbeiten weiterverfolgt werden.

Die richtige Zeit

„Es war und ist die richtige Zeit, um in die Medizinprodukte-Branche zu gehen“, ist Manfred Pferzinger, IMC FH Krems, überzeugt. „Die Medizinprodukte-Branche bleibt ein Wachstumsmarkt.“ Auch Franz Werner von der FH Campus Wien ist der Ansicht, dass es nie eine bessere Zeit gab, um sich hier zu engagieren: „Das Thema Digital Health erfährt aktuell geradezu eine explosionsartige Verbreitung und Nutzung, da digitale Gesundheitslösungen mehr denn je direkt von den Nutzern gefordert werden. Hier bietet es sich an, in der Medizinproduktebranche zeitnah Innovationen zu setzen.“ FH-Prof. Jakob Doppler, MSc, Leiter des Studiengangs Digital Healthcare an der FH St. Pölten, ist jedenfalls überzeugt, dass es sich auszahlt in eine Ausbildung im Bereich Medizintechnik zu investieren, „da sich neben den gut funktionierenden klassischen Geschäftsfeldern auch für Österreich Chancen ergeben, etwa im Bereich Research, Development und Innovation im Zusammenhang mit Human Computer Interaction im Medizintechnikbereich“.
Robert Mischak, FH JOANNEUM, sieht den gesamten Gesundheitsmarkt weiter boomen und neue Berufsbilder entstehen: „Um langfristig in der Branche Erfolg zu haben, muss man neben einer fundierten technischen Ausbildung auch die Besonderheiten der Gesundheitsbranche gut verstehen können. Wer sich das zutraut und sich dem Lifelong-Learning verpflichtet fühlt, ist in dieser Branche gut aufgehoben. Auch sind die Chancen für ein erfolgreiches Start-up hoch.“
Univ.-Prof. MMag. Dr. Alexander Hörbst, Bakk.techn., Department-Leiter am MCI | Die Unternehmerische Hochschule® in Innsbruck, sagt dazu: „Die Medizinprodukte-Branche weist seit Jahren ein kontinuierliches Wachstum auf, COVID-19 hat die Entwicklung nochmals beschleu­nigt bzw. Public Awareness für die Branche und ihre Bedeutung geschaffen.“ Er sieht einen enormen Fachkräftemangel, der sich aufgrund der Verbreiterung der Produktpalette und deren immer stärkere Durchdringung des Consumer-Marktes noch verstärkt. „Es gibt immer mehr Medizinprodukte für Endverbraucher, die auch nicht primär einen medizinisch-klinischen Fokus haben, zum Beispiel ein EKG mit der Apple-Watch“, gibt Hörbst zu denken.

 

 

 

Neue rechtliche Rahmenbedingungen

„Der Gesundheitssektor wird sich durch neue technische Lösungen sehr deutlich verändern“, ist Franz Werner, FH Campus Wien, sicher. „In der Gesundheitsbranche wird sich ein Shift von institutionellen Gesundheitsdienstleistungen zu extramuralen Lösungen zur Nutzung zu Hause ergeben. Telehealth und teletherapeutische Anwendungen gewinnen aktuell deutlich an Fahrt, insbesondere auch getriggert durch Änderungen der rechtlichen Rahmenbedingungen.“ Auch Johannes Martinek, Technikum Wien, sieht entscheidende Änderungen im neuen Medizinproduktegesetz: „Es zwingt Firmen zu mehr Qualitätsmanagement. Außerdem bedeutet es, dass bei der Gratwanderung zwischen Überwachung und Unterstützung im Hinblick auf Digitalisierung und personalisierte Technik bzw. Medizin die Unterstützung die Oberhand gewinnt.“

Von Digitalisierung bis Wearables

Dass die Digitalisierung künftig im Fokus bleibt, glaubt Martin Zaun
er von der FH OÖ: „Zum Teil durchaus disruptive, technologische Entwicklungen in den Bereichen Digital Health und Medical Materials ermöglichen zunehmend miniaturisierte, intelligente, sichere und wirksame Medizinprodukte für die personalisierte Medizin. Diese erfordern jedoch hoch qualifizierte Nachwuchskräfte. Daneben werden die Telemedizin und die medizinische Datenanalyse sowie die Anwendung von Homecare-Geräten zunehmend an Bedeutung gewinnen. Dabei haben Hersteller und Gesundheitseinrichtungen besondere Anforderungen zu bewältigen, wie etwa technologisch die Cyber-Sicherheit oder regulatorisch die neuen EU-Verordnungen für Medizinprodukte.“
Ziel müsse es sein, technisch, organisatorisch und gesundheitsökonomisch sinnvolle E-Health-­Anwendungen zu entwickeln, stimmt Robert Mischak von der FH JOANNEUM in den Reigen ein: „Denn die großen Trends wie Internet of Medical Things, Artificial Intelligence, Clinical Decision Support, mHealth, Health-Apps, Telemonitoring etc. stehen erst am Anfang. Design Thinking, Co-Creation und Living Labs können die Anforderungen der Stakeholder besser berücksichtigen und führen im Ende zu Produkten mit höherer Akzeptanz. Das ist auch der Grund, warum wir am Institut ein Smart Care Lab für Lehre und Forschung etablieren.“ Alexander Hörbst, MCI Innsbruck, sieht ähnliche Entwicklungen, die die Branche verändern und einen verstärkten Ausbildungsfokus erfordern: von E-Health und M-Health über einen erhöhten Softwareanteil bis hin zu individualisierter Behandlung und Produkten. Diese modernen Anforderungen machen eine Anpassung der Ausbildung nötig. Die interdisziplinäre Zusammenarbeit mehrerer Berufsgruppen aus den Gesundheitswissenschaften, der Medizintechnik, der Programmierung oder dem User Experience Design werde Änderungen vorantreiben, ist Jakob Doppler von der FH St. Pölten überzeugt. Dazu brauche es viele Kompetenzen an der Schnittstelle zwischen Gesundheit, Sozialem und Digitalem.
„Das Curriculum von Health Care IT fokussiert auf künstliche Intelligenz und Assisted Living – beide Bereiche werden die Zukunft der Gesundheitsversorgung nachhaltig prägen“, nennt Prof.(FH) Priv.-Doz. Dipl.-Ing.(FH) Günther Grabner, PhD, Programmleitung Studienzweig IT-Medizintechnik und Leitung des Masterstudiengangs Health Care IT an der FH Kärnten, weitere Fokusthemen der Branche. Künstliche Intelligenz hält er für eine der wichtigsten Branchenänderungen. Auch Assisted Living sei ein zentraler Punkt, denn moderne Systeme würden das Leben von älteren und auch beeinträchtigten Menschen zunehmend unterstützen.
Es sind sich also alle einig, dass sich die Branche im Umbruch befindet und Ausbildungen darauf reagieren müssen. Österreichs Fachhochschulen sind jedenfalls bestens vorbereitet.

 

 

 

Medizintechnik an Österreichs Fachhochschulen

FH Technikum Wien: Biomedical Engineering (Bachelor), Medical Engineering & eHealth (Master), ­Gesundheits- und Rehabilitationstechnik (Master)
FH Wiener Neustadt: Betriebswirtschaft für das Gesundheitswesen (Bachelor) Health Care Informatics (Master)
IMC FH Krems: Betriebswirtschaft für das Gesundheitswesen (Bachelor), Management von Gesundheitsunternehmen (Master)
FH Campus Wien: Clinical Engineering (Bachelor), Radiologietechnologie (Bachelor), Health Assisting Engineering (Master)
FH Oberösterreich: Medizintechnik (Bachelor), Medizin- und Bioinformatik (Bachelor), Applied Technologies for Medical Diagnostics (Master), Medical Engineering (Master), Data Science and Engineering (Master)
FH JOANNEUM: diverse Lehrveranstaltungen, v. a. in den Instituten eHealth, Radiologietechnologie, Biomedizinische Analytik
FH Kärnten: IT-Medizintechnik (Bachelor), Health Care IT (Master)
FH St. Pölten: Digital Healthcare (Master), Lehrgang Ganganalyse und -rehabilitation, Institut für Gesundheitswissenschaften, Center for Digital Health and Social Innovation
MCI | Die Unternehmerische Hochschule®: Medizin-, Gesundheits- & Sporttechnologie (Bachelor), Medical Technologies (Master)